Für Peter Zeidler beginnt an diesem Wochenende ein neues Kapitel. Beim Auswärtsspiel in Leipzig feiert der 62-Jährige sein Bundesliga-Debüt. Im Vorfeld hat sich der neue Trainer des VfL Bochum Zeit für ein ausführliches Gespräch genommen. In diesem Interview geht um seine Freude auf den Saisonstart, schwierige Lebensentscheidungen und den Umgang mit zunächst fehlenden Neuverpflichtungen.
Herr Zeidler, profitieren Sie davon, dass Sie in der Bundesliga und in Bochum noch nicht so bekannt sind wie andere Trainer und dadurch vorurteilsfrei starten können?
Wenn dem so ist, dann sehe ich das als Vorteil, nicht sofort in eine Schublade gesteckt zu werden. Ich habe jahrelang im Ausland gearbeitet, in Österreich, Frankreich und der Schweiz. Da konnte ich jede Menge Erfahrungen sammeln und habe meinen eigenen Weg gefunden. Nun freue ich mich auf die Herausforderung in der Bundesliga und dass ich in Deutschland arbeiten kann.
Sie gehen als ältester Bundesliga-Trainer in die neue Saison und feiern mit 62 Jahren ihr Debüt an der Seitenlinie in Deutschlands höchster Spielklasse. Stand dieser Moment noch auf Ihrer Wunschliste?
Ich bin im Jahr 1962 geboren, also mit der Bundesliga groß geworden. Ich habe das Geschehen in der Liga immer intensiv verfolgt. Natürlich ist es klasse, sich nun in der besten deutschen Liga mit den anderen großen Klubs zu messen. Aber mein Lebensglück hängt nicht von einem Job in der Bundesliga ab. Diese Gelassenheit habe ich. Ich wäre auch gerne in der Schweiz geblieben, aber nun hat sich diese besondere Möglichkeit ergeben. Ich habe mit meiner Frau, unseren beiden erwachsenen Töchtern und meinem Bruder über den Wechsel nach Bochum gesprochen. Einzig meine Schwester musste nichts mehr zur Entscheidungsfindung beitragen. (lacht) Wir waren uns einig, dass es sich lohnt, dieses Abenteuer anzugehen. Die Vorfreude ist groß und gibt mir das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Worauf freuen Sie sich genau?
Die Bundesliga und viele Stadien kenne ich schon aufgrund meiner früheren Tätigkeit als Co-Trainer in Hoffenheim. Ich bin zwar schon 40 Jahre als Trainer tätig, aber nun in meinem Geburtsland in der Bundesliga als Cheftrainer zu arbeiten, gibt mir eine zusätzliche Energie, ohne vor Ehrfurcht zu erstarren. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Hühnerhaut kommen wird, wie es der Schweizer formulieren würde. Wir nennen es Gänsehaut. (schmunzelt) Ich rechne fest mit diesen Momenten.
Woher nehmen Sie die Energie, auch jenseits der 60 noch ehrgeizige Ziele zu haben?
Diese Energie gehört zu mir, das ist mein Naturell. Ich bin dankbar, so gesund zu sein, fühle mich lebendig und voller Tatendrang. Der Kalender lügt nicht, von allen Trainern in der Liga bin ich nun der älteste. Aber ich bin erst später dazugekommen. Ich war kein Profi, habe vor 20 Jahren noch in meinem Traumberuf als Lehrer gearbeitet. Ich glaube, das ist die Antwort auf Ihre Frage, warum ich immer noch so viel Lust und Kraft verspüre.
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Sie haben Französisch und Sport unterrichtet und bezeichnen diese Tätigkeit als Traumberuf. Trotzdem haben Sie ihn aufgegeben. War und ist der Job als Fußballtrainer ein noch größerer Traum?
Ich bin Fußballliebhaber und es ist faszinierend, den Fußball auf höchstem Niveau kennen zu lernen und mitzugestalten. Die Emotionen sind andere als wenn man eine Klausur zurückgibt (lacht). Dennoch: Ich habe sehr gerne als Lehrer gearbeitet, vor allem sehr gerne Französisch unterrichtet. Das war mein Traumberuf, der jetzige ist es aber auch. Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem ich keine Lust hatte, in die Schule zu gehen. Ich habe dafür gebrannt. Frankreich ist ein so liebenswertes und spannendes Land. Natürlich ist dort nicht alles so schön und so romantisch, wie wir es aus einigen Büchern und Filmen kennen. Mein Ziel war es aber immer, Schüler für die Sprache des Nachbarn zu begeistern, gerade bei uns in Baden-Württemberg. Ich habe sogar viele Schüleraustausche organisiert.
Irgendwann mussten Sie sich entscheiden: Gymnasiallehrer mit Beamtenstatus oder Fußballtrainer mit den allseits bekannten Unsicherheiten.
Den Beamtenstatus zu kündigen, ist ein großer Schritt. Thomas Letsch hat sich damals bei mir erkundigt, weil er kurze Zeit später in der gleichen Situation war. Der Job ist gut vergütet und mit einer besonderen Sicherheit verbunden, auch im Alter. Aber ich bin glücklich darüber, wie es gelaufen ist, obwohl es nicht immer einfach war. Ich war mehrfach ohne Job. Ich glaube, die Entscheidung gegen den Lehrberuf und für den Profifußball war die bislang schwierigste in meinem Leben. Die zweitschwierigste liegt erst ein paar Wochen zurück.
Die Entscheidung, St. Gallen zu verlassen und nach Bochum zu wechseln?
