Ilja Kaenzig prescht vor in diesen Tagen. Es mag absurd klingen und verfrüht erscheinen, doch der Finanzchef des VfL Bochum kann der Corona-Krise im Fußball auch etwas Gutes abgewinnen. „Wir waren auf dem besten Weg, dass Fußball zum Entertainment wird und nicht mehr Sport ist. Die Etats und die Summen, die an Spieler fließen, werden in Zukunft geringer“, sagte der Schweizer der Sportschau. In seiner Heimat legte er nach: „Wir waren wie Junkies: Abhängig von der Droge Fernsehgeld. Und dieses floss direkt in die Spielerlöhne. So hat sich alles hochgeschaukelt. Der Markt kühlt ab, das ist nicht schlimm.“ Den allermeisten Fans spricht Kaenzig vermutlich aus der Seele.
Der BVB jammert…
Es sind deutliche, ja gar drastische Worte, die der 46-Jährige wählt. Und sie stehen im krassen Widerspruch zu dem, was nur wenige Kilometer östlich von Bochum geschieht, offensichtlich in einer anderen Fußball-Welt. Dort bittet BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer darum, auf eine Rückgabe von Tickets für nicht mehr stattfindende Heimspiele zu verzichten. Selbst in Dortmund, wo die Borussia vergöttert wird, wird das als Dreistigkeit empfunden. Der Fan, der in der Krise um seinen Arbeitsplatz bangt, soll sein Geld verschenken, damit Millionäre weiter ihr üppiges Gehalt kassieren. Das ist sicher verkürzt und klingt populistisch, doch es ist die Botschaft, die bei vielen Schwarz-Gelben so ankommt.
Zur Einordnung ist natürlich eines entscheidend: Das Geld für horrende Spielergehälter haben die Fans selbst in den Markt gepumpt. Sie haben höhere Ticketpreise akzeptiert und die Versteigerung von TV-Rechten geduldet. Die Einnahmen der Klubs sind also gestiegen, und das Geld wurde ausgegeben, manchmal sogar verprasst. Spieler, ihre Berater und Vereinsbosse haben das genutzt. Aus kleinen Klubs sind große Konzerne geworden. Doch statt Dankbarkeit zu zeigen, dass der Fußball überhaupt derart wachsen konnte, zeigt sich bei den Verantwortlichen Borussia Dortmund vor allem eines: Ihre Angst davor, plötzlich den Rückwärtsgang einlegen zu müssen.
…und der VfL reagiert
Nicht nur im Fußball gilt: In einer Krise zeigt sich der Charakter. Kaenzig und der VfL bilden in dieser Hinsicht einen wohltuenden Gegenpol. Demut ist für sie kein Fremdwort. Sie haben die schwierige Situation längst akzeptiert. Sie wissen, dass sich nur die Zahlen verändern, nicht aber der Sport an sich. Fraglich ist allerdings, ob der Selbstreinigungsprozess, den Kaenzig der Branche prophezeit, tatsächlich eintreten wird. Denn bleibt die Anziehungskraft des Fußballs unverändert, werden sich die Klubs irgendwann von der Krise erholen. Und es steht zu befürchten, dass das irrsinnige Millionen-Spiel dann von Neuem beginnt.
(Foto: Pressefoto Eibner)