Testspielresultate sollten nicht überbewertet werden. Das sagen die Verantwortlichen verschiedener Klubs recht häufig und nehmen die drei Euro fürs Phrasenschwein gerne in Kauf. Viel wichtiger sei die Leistung, die Entwicklung generell. Beim VfL Bochum passen Ergebnisse und Erkenntnisse in diesem Sommer allerdings ganz gut zueinander. Klammert man die ersten drei Spiele gegen unterklassige Mannschaften einmal aus, gelangen in sechs Partien 13 Tore – eine erfreuliche Bilanz. Allerdings kassierte das Team von Trainer Thomas Reis genauso viele Gegentreffer. Kein einziges Mal spielte der VfL zu Null.
Vorne gefährlich
Auch das 6:2 gegen Antalyaspor hat gezeigt, in welchen Bereichen der Bundesligist schon überzeugen kann und wo es Nachholbedarf gibt. Einerseits wurden die Fans im letzten Testspiel mit schön herausgespielten Toren beglückt. Andererseits resultierten die beiden Gegentreffer erneut aus individuellen Fehlern. „Das war zu billig“, bemängelte Trainer Thomas Reis und nannte weitere Kritikpunkte: „Wir hatten am Anfang große Probleme, sind überhaupt nicht in die Zweikämpfe gekommen und auch das Pressing hat nicht funktioniert.“ Erst die Umstellung auf ein 4-4-2-System half dem Team.
Dann war auch zu sehen, dass die Offensive wahrscheinlich stärker besetzt ist als in der vergangenen Saison. Ganz vorne attackierten Simon Zoller und Philipp Hofmann in einer Doppelspitze. Als Torjäger trat Hofmann in den Testspielen kaum in Erscheinung, auch beim Anlaufen muss ihn Thomas Reis immer wieder korrigieren. Doch technisch und körperlich dürfte er ein Gewinn für den VfL sein, ebenso wie Kevin Stöger. Auf der Doppelsechs mit Anthony Losilla übernahm der Österreicher den offensiveren Part und schlug gefährliche Standards. Philipp Förster und Jordi Osei-Tutu wurden eingewechselt, auch sie haben Potenzial.
Mit Stöger und Förster hat Manager Sebastian Schindzielorz gleich zwei Kreativspieler fürs Mittelfeld verpflichtet, mit Osei-Tutu zudem das Tempo erhöht. Ein weiterer Stürmer, der außen wie innen spielen kann, soll ja noch kommen. Dass er Takuma Asano und Gerrit Holtmann dann sofort Druck machen kann, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Asano traf bei der Generalprobe doppelt und zählt nur deswegen zu den Gewinnern der Vorbereitung. Der Japaner befindet sich in beeindruckender Frühform. Auch Holtmann kommt wieder in Fahrt, die Vertragsverlängerung bis 2025 könnte ihm einen zusätzlichen Schub geben.
Hinten unsicher
Nominell wie taktisch wird der VfL in der Bundesliga aber sicher nicht so spielen wie gegen Antalyaspor, weshalb die Aufstellung für den letzten Test überraschend war. Denn Kevin Stöger und Simon Zoller wären im Vergleich zur Doppel-Acht die deutlich offensivere Lösung. Angesichts der momentanen Abwehrschwäche wäre das kontraproduktiv. Denn vor allem in der Innenverteidigung drückt der Schuh so kurz vor dem Saisonstart immer noch. Die Abgänge von Armel Bella Kotchap und Maxim Leitsch wurden trotz hoher Transfereinnahmen bislang nicht kompensiert, vor allem ihr Tempo wird schmerzlich vermisst.
Erhan Masovic, der schon in der Vorsaison teilweise zum Stammpersonal zählte und jetzt noch mehr in diese Rolle hineinwachsen soll, hat keine gute Vorbereitung gespielt. Seinen fast schon sicheren Platz in der Startelf hat er vorerst verloren. Vasilios Lampropoulos, der eigentlich nur als Back-Up eingeplant war, ist plötzlich gesetzt, wenngleich seine Tempodefizite bekannt sind. Die Hoffnungen ruhen also in erster Linie auf Ivan Ordets. Der Ukrainer kam gegen Antalyaspor eine Halbzeit zum Einsatz, machte defensiv einen guten Eindruck und erzielte sogar ein Tor. Trainingsrückstand hat er aber immer noch.
„Ivan ist groß, hat ein gutes Kopfballspiel und hat genug Erfahrung und Qualität, dass er zum Stammpersonal zählen kann“, sagte Thomas Reis am Samstag. „Ob es schon für das Pokalspiel in Berlin reicht, werden wir sehen. Er muss jetzt gut weitertrainieren.“ Ein vierter Innenverteidiger soll, wie berichtet, noch kommen – wann das der Fall sein wird, ist aber noch offen. Dass der Bedarf groß ist und ein erfolgreicher Saisonverlauf maßgeblich von der Abwehrarbeit abhängt, ist ebenfalls längst bekannt. Die Offensive entscheidet zwar Spiele, die Defensive aber ganze Meisterschaften. Auch hier klingelt es im Phrasenschwein.
(Foto: Imago / Team 2)