Nun also doch: Thomas Reis trägt ab sofort die Arbeitskleidung des FC Schalke 04. Am Donnerstag präsentierte Bochums Tabellennachbar und Erzrivale den 49-Jährigen als neuen Cheftrainer. Der Einigung waren ereignisreiche Tage und Stunden vorausgegangen. Denn die Königsblauen hatten zunächst noch andere Optionen geprüft, ehe sie doch wieder bei Reis landeten, den sie eigentlich schon vor der Saison von Bochum nach Gelsenkirchen lotsen wollten. Der VfL ließ ihn zu diesem Zeitpunkt aber nicht ziehen – und stellte sich auch in dieser Woche zunächst quer.
Zwar war Reis seit Mitte September und der Derbyniederlage auf Schalke beurlaubt, doch sein Vertrag in Bochum lief weiter. Der VfL forderte deshalb eine Ablöse. Auch taktisch clever, denn Schalke stand unter Druck. Der neue Trainer sollte eigentlich schon am Mittwochnachmittag auf dem Trainingsplatz stehen. Erst am Dienstagmorgen nahmen die Verantwortlichen der Königsblauen Kontakt mit dem direkten Kontrahenten auf. Geschäftsführung und Präsidium ließen sich aber nicht treiben und stellten Forderungen auf, die Schalke zunächst nicht erfüllen wollte.
Erst am Mittwoch gab es dann die Einigung – weil Schalke die Bochumer Vorstellungen erfüllt hat und weil Reis einen Teil der Ablöse übernimmt. Allerdings bekommt er das Geld von Schalke zurück. Der VfL erhält mindestens 300.000 Euro – also in etwa das, was er an Ablöse für Thomas Letsch bezahlt hat. Auch das Gehalt von Thomas Reis und Co-Trainer Markus Gellhaus muss er nicht mehr zahlen. Rechnet man Einsparungen und Einnahmen zusammen, darf sich der VfL über einen hohen sechsstelligen Betrag freuen. Mehr konnte er nicht verlangen, sonst wäre der Deal geplatzt.
Einige Fragen noch unbeantwortet
Ist das Thema Thomas Reis in Bochum damit abgehakt? Klar ist: Erste Erfolge von Thomas Letsch lindern den Trennungsschmerz. Und emotional haben sich die meisten Fans spätestens in dieser Woche von Reis gelöst. Sie sind enttäuscht von ihm. Reis hat sich vor der Kamera immer zum VfL bekannt, etwa mit dem Satz „Wenn ich kein Bochumer bin, wer dann?“. Zugleich hat er sie aber angelogen, weil er Kontakte zu Schalke 04, die es bereits vor Monaten gab, dementiert hat und auch den Verlauf der Vertragsgespräche mit dem VfL nur unvollständig wiedergegeben hat.
Also rückt die Causa Reis zunehmend in den Hintergrund. Dennoch: In der Mitgliederversammlung am 15. November wird sie noch einmal Thema sein. Denn einige Fragen beschäftigen die Fans noch immer. Zum Beispiel, warum vor allem Hans-Peter Villis trotz der Abwanderungsgedanken von Reis noch immer an eine Vertragsverlängerung geglaubt hat. Im Interview mit Tief im Westen – Das VfL-Magazin Ende Juli sagte Villis: „Ich bin optimistisch, dass es klappt. […] Negative Signale, dass er uns verlassen möchte, habe ich von ihm bislang keine erhalten.“ Was natürlich nicht stimmte.
Womöglich hätte sich die Geschichte mit Reis und Schalke 04 schon im Mai anders entwickelt, wenn nicht auch Sebastian Schindzielorz den Wunsch nach einer beruflichen Veränderung geäußert hätte. Hierbei spielt vor allem der Zeitpunkt eine entscheidende Rolle. Reis hat mit Schalke Mitte Mai verhandelt, der Abgang von Schindzielorz wurde Ende Mai durch eine Veröffentlichung in der Sport Bild bekannt. Allerdings hat Bochums langjähriger Geschäftsführer das Präsidium in Person von Hans-Peter Villis bereits Anfang Mai über seine Kündigung unterrichtet.
Villis informierte danach zwar das übrige Präsidium über die Entscheidung, nicht aber die Öffentlichkeit – dreieinhalb Wochen vergingen, ehe erst die Berichterstattung zu einer Reaktion des Klubs führte. Doch warum ist Villis zuvor nicht selbst aktiv geworden? „Sebastian Schindzielorz hat mich natürlich erst mündlich und dann schriftlich informiert. Bis dahin konnten wir noch gar nichts kommunizieren“, sagte Villis zu diesem deutlichen Zeitverzug. Nur: Dass dieser rein formelle Vorgang tatsächlich dreieinhalb Wochen in Anspruch nahm, ist eher unwahrscheinlich.
Wiedersehen in der Rückrunde
Zum Zeitpunkt der Gespräche zwischen Reis und Schalke wusste Villis also schon, dass mit Schindzielorz einer aus dem Erfolgsduo von Bord gehen wird. Beide fast zeitgleich zu verlieren, hätte in dieser hochemotionalen Phase kurz nach dem Klassenerhalt womöglich zu einer gewaltigen Unruhe geführt. Doch auch in der Angelegenheit um Sebastian Schindzielorz haben sich viele Fans mittlerweile beruhigt. Sie sehen den Wechsel nach Wolfsburg als Bestätigung für ihre These, der 43-Jährige hätte in Bochum nur deshalb gekündigt, um zu einem Mitbewerber zu wechseln.
Nur wenige Wochen nach seinem letzten Arbeitstag in Bochum gab der VfL Wolfsburg dann auch die Verpflichtung von Schindzielorz als neuen Sportdirektor zum 1. Februar 2023 bekannt. Doch sind die Vorgänge bei Schindzielorz mit der Causa Reis wirklich vergleichbar? Im Gegensatz zu Reis hat sich Schindzielorz in der Öffentlichkeit kein einziges Mal über seine persönliche Vertragssituation geäußert, sich dem Klub gegenüber stets loyal verhalten. Die genauen Beweggründe für seinen Abgang sind bis heute unklar, wirklich konkret wurde Schindzielorz in Interviews nie.
Die entscheidende Frage aber ist: Gab es vor seiner Kündigung wirklich keine Gespräche mit dem VfL Wolfsburg? Schindzielorz hat das immer abgestritten – dass das nichts heißen muss, zeigt die Causa Reis. Der Unterschied aber ist, dass bei Reis hinter vorgehaltener Hand mehrere Beteiligte bestätigen, dass es bereits im Mai Gespräche mit Schalke gab. Bei Schindzielorz gibt es bis heute niemanden, der die Vermutungen konkretisieren kann. Wolfsburgs Aufsichtsratschef Frank Witter sagte neulich dem kicker, dass die Kontaktaufnahme erst Ende August erfolgt sei.
Wie auch immer: Beide, Thomas Reis und Sebastian Schindzielorz, haben dank guter Arbeit in Bochum schnell einen neuen Job in der Bundesliga gefunden, und dürfen sich auf ein mehr oder weniger brisantes Wiedersehen in der Rückrunde freuen. Sowohl die Partie gegen Schalke als auch das Duell gegen Wolfsburg findet dann in Bochum statt. Auch sportlich ist die Konstellation ja durchaus speziell: Stand jetzt sind beide Vereine direkte Konkurrenten im Kampf gegen den Abstieg. Und zumindest Schalke wird es wohl auch bis zum Saisonende bleiben.
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(Foto: Firo Sportphoto)