Ja, genau die. Es war traumhaft in der Ostschweiz. Ich war respektiert und, so glaube ich, auch sehr gemocht. Es war schwer, das aufzugeben. Aber ich finde es extrem spannend zu erleben, ob es möglich ist, Bochum auch in ein fünftes Bundesliga-Jahr zu führen. In der Schweiz ist das für viele gar nicht so greifbar, dass wir Außergewöhnliches leisten müssen, um in der Bundesliga zu bleiben.
Wovon war ihr Bild vom VfL Bochum bis zu Ihrer Ankunft hier geprägt?
Es gab in der Vergangenheit immer wieder direkte Begegnungen oder Stadionbesuche in Bochum, als Beobachter, als Co-Trainer. Und ich erinnere mich gut daran, dass unsere jüngere Tochter Einlaufkind beim Spiel Hoffenheim gegen Bochum war. Da war ich noch bei der TSG und sie durfte mit Stanislav Sestak ins Stadion laufen. Sestak hat uns dann hinterher drei Tore eingeschenkt. (lacht)
Sie wirkten in der Saisonvorbereitung phasenweise fast ein wenig ungeduldig und auch unzufrieden. Sie haben aufgezählt, wie viele Leistungsträger den Klub verlassen haben, dass sie sich Verstärkung wünschen und dass ein Leistungsgefälle innerhalb der Mannschaft sichtbar sei. Wussten Sie nicht, worauf sie sich einlassen?
Die Aufzählung der Abgänge habe ich ja nicht als Erster ins Spiel gebracht. Aber ich bin ehrlich und möchte das auch so kommunizieren, ohne dass es als Thema zu groß gemacht wird: Ich habe ein paar Tage gebraucht, um das alles genau zu verstehen und die Realität so zu akzeptieren, wie sie ist. Etwa, dass zum Trainingsstart und auch zum Trainingslager noch nicht alle Neuzugänge da waren. Natürlich wusste ich, dass der Kader vor einem Umbruch steht. Die Herausforderung nehme ich an, die nehmen wir als Team an. Meine Aufgabe ist es, mich auf die Spieler zu konzentrieren, die da sind. Wir haben gute Spieler. Es ist für mich als Trainer nur wichtig zu verstehen, vor welcher Herausforderung wir stehen, dass sich die Mannschaft verändert hat und sich erst finden muss. Deshalb ist es auch richtig, dass wir eine lange Vorbereitung hatten. Diese Zeit haben wir gebraucht, um eine gemeinsame Idee zu entwickeln.
Wie schaut diese Idee aus? Auf welchen Fußball können sich die Fans des VfL Bochum unter Ihrer Regie freuen?
Natürlich haben wir viele taktische Grundideen, dazu brauchen wir einen gemeinsamen Weg, den sich die Spieler zu eigen machen und bei dem sie merken, dass er funktioniert. Es gibt zwei Säulen für mich. Die eine: Mentalität und Teamgeist. Die andere: Taktische Strukturen mit und ohne Ball. Natürlich habe ich eine Grundidee, aber wir brauchen einen gemeinsamen Weg, von dem die Spieler überzeugt sind, den sie sich zu eigen machen und bei dem sie merken, dass er funktioniert. Die Sicherheit kommt dann über Erfolgserlebnisse.
Teamgeist ist ein Wort, das sie häufig nutzen, aber den kann man bekanntlich nicht erzwingen. Lässt er sich zumindest fördern?
Als Trainer ist es meine Aufgabe, diesen Prozess zu begleiten und zu unterstützen. Erzwingen kann man nichts, das stimmt. Ich werde deshalb auch nicht mit dem Team auf eine Hütte marschieren und dort ein Lagerfeuer entzünden, weil ich glaube, dass das großartig hilft. Wichtig als Trainer ist es, alle Spieler miteinzuziehen, auch die, die nicht so oft spielen. Das ist die große Herausforderung. Ansonsten hilft es ungemein, Spieler in der Mannschaft zu haben, die eine soziale und emotionale Intelligenz mitbringen. Also Typen zu haben, die an andere denken, die keine Allüren haben, sich über neue Mitspieler freuen und sie integrieren. Die haben wir hier.
Beziehen Sie die Fans in diesen Teamgedanken auch mit ein? Sie haben in der Saisonvorbereitung auffallend oft den Kontakt zu den Anhängern gesucht.
Das ist mir sehr wichtig, und so kenne ich das auch aus St. Gallen. Der Trainer und die Fans haben logischerweise verschiedene Rollen, aber wir teilen unsere Begeisterung für den Klub. Geteiltes Leid ist halbes Leid, Freude verdoppelt sich.
Das heißt, Sie werden nicht nach Düsseldorf ziehen, sondern in Bochum oder der näheren Umgebung bleiben.
Ich habe Bochum bereits ein bisschen erkundet. Ich habe gute Radstrecken entdeckt, zwei wunderbare Freibäder sowie die ersten Restaurants und Cafes besucht. Ich habe mich auch im Ehrenfeld umgesehen. Das Viertel gefällt mir. Vielleicht werde ich demnächst mal ins Schauspielhaus gehen. Dort wird bald „Warten auf Godot“ aufgeführt. Das Theaterstück, das ich früher mit meinen Schülern behandelt habe, hat damals in Frankreich seine Premiere gefeiert.
Dieses Interview mit Peter Zeidler ist zuerst im VfL-Heft des Bochumer 3Satz-Verlags erschienen. Auf mehr als 130 Seiten bietet das Magazin weitere Interviews, viele Porträts und interessante Hintergrundgeschichten. Gedruckte Exemplare der aktuellen Ausgabe zum Saisonstart sind kostenlos an vielen Stellen im Bochumer Stadtgebiet oder direkt beim 3Satz-Verlag (Alte Hattinger Str. 29) zu bekommen. Nachfolgend gibt es auch eine Download-Option.