Die Zeit der Spekulationen über Spielertransfers ist gerade erst vorbei, da schickt sich der VfL Bochum an, die Gerüchteküche erneut mit Leben zu füllen. Der Tabellenletzte der Bundesliga befindet sich nach der Trennung von Thomas Reis auf Trainersuche. Die Mission ist klar: Trotz des historisch schlechtesten Saisonstarts soll Ende Mai oder Anfang Juni 2023 der Klassenerhalt gelingen. Eine Herkulesaufgabe, für die sicher nicht jeder Fußballlehrer zur Verfügung steht. Einen Trainer zu beerben, der bei großen Teilen der Anhängerschaft unverändert Heldenstatus besitzt, kann eine undankbare Aufgabe sein. Zudem ist der VfL finanziell nicht auf Rosen gebettet, kann sich einige Trainer also schlicht nicht leisten.
Damit sind zuvorderst Domenico Tedesco und Adi Hütter gemeint, die in den Fanforen oder sozialen Netzwerken tatsächlich Erwähnung finden. Bei diesen Namen greifen einige Anhänger aber mindestens ein Regalfach zu hoch; das gilt womöglich auch für Markus Weinzierl oder Bruno Labbadia. Der VfL sucht schließlich einen Trainer, der nach Möglichkeit eine Perspektive über die Saison hinaus bietet – entweder in der Bundesliga oder eine Spielklasse tiefer. Wobei die Frage erlaubt sein muss, ob es sinnvoll ist, das Worst-Case-Szenario schon jetzt durchzuspielen. Steigt der neue Trainer am Ende der Saison ab, ist sein Ansehen womöglich so beschädigt, dass ein gemeinsamer Neustart in der 2. Liga kaum machbar erscheint.
Kein Feuerwehrmann gesucht
Wie auch immer: Einen klassischen Feuerwehrmann der Kategorie Friedhelm Funkel (oder gar Peter Neururer) möchte der neue Geschäftsführer Patrick Fabian nicht holen. Das hat er zu Wochenbeginn selbst betont. Ein Novize soll es aber auch nicht sein. Demzufolge scheidet Mark Fotheringham bereits aus. Dass der ehemalige Magath-Assistent ein (Wunsch-)Kandidat sein soll, hatte am Montag „The Scottish Sun“ berichtet. Allerdings besitzt Fotheringham noch gar keine Erfahrung als Cheftrainer, zur Stunde nicht einmal die Fußballlehrerlizenz; dieses Wagnis wird Fabian sicher nicht eingehen. Vermutlich hat Fotheringhams Beraters lediglich die Chance genutzt, seinen Klienten ins Gespräch zu bringen – in der Branche nicht ungewöhnlich.
Weil Fabian Erfahrung auf dem Trainerstuhl durchaus wichtig ist und der neue Sportchef des VfL auch die Einbindung von Eigengewächsen forcieren sollte, geraten vor allem Kandidaten wie Hannes Wolf, Sebastian Hoeneß und Florian Kohfeldt in den Fokus. Sie alle haben schon mindestens einen Bundesligisten und auch ein Nachwuchsteam trainiert, kennen teilweise sogar die 2. Liga. Hannes Wolf zum Beispiel, der aus Bochum stammt und in Dortmund lebt, ist aktuell Trainer der U20-Nationalmannschaft, stand aber schon für Stuttgart, Hamburg und Leverkusen an der Seitenlinie. Bei ihm ist nur fraglich, ob und zu welchen Konditionen er den DFB verlassen könnte. Sein Name war schon vor der Verpflichtung von Thomas Reis in der Verlosung, allerdings eher medial als intern.
Bundesliga-Erfahrung als Vorteil
Sofort verfügbar wäre dagegen Sebastian Hoeneß. Der Sohn von Dieter und Neffe von Uli hat zunächst in den Jugendabteilungen von RB Leipzig und Bayern München gearbeitet, bevor er im Sommer 2020 zur TSG Hoffenheim wechselte. Nach zwei teils erfolgreichen, teils weniger erfolgreichen Jahren war vor wenigen Monaten Schluss. Hoeneß gilt, genauso wie Wolf, als kommunikativ, bindet die Spieler in seine Überlegungen mit ein – fraglich ist jedoch, ob er Lust auf Abstiegskampf und ein deutlich geringeres Gehalt als im Kraichgau hat. Gleiches trifft auf Florian Kohfeldt zu, der sich nach seinem Aus beim VfL Wolfsburg ebenfalls auf Jobsuche befindet, aber nicht gezwungen ist, das erstbeste Angebot anzunehmen.
Realistischer – zumindest in der Theorie – wäre dann wohl eine Verpflichtung von Kandidaten wie Achim Beierlorzer oder Dimitrios Grammozis. Auch sie kennen die Bundesliga zum Großteil schon, haben aber nicht nur gute Erfahrungen gesammelt. Beierlorzer war mit Regensburg in der 2. Liga erfolgreich, in der Bundesliga mit Köln und Mainz eher nicht. Auch Grammozis‘ erster Anlauf ging schief – nebenan beim FC Schalke, wo er noch unter Vertrag steht, aber beurlaubt ist. Von 2012 und 2019 war Grammozis bekanntlich in Bochum; erst als Spieler in der damals noch existierenden Regionalliga-Mannschaft, später dann als Jugendtrainer.
Butscher geht zurück zur U19
Bis auf Beierlorzer sind die genannten Kandidaten alle jünger als Thomas Reis, der den VfL mit 48 Jahren verlassen musste. Ein ganz anderer Name, der in den zurückliegenden Tagen häufiger fiel, wäre hingegen deutlich älter. Uwe Neuhaus, ein Kind des Ruhrgebiets, würde gewiss nicht alle der genannten Kriterien erfüllen. Dennoch: Weil er die dringend benötigte Ruhe ausstrahlt, reichlich Routine mitbringt und als Trainer gilt, der besonders mit erfahrenen Spielern umzugehen weiß, könnte er gerade jetzt zum VfL passen. Die Bochumer stellen den ältesten Kader der Liga, die Führungsspieler haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Neuhaus stand bislang stets für Kontinuität, bei Union Berlin oder Arminia Bielefeld, wo er 2021 im Abstiegskampf gefeuert wurde.
All diese Gedankenspiele sind überhaupt erst notwendig, weil die naheliegendste Lösung keine mehr ist. Heiko Butscher, der die Mannschaft interimsweise übernommen hat, kommt für eine dauerhafte Beförderung nicht infrage. Der Fußballlehrer will zurück in den Nachwuchsbereich. Das kommt dem VfL durchaus gelegen, der mit dem 42-Jährigen fest als Trainer der U19 plant. Für Butscher könnte das Spiel gegen Köln am Sonntag also das vorerst letzte als Chef in der Bundesliga sein. Auch eine Überraschung wie einst mit Thomas Reis ist übrigens nicht ausgeschlossen. Gute Assistenz- oder Jugendtrainer mit Ambitionen gibt es schließlich genug, Dino Toppmöller und Andre Pawlak zum Beispiel, um nur zwei mit Bezug zur Region zu erwähnen.
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