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Letsch im Interview: „Blauäugig, so in die Rückrunde zu gehen“

Seit drei Monaten ist Thomas Letsch Cheftrainer des VfL Bochum. Mit ihm hat der Revierklub im Abstiegskampf neue Hoffnung geschöpft. Im ersten Teil des großen Interviews mit Tief im Westen – Das VfL-Magazin verrät der 54-Jährige, wofür er die WM-Pause genutzt hat, mit welcher Grundordnung der VfL ins neue Jahr starten wird und wie er den Kader im Winter gerne verändern würde.

Herr Letsch, wie intensiv haben Sie die Fußball-WM verfolgt?

Als das Turnier losging, waren wir im Urlaub. Da habe ich noch mehr Spiele gesehen als in den Wochen danach. Ich habe also vor allem die Vorrunde verfolgt und die Spiele ab dem Viertelfinale, die zum Teil richtig gut waren, insbesondere das Finale. Argentinien hat am Ende verdient gewonnen.

Gab es eine Mannschaft, die Sie aus Trainersicht beeindruckt hat?

Überrascht hat mich, dass es nur wenige Tore nach Standardsituationen gab. Ansonsten gab es aus sportlicher Sicht nicht viel Neues bei dieser WM. Es hat sich aber wieder gezeigt, dass die Mannschaften, die stabil stehen und wenig zulassen, auch erfolgreich sind. Argentinien ist das beste Beispiel dafür. Es hat sich auch bestätigt, dass die vermeintlich kleinen Nationen immer besser werden. Marokko hat es vorgemacht, was man als Mannschaft erreichen kann – und dass inzwischen jedes Land über eine gewisse Qualität verfügt. Deshalb sind dann auch Deutschland oder Spanien relativ früh ausgeschieden.

In der öffentlichen Diskussion, gerade rund um die deutsche Nationalmannschaft, ist die Mittelstürmer-Problematik wieder ein großes Thema geworden. Zurecht?

Es gab Zeiten, da war Spanien die Nummer eins der Welt, ohne Mittelstürmer und mit einer falschen Neun. Wenn du keinen Erfolg hast, dann gehen die Diskussionen los. Aber es gibt aus meiner Sicht immer mehrere Gründe für ein solches Ausscheiden. Die Mittelstürmer-Diskussion mag berechtigt sein, aber uns allen sollte auch klar sein, dass wir dieses Problem nicht sofort beheben können. Wenn wir jetzt im Nachwuchs damit beginnen, dauert es zehn bis 15 Jahre, bis ein Spieler fertig ausgebildet ist.

Um die Brücke zum VfL zu schlagen: Hier haben Sie mit Philipp Hofmann noch einen klassischen Neuner im Kader.

Und ich bin froh, dass wir diesen selten gewordenen Spielertypen im Kader haben, vor allem im Abstiegskampf der Bundesliga. Unsere Aufgabe ist es, ihn optimal einzubinden. Philipp Hofmann hat etwas Zeit gebraucht, um in der Bundesliga anzukommen, aber nun ist er für unser Spiel extrem wichtig. Mit Silvere Ganvoula haben wir sogar noch einen zweiten Mittelstürmer. Er ist ein etwas anderer Typ, weil er die Bälle nicht so hält wie Philipp. Aber auch er ist groß und sehr präsent.

Sie haben in Ihrer ersten Pressekonferenz beim VfL Bochum gesagt, dass die besten Spieler auf ihren besten Positionen spielen müssen. Haben Sie mittlerweile für jeden die optimale Position gefunden?

Die Ausgangsfrage ist ja: Welche Spieler für welche Positionen haben wir? Danach richtet sich die Systematik. Wir haben zum Beispiel viele Spieler mit sehr viel Geschwindigkeit, speziell auf den offensiven Außenpositionen. Also versuchen wir, sie am besten einzubinden, aber auch weiterzuentwickeln. Christopher Antwi-Adjei ist da ein gutes Beispiel. Er hat sein Leben lang außen gespielt. Mit dem Ball soll er nun aber auch häufiger nach innen ziehen und dort für Gefahr sorgen. Das hat zuletzt ganz gut geklappt.

Es gibt auch Spieler, die auf mehreren Positionen überzeugen. Wie gehen Sie mit denen um?

Nehmen wir Konstantinos Stafylidis. Er ist ein sehr guter Linksverteidiger, hat in der Nationalmannschaft aber schon als Innenverteidiger gespielt, beim VfL sogar als Rechtsverteidiger und zuletzt auf der Sechs. Am stärksten bleibt er als Linksverteidiger. Aber ich bin froh, Spieler zu haben, die eine gewisse Flexibilität mitbringen. Entscheidend ist, dass am Ende ein funktionierendes Team auf dem Platz steht.

