Wie kann es eigentlich sein, dass im Profifußball immer wieder eine Diskussion über Einstellung oder Mentalität aufkeimt? Nicht einmal von Fans oder Journalisten losgetreten, sondern – wie derzeit in Bochum – direkt von Teilen der Mannschaft? Nicht anders ist es zu verstehen, wenn etablierte Spieler wie Saulo Decarli und Anthony Losilla öffentlich die „Bereitschaft“ bemängeln, über 90 Minuten konzentriert zu bleiben und alles zu geben.
Bleibt es bei dieser Haltung, bei zu wenig Gier und schneller Selbstzufriedenheit, dann könnte diese Saison böse enden. Denn der VfL schickt derzeit kein funktionierendes Team, keine Einheit ins Rennen. Nur, weil jeder an sich denkt, ist nicht automatisch an alle gedacht. Erste Indizien dafür gab es schon in der Saisonvorbereitung, speziell im Trainingslager. Und es verstärkt sich von Mal zu Mal, wenn man Verhaltensweisen im Kabinentrakt oder auf dem Platz beobachtet, wenn sich Spieler gegenseitig die Schuld zuschieben.
Wenig Zusammenhalt
Die Probleme, die Torhüter Manuel Riemann schon nach dem vierten Spieltag öffentlich gemacht hat, sind bis heute nicht gelöst. Mehr als deutlich hatte er schon Ende August die Einstellung einiger Mitspieler kritisiert. Genau diese Nachlässigkeiten sind es, die dem VfL Woche für Woche wichtige Punkte kosten. Auch Trainer Thomas Reis ist es bislang nicht gelungen, altbekannte Muster zu durchbrechen, die schon Vorgänger Robin Dutt deutlich kritisiert hatte.
Beim VfL liegt vieles im Argen. Diese Mannschaft wurde nicht nur sportlich schlecht zusammengestellt, es fehlen auch passende Charaktere – Führungsspieler, die intern Gehör finden und nicht belächelt werden, Mentalitätsspieler, die auf dem Platz vorangehen und andere in ihren Bann ziehen. Bis auf Kapitän Anthony Losilla, vom Wesen her aber kein Lautsprecher, und Torhüter Manuel Riemann, der den Bogen gerne mal überspannt, ist kaum noch jemand da.
Hinzu kommt, dass es speziell jüngere Spieler gibt, denen eine professionelle Spielvorbereitung nicht so wichtig ist. Es sind Kleinigkeiten, die zeigen, dass sie keine Disziplin an den Tag legen. Wenn sogenannte Profis meinen, am Vorabend eines Pflichtspiels Grenzen austesten zu müssen, indem sie Bestellungen auf ihr Zimmer tätigen, die der Trainer aus guten Gründen abfangen muss – und so einen Vorfall hat es in dieser Saison schon gegeben – dann ist das nur der erste Teil der Geschichte.
Der zweite Teil ist nämlich, dass der erhöhte Betreuungsbedarf von den Verantwortlichen offensichtlich nicht erkannt wurde. Tatsächlich ist es so, dass die Spieler den Nachmittag und Abend vor dem Heimspiel gegen Karlsruhe nicht etwa gemeinsam im Hotel verbracht haben, sondern ganz individuell. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass ein Jungprofi, der am nächsten Tag zum Bochumer Kader gehört, am Vorabend in einem Fanblock bei Borussia Dortmund steht – und ein Video vom Torjubel auf Instagram postet. In anderen Städten würde das medial ein mittelschweres Erdbeben auslösen.
Kaum Professionalität
Um es deutlich zu sagen: Da hilft auch kein Social-Media-Kurs, das ist eine Frage der inneren Haltung. Mit Profis, die so ticken, wird der VfL nicht erfolgreich sein. Die Krönung des Ganzen ist ja, dass genau dieser Akteur sogar aus dem eigenen Nachwuchs stammt und über die Vereinsmedien als „Spieler Bochumer Prägung“ angepriesen wird. Doch wer soll sich mit solchen Spielern identifizieren? Und warum gibt es niemanden im Verein, der endlich an maximaler Professionalität und Disziplin arbeitet? All das muss von oben vorgelebt werden.
Einzelfälle gibt es in jedem Klub. Doch beim VfL kommt es viel zu oft vor, dass Spieler am längeren Hebel sitzen. Wenn einer von ihnen davon erzählt, dass er in seinem ersten Jahr in Bochum gar keinen Sprachkurs besucht hat, dieser aber auch nicht verpflichtend war, und es Teamkollegen gibt, die sich das Spiel ihrer Mannschaft gar nicht anschauen, wenn sie nicht selbst zum Kader gehören, lässt das ziemlich tief blicken. Auf den ersten Blick sind es nur Kleinigkeiten. Aber genau diese Einstellung hat Einfluss auf den sportlichen Erfolg. Ändert sich daran nichts, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.
(Foto: Imago / Team 2)