Interview – Teil 2 von 2

„Meine Welt war klein“: Letsch über seine ungewöhnliche Vita

Seit drei Monaten ist Thomas Letsch Cheftrainer des VfL Bochum. Mit ihm hat der Revierklub im Abstiegskampf neue Hoffnung geschöpft. Im zweiten Teil des großen Interviews mit Tief im Westen – Das VfL-Magazin spricht der 54-Jährige über seinen früheren Beruf als Lehrer, über verschiedene Auslandserfahrungen und das Leben in Bochum.

Herr Letsch, können Sie an den Feiertagen ein bisschen abschalten oder muss trotz des Urlaubs zwischendurch etwas besprochen werden?

Es ist nie alles besprochen. Wir arbeiten in einem Beruf, in dem man nie ganz abschalten kann, in dem auch immer wieder Überraschendes passieren kann. Deshalb bleibe ich mit Patrick Fabian praktisch täglich im Austausch, aber nicht am Heiligen Abend. Als ich zum Weihnachtsessen bei meinen Eltern saß, habe ich das Handy zur Seite gelegt. Weil es entscheidet sich nicht am 24. Dezember zwischen 17 und 20 Uhr, ob wir den Klassenerhalt schaffen oder nicht.

War das in Ihrem früheren Beruf entspannter? Als Lehrer für Mathematik und Sport konnten Sie wirklich mal abschalten.

Je mehr Verantwortung, desto weniger Urlaub und Freizeit. Aber das gilt für viele Jobs, auch außerhalb des Fußballs. Und als Lehrer habe ich in den Ferien immer korrigiert, Unterricht vorbereitet oder irgendwelche Fortbildungen besucht. Es war damals genau das Gleiche (lacht).

Heutzutage ist es ziemlich ungewöhnlich, wenn ein Spieler oder Trainer schon einen Job außerhalb des Profifußballs hatte. Hilft Ihnen das manchmal oder ist es eher ein Nachteil, dass Sie erst später eingestiegen sind? 

Ein Nachteil? Ich denke nicht, jedenfalls jetzt nicht mehr. Natürlich: Wenn du selber kein Fußballprofi warst, dann kennst du ein paar Abläufe noch nicht. Diese Erfahrungen musste ich erst sammeln. Aber inzwischen bin ich lange genug dabei. Ich glaube, es ist sogar ein Vorteil, eine gewisse Lebenserfahrung zu haben, auch abseits des Fußballs. Man kann ein paar Dinge ganz gut relativieren, weil der Fußballbereich manchmal speziell sein kann. Alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, hat mich weitergebracht. Ich weiß, dass mein Weg ein außergewöhnlicher ist.

Ist eine Fußballmannschaft mit einer Schulklasse vergleichbar? 

Es gibt nur eine Gemeinsamkeit: Man steht vor einer Gruppe und leitet sie. Aber die Gruppe an sich ist natürlich eine völlig andere, nicht nur vom Alter her. Jeder hat individuelle Ziele, gleichzeitig geht es aber darum, ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Und als Cheftrainer im Profibereich hat man ja nicht nur die Spieler, sondern auch das Trainerteam, das Management, den Austausch mit Fans und der Presse. Letzten Endes muss man auch mehr Entscheidungen treffen. In der Schule darf jeder an einer Klassenarbeit teilnehmen. Beim Fußball dürfen nur elf Spieler anfangen.

Zwischen 2009 und 2012 haben Sie eine Art Fußballpause eingelegt. Vorher waren Sie Trainer im gehobenen Amateurbereich. Dann sind Sie als Lehrer ins Ausland gegangen. Wie kam es dazu?

Ich bin 2009 nach Portugal an die deutsche Schule gewechselt. Da war ich 41 Jahre alt und mein ganzes Leben hat sich vorher in einem Umkreis von 30 Kilometern abgespielt. Wir waren die klassische schwäbische Familie. So wurde ich erzogen, so haben meine Eltern gelebt und meine Welt war klein. Dann aber gab es plötzlich diese Möglichkeit, und mein Leben hat sich sehr verändert: ein anderes Land, eine andere Sprache, eine andere Kultur.

Wie sehr hat Sie das geprägt?

Ich muss dazu sagen, dass ich mich aktiv auf den Auslandsschuldienst beworben haben. Ich hatte auch ein Angebot aus Venezuela, wegen der politischen Lage damals habe ich aber darauf verzichtet. Lissabon hat uns – meine Frau und mich – dann sehr gereizt, wir waren drei Jahre dort. Heute bin ich froh, das gemacht zu haben. Es hat mich verändert, ich habe ganz neue Eindrücke mitnehmen können. Es war eine fantastische Zeit. Und meine persönliche Welt ist deutlich größer geworden.

Umso mehr, als plötzlich Red Bull Salzburg angeklopft hat?

Eigentlich hatten wir vor, drei weitere Jahre in Portugal zu bleiben. Aber dann rief Ralf Rangnick an und fragte mich, ob ich hauptberuflich im Nachwuchs bei Red Bull Salzburg anfangen wolle. Fußball war immer meine Leidenschaft, aber ich hatte damals noch keine Fußballlehrerlizenz und eigentlich war ich ein Sicherheitsmensch. Ich musste überlegen, was ich mehr wollte, und dann auch eine Entscheidung treffen. Das Beamtenverhältnis zu kündigen, fiel mir nicht leicht.

Sie haben es dennoch gewagt und sind mit 54 Lebensjahren schließlich Bundesliga-Trainer geworden. Wann haben Sie begonnen, davon zu träumen?

Mein persönliches Glück hängt nicht allein davon ab, ob ich in der Bundesliga arbeite oder nicht. Ich habe mich bereits im Sommer mit einigen Vereinen ausgetauscht, auch aus der Bundesliga. Aber das richtige Gefühl, dass es wirklich passen könnte, hatte ich dann erst beim VfL Bochum. Das beruht natürlich immer auf Gegenseitigkeit.

Sie waren zuletzt bei Vitesse Arnheim tätig. Warum haben Sie dort während der laufenden Saison Ihre Zelte abgebaut, um zum Tabellenletzten der Bundesliga zu wechseln?

Ich hatte dort zwei fantastische Jahre mit einigen Erfolgen. Aber schon im Sommer hatte ich das Gefühl, das werden wir nicht toppen können. Nach dem Saisonstart gab es dann plötzlich die Gelegenheit, nach Bochum zu wechseln. Und das ging nur, weil es Vitesse zugelassen hat. Ich bin normalerweise nicht der Mensch, der mittendrin abhaut. Aber in Arnheim gab es eine gewisse Unsicherheit, mein Vertrag lief aus und an der Spitze des Klubs gab es einen Besitzerwechsel – und ich hatte große Lust auf die Aufgabe beim VfL. Ich dachte mir: Das ist schwer, aber machbar.

Sie haben sich für einen Umzug ins Ruhrgebiet entschieden. Kannten Sie die Region vorher überhaupt?

Nicht wirklich. Aber das war kein Problem. Ich komme aus Esslingen am Neckar, habe in drei Ländern gelebt und dabei in wunderbaren Städten wie Wien und Salzburg gelebt, aber auch im eher beschaulichen Erzgebirge, wenn auch nur kurz. Ich wusste, wie die Leute hier im Ruhrpott ticken: Sie sind direkter als bei uns in Schwaben. Und es ist eine Arbeiterregion. Landschaftlich sieht es also etwas anders aus als in Salzburg, wo meine Frau und meine Tochter heute leben.

Hatten Sie überhaupt schon die Gelegenheit, Bochum ein wenig zu erkunden?

Bislang kaum, wobei ich schon einige Male durch die Innenstadt geschlendert bin. Die meiste Zeit verbringe ich auf dem Vereinsgelände. Neulich hatten wir unsere Weihnachtsfeier im Haus Kemnade. Da bin ich mal ein bisschen rausgekommen und habe gesehen, was die Region zu bieten hat. In das kulturelle Leben bin ich ansonsten noch nicht eingetaucht.

Kennen Sie denn das Bermuda-Dreieck schon? Geht es nach den Fans, sollen Sie da spätestens im Mai oder Juni landen und feiern.

Da war ich auch schon, aber tagsüber, um mal eine Currywurst zu probieren. Ich weiß also, was mich da erwartet. Sie können sich sicher sein: Wenn es was zu feiern gibt, werden wir das tun. Und dann werde ich das Bermuda-Dreieck sicher wiederfinden. Aber so weit sind wir noch nicht.

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Das war der zweite Teil des großen Interviews mit Thomas Letsch. Der erste ist am 24. Dezember erschienen. Darin hat der Bochumer Trainer verraten, wofür er die WM-Pause genutzt hat, mit welcher Grundordnung der VfL ins neue Jahr starten wird und wie er den Kader im Winter gerne verändern würde.

(Foto: Imago / Sven Simon)