Haben Sie Ihre anfängliche Idee, auch in Bochum auf eine Dreierkette zu setzen, nun verworfen?

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Grundordnung jetzt nochmal wechseln, ist nicht so groß. Eher mal im Laufe eines Spiels, dass wir dann umswitchen, aber darauf liegt im Training jetzt nicht der Fokus. Vielmehr geht es in der Vorbereitung auf die Restsaison um alle Phasen des Spiels, um Detailaufgaben für jede Position, um den Spielaufbau, ums Attackieren, um defensive wie offensive Umschaltmomente. Daran arbeiten wir. Das hat nicht unbedingt etwas mit der Grundordnung zu tun.

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Die WM-Pause im Winter ist außergewöhnlich und womöglich einmalig. Wie ist es Ihnen in den zurückliegenden Wochen gelungen, die Spannung hochhalten, ohne Spielbetrieb?

Damit umzugehen, war genau die Herausforderung. Uns fehlte der wöchentliche Wettkampf, das nächste Pflichtspiel ist erst am 21. Januar. Wir haben die Inhalte so gewählt, dass wir sehr intensiv und umfangreich trainiert haben, damit es gar nicht erst die Möglichkeit gab, nachlässig zu werden. Die Momente, in denen ich die Mannschaft anschieben musste, waren extrem selten. Das spricht für den Charakter der Truppe. Ich denke, dass wir die Zeit gut genutzt haben.

Ab dem 2. Januar folgt dann der zweite Vorbereitungsblock.

Die Weihnachtspause ist kurz, es sind nur zehn freie Tage. Konditionell dürfen wir jetzt nichts verlieren, deshalb gibt es auch Trainingspläne für diese Zeit. Danach geht es relativ schnell. Wir haben hier ein paar Tage, dann fliegen wir ins Trainingslager, wo es um taktische Feinheiten geht und darum, dass wir uns einspielen für das Spiel gegen Hertha BSC.

Sie haben nach dem Testspiel gegen Zwolle gesagt, dass Sie vor Weihnachten schauen wollen, wer sich als Alternative aufdrängt, auch mit Blick auf mögliche Wintertransfers. Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen?

Neue Erkenntnisse eher weniger. Vielmehr hat sich einiges bestätigt. Ich denke, dass wir in der Offensive sehr gut aufgestellt sind und viele Alternativen haben, vor allem auf den Außenbahnen mit Christopher Antwi-Adjei, Gerrit Holtmann, Simon Zoller, Jordi Osei-Tutu und Tarsis Bonga. Auch Takuma Asano kommt jetzt wieder dazu. Da haben wir sowohl Quantität als auch Qualität. Auch im Tor, auf den Außenverteidigerpositionen und im Sturmzentrum sind wir ganz gut aufgestellt.

Bedarf gibt es folglich im zentralen Mittelfeld und in der Innenverteidigung.

Wenn wir im zentralen Mittelfeld mit drei Spielern beginnen, haben wir Anthony Losilla, Kevin Stöger, Philipp Förster und Patrick Osterhage als Optionen. Theoretisch auch Jacek Goralski, aber wir wissen alle nicht, wie er nach seiner Verletzungspause zurückkommt. Natürlich kann auch Konstantinos Stafylidis im Zentrum spielen, aber eigentlich ist er Außenverteidiger. Es darf im zentralen Mittelfeld also nicht viel passieren. Wenn alle fit sind, reicht das. Aber es wäre blauäugig, so in die Rückrunde zu gehen.

Und in der Abwehr?

Da müssen wir berücksichtigen, wie und wann Dominique Heintz zurückkommt, wie weit Tim Oermann schon ist und noch einiges mehr. Grundsätzlich ist das eine Position, auf der wir uns umschauen, vielleicht auch einen etwas anderen Spielertyp suchen.

In der Gerüchteküche taucht der Name Keven Schlotterbeck auf. Ein interessanter Kandidat?

Er ist ein Spieler aus der Bundesliga, den wir kennen und der seinen Wechselwunsch zuletzt geäußert hat. Natürlich sprechen wir intern über ihn – wie auch über andere Namen. Es gibt auch Spieler, mit denen wir in Kontakt sind, von denen die Öffentlichkeit noch nichts weiß. Und das ist auch gut so.

Müssten die Neuzugänge schon zum Trainingsstart am 2. Januar dabei sein?

Das wäre ideal. Selbst dann haben wir nur noch drei Wochen bis zum ersten Pflichtspiel. