Heckings Taktik

„Wir brauchen Tempo“: Bochum reaktiviert die Flügelspieler

Von größerem Verletzungspech ist der VfL Bochum in dieser Saison weitestgehend verschont geblieben. Klar, dass Leistungsträger wie Myron Boadu oder Bernardo teils mehrere Monate gefehlt haben, hat dem Revierklub womöglich sogar Punkte gekostet. Ansonsten aber war das Trainerteam nur selten dazu gezwungen, auf Ausfälle zu reagieren. Vor dem prestigeträchtigen Derby gegen den BVB gestaltet sich die Lage erstmals etwas anders. Neben Boadu fehlen auch der kurzfristig am Auge operierte Felix Passlack sowie der gesperrte Maximilian Wittek. Zudem steht oder stand ein Fragezeichen hinter der Einsatzfähigkeit von Gerrit Holtmann und Georgios Masouras. Kurzum: Dem VfL brechen die defensiven wie offensiven Außenbahnspezialisten weg. Das Problem: Alternativen im Kader sind rar gesät.

Wechselnde Kaderplanung

Für die von Trainer Dieter Hecking zuletzt oft bevorzugte Fünferkette in der Abwehr sind Passlack und Wittek die einzigen beiden Schienenspieler, die der Bochumer Kader hergibt. In der Angriffsreihe sieht es nicht wesentlich anders aus: Holtmann und Masouras haben praktisch keine Konkurrenz. Es sind die Folgen einer nicht stringenten Kaderplanung, die jährlich wechselnd auf unterschiedliche Spielsysteme ausgerichtet war. Bis zum Sommer 2023 war der Kader für ein 4-3-3 mit je zwei defensiven und offensiven Außenbahnspezialisten aufgestellt. Die Kaderplanung von Sebastian Schindzielorz zielte darauf ab, dass möglichst jede Position doppelt und im Rahmen der Bochumer Möglichkeiten annähernd gleichwertig besetzt war. Das änderte sich vor gut anderthalb Jahren jedoch schlagartig.

System ohne Flügelstürmer

Trainer Thomas Letsch bekam von der neuen Sportlichen Leitung den Wunsch erfüllt, auf ein 5-3-2-System mit sogenannten Schienenspieler zu setzen. Sie sollten die Außenbahnen alleine beackern. Offensive Flügelspieler hatten in der Folge einen schweren Stand, der sich mit der Entwicklung von Gerrit Holtmann beispielhaft belegen lässt. Im ersten Jahr nach dem Aufstieg war der Publikumslieblung ununstrittene Stammkraft, bevor er dann mitgeteilt bekam, dass es seine Position nicht mehr geben soll. Diese Denkweise setzte sich nach der Trennung von Letsch zunächst fort. Peter Zeidler setzte bevorzugt auf ein 4-4-2 mit Mittelfeldraute. Die Schienenspieler wurden zu klassischen Außenverteidigern, offensive Flügelspieler gab es nicht. Das änderte sich erst wieder mit der Verpflichtung von Dieter Hecking. 

Holtmann wieder gebraucht

Der erfahrene Fußballlehrer misst vor allem den offensiven Flügelspielern eine deutlich höhere Bedeutung bei als seine Vorgänger. „Es hilft enorm, wenn du schnelle Flügelspieler hast. Wir brauchen Tempo in unserem Spiel, gerade dort“, erklärt Hecking die Reaktivierung von Holtmann und die Verpflichtung von Georgios Masouras. Wie die beiden dem VfL im Zusammenspiel helfen können, haben sie in Kiel bereits angedeutet, Holtmann auch schon in den Wochen davor. Mit seiner enormen Schnelligkeit hat der 29-jährige Linksfuß die eigenen Anhänger von den Sitzen gerissen und die gegnerischen Abwehrreihen immer wieder vor Herausforderungen gestellt, unterstützt von den aufgerückten Schienenspielern. Ähnliches soll nun auch Masouras auf dem rechten Flügel gelingen, unabhängig vom Spielsystem.

Umbau gegen Dortmund

Hecking bevorzugt ein 5-2-3 oder 4-3-3, je nach Personalsituation. „Die Viererkette ist jederzeit eine Option“, bekräftigt der Trainer. In der Defensive sind Passlack und Wittek mangels Alternativen im Grunde gesetzt. Fallen sie aus, so wie jetzt gegen Dortmund, ist Improvisation erforderlich und ein Wechsel zur Viererkette wahrscheinlich. Rechts könnte Tim Oermann verteidigen, links Bernardo, also zwei Innenverteidiger. Denkbar ist auch, dass Cristian Gamboa erstmals unter Dieter Hecking beginnt, oder gar U19-Talent und Rechtsverteidiger Kacper Koscierski, dem er „ohne Bedenken“ einen Bundesliga-Einsatz zutraut. Theoretisch könnte Hecking auch bei einer Fünferkette bleiben und Holtmann zurückziehen. Dann aber wäre eine offensive Dreierreihe mit schnellen Flügelspielern praktisch nicht mehr umsetzbar.


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(Foto: Imago / Nordphoto)