Kommentar

Bochum oder Schalke? Reis braucht dringend gute Beratung

Wer erzählt die Wahrheit? Das ist, von außen betrachtet, die entscheidende Frage. Praktisch alle Bochumer Journalisten? Oder Thomas Reis? Die einen haben recherchiert und herausgefunden, dass der Erfolgstrainer des VfL Bochum in diesem Sommer ausgerechnet mit Schalke 04 verhandelt hat. Der andere, über den nun berichtet wird, wehrt sich dagegen. Erst auf wiederholte Nachfrage von Tief im Westen – Das VfL-Magazin dementierte Thomas Reis am Donnerstag sowohl Gespräche mit dem Reviernachbarn als auch eine bloße Anfrage – obwohl das längst ein offenes Geheimnis in der Fußballszene ist. Bis zur Veröffentlichung der BILD hatte sich aber niemand getraut, genau das publik zu machen. Rückblickend ein Fehler. Dass es Verhandlungen zwischen Schalke und Reis gegeben hat, ist mittlerweile aus mehreren verlässlichen Quellen bestätigt.

Dass Reis sogar das Schalker Interesse dementiert hat, verwundert am meisten. Es wäre überhaupt nicht schlimm gewesen, zumindest diese Tatsache zu bestätigen, schließlich hat sich Reis ja nicht aktiv auf Schalke beworben. Er wusste doch, dass diese Frage kommen würde, schien sich darauf aber nicht gut vorbereitet zu haben. Mit einer cleveren Kommunikationsstrategie hätte er diese Geschichte sogar zu seinem Vorteil nutzen können. Er hätte erzählen können, dass er die Anfrage aus Gelsenkirchen erhalten habe, dass er sich – wegen der engen Verbindung zu Rouven Schröder – auch damit beschäftigt habe, es für ihn aber nicht infrage gekommen sei, zum direkten Erzrivalen zu wechseln. Das wäre zwar nicht die ganze Wahrheit, aber ein Teil davon. Und es wäre vermutlich Ruhe eingekehrt. Doch Reis wird schlecht beraten. Oder lässt gute Beratung nicht zu.

Das haben schon die zurückliegenden Wochen und Monate gezeigt. Das erste Kapitel: Im Mai kokettiert Reis in aller Öffentlichkeit mit einem Vereinswechsel, zeigt sich gesprächsbereit für die Konkurrenz. Das zweite Kapitel: Vor knapp zwei Wochen gibt er der WAZ ein Interview und schiebt die Verantwortung für die stockenden Vertragsgespräche Richtung Klub. Beide Aussagen kamen im Präsidium nicht gut an. Reis musste sogar öffentlich zurückrudern und erklären, dass der VfL ihm längst Angebote vorgelegt hat, was er zuvor verschwiegen hat. Das ist erstens erwähnenswert, weil seine Glaubwürdigkeit schon dabei Schaden genommen hat, und zweitens, weil er ansonsten immer wieder versucht, seine besondere Verbundenheit zum VfL Bochum zu betonen. Zuletzt bei Sky mit den markigen Worten: „Wenn ich kein Bochumer bin, wer dann?“

Den eigenen Marktwert zu prüfen, ist vollkommen legitim. Aber Reis sollte sich für eine Variante entscheiden: Vollblut-Bochumer oder Trainer mit Karriereplan. Ansonsten beschädigt er sein eigenes Denkmal, das er sich mit dem Aufstieg und Klassenerhalt verdient hat. Ohnehin ist fraglich, wie lange sich der VfL dieses Vertragstheater noch tatenlos mitanschauen kann. Hans-Peter Villis und Patrick Fabian hatten am Donnerstag ebenfalls die Chance, die Existenz einer Schalker Anfrage zu dementieren, hüteten sich aber davor – Villis leitete die Frage geschickt weiter an Reis. Die Bochumer müssen sich nun überlegen, ob es überhaupt noch Sinn macht, die Vertragsverhandlungen im Winter wieder aufzunehmen. Beide Seiten haben Vorstellungen, die seit Wochen oder gar Monaten nicht zusammenpassen. Warum sollte sich bis zum November etwas Grundlegendes daran ändern? Und: Wie viel Vertrauen ist noch da?

Eines sollte klar sein: Niemand heiratet den Partner, der schon mit dem Nachbarn geflirtet hat. Wie die Fans all das bewerten, dürfte die wohl spannendste Frage der kommenden Tage sein. Die Reaktionen im Netz gehen bislang auseinander. Die einen glauben Thomas Reis kein Wort. Die anderen sehen das alles als böse Kampagne der Springer-Presse – was (ausnahmsweise) nicht stimmt, weil alle Bochumer Journalisten darüber berichten und nicht nur voneinander abschreiben. Es gibt auch Anhänger, die wollen gar nichts davon hören, nach dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das zeigt aber: Am Ende ist Fußball simpel. Siege helfen, die Lage zu beruhigen, Heimsiege besonders, Derbysiege noch mehr. Die eingangs aufgeworfene Frage ist mit diesem Kommentar hoffentlich beantwortet. Der Rest der Wahrheit liegt auf dem Platz.

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(Foto: Firo Sportphoto)