Totgesagte leben länger. Der VfL und Torschütze Felix Passlack waren auf dem besten Weg, dies erneut unter Beweis zu stellen. Bis zur Nachspielzeit waren die kriselnden Bochumer beim Auswärtsspiel in Köln noch siegesgewiss, führten mit 1:0 und hätten sich vom FC praktisch uneinholbar distanzieren können. Zumindest der direkte Abstieg wäre damit kein Thema mehr gewesen. Dann aber passierte das, was Fußball-Bochum fassungslos macht und den Frustpegel auf einen vorübergehenden Höhepunkt steigen lässt. In weniger als zwei Minuten kassierte der VfL zwei Gegentreffer, aus einem dringend notwendigen Sieg wurde eine schmerzhafte Niederlage. „Es ist ein Albtraum“, sagte Verteidiger Bernardo. „Das kann nicht Realität sein.“
Ist es aber. Zum wiederholten Mal hat der VfL in der Schlussphase einen Sieg hergeschenkt und seine Krise damit deutlich verschärft. Der Vorsprung auf Mainz und den Relegationsplatz ist bis auf drei Punkte zusammengeschrumpft, selbst Köln ist bis auf vier Punkte herangerückt. „Die waren klinisch tot“, sagten Geschäftsführer Patrick Fabian und Sportdirektor Marc Lettau nach der Partie unisono. „Wir haben sie doppelt wiederbelebt: In diesem Spiel und in der Tabelle“, ergänzte Fabian, der wie alle Bochumer extrem niedergeschlagen war – deutlich sichtbarer als noch in den Wochen zuvor. „So zu verlieren, das ist mehr als nur eine Niederlage. Das nagt an uns.“ Doch was ist jetzt zu tun? Wie kann der VfL – der in dieser Verfassung dem Abstieg entgegentaumelt – wieder die Kurve kriegen und sich retten?
Letsch ohne Lösungen
Bislang war keine Idee die richtige, um die Mannschaft zu stabilisieren. Trainer Thomas Letsch, der normalerweise immer große Zuversicht ausstrahlt, wirkt ratlos. Seine Antworten nach der Niederlage in Köln fielen ziemlich knapp aus, zu einer echten Analyse setzte er gar nicht erst an. „Wenn alle Entscheidungen richtig gewesen wären, hätten wir nicht verloren“, sagte Letsch. Der 55-Jährige verfolgt längst keine klare Linie mehr und experimentiert zunehmend, wohlwissend, dass er sich mit vermeintlich innovativen Ideen schon mehrfach vercoacht hat. Vor allem während des Spiels findet er selten passende Lösungen.
In Köln verzichtete Letsch zum Beispiel auf beide Außenstürmer, spiegelte stattdessen mit einem kompakten Mittelfeld-Zentrum und einer Doppelspitze den Gegner. Das funktionierte in der Defensive gegen harmlose Kölner zwar lange Zeit recht gut, eigene Angriffe waren aber stets Zufallsprodukte. In der Schlussphase verlor der VfL nach einigen Wechseln komplett den Zugriff, sorgte nicht mehr für Entlastung und fing sich so die späten Gegentreffer. 21 Punkte hat der VfL nun schon nach eigener Führung verspielt, 14 Gegentore in der Schlussviertelstunde kassiert. „Wenn es so oft passiert, ist es kein Pech mehr“, betont Fabian. Einfach zu erklären ist dieses Phänomen trotzdem nicht.
Die Negativserie allein auf fehlende Kaderqualität zu schieben, würde zu kurz greifen, schließlich hat sich dieselbe Mannschaft bis Mitte Februar einen mehr als ordentlichen Abstand zu den Abstiegsrängen erarbeitet. Ihr fehlende Motivation nachzusagen, weil zahlreiche Spieler im Sommer wechseln werden, ist ein naheliegender Reflex, lässt sich aber nur schwer belegen. Was dagegen längst offensichtlich ist: Die Mannschaft hat ein Kopfproblem. Spätestens ab der Schlussviertelstunde agiert sie zunehmend konfus und verliert die Ordnung. Die Spieler wirken verunsichert, warten förmlich auf den nächsten Einschlag. Dass Letsch diese Haltung mit seinen oft defensiven Wechseln und taktischen Umstellungen erst auslöst, lässt sich nicht von der Hand weisen. Wobei positionsgetreue Wechsel in der Vergangenheit auch nicht immer erfolgversprechend waren.
Trainerwechsel wahrscheinlich
Wie auch immer: Letsch steht in der Verantwortung, die Mannschaft wieder auf Kurs zu bringen. Noch. Zwar betonte Fabian am Samstagabend, dass er „kein Freund von blindem Aktionismus“ sei, ein klares Bekenntnis zu Thomas Letsch vermied er allerdings: „Wir sind alle gefordert, auch das Trainerteam. Wir werden gemeinsam besprechen, wie die Lösungsansätze aussehen.“ Am Sonntag folgten mehrere Gespräche, nicht nur mit dem Trainer, auch mit dem Mannschaftsrat und in den Klubgremien. Die Tendenz: Letsch darf nicht weitermachen, weil den allermeisten Beteiligten der Glaube an eine gemeinsame Trendwende fehlt.
Klar ist auch: Von den Verantwortlichen will sich am Saisonende niemand vorwerfen lassen, nicht alles für den Klassenerhalt getan zu haben. Sechs Spiele stehen noch an, möglicherweise auch acht, falls der VfL am Ende auf Platz 16 und damit in der Relegation landet. Sollten Fabian und seine Mitstreiter in der Chefetage die Notwendigkeit für einen neuen Impuls sehen, dann wäre der jetzige Zeitpunkt vor dem Heimspiel gegen Heidenheim vermutlich der passendste – damit die totgesagten Bochumer in der Bundesliga überleben.
Dieser Text wurde am Samstagabend erstmals veröffentlicht und im Laufe des Sonntags aktualisiert.
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(Foto: Imago / Nordphoto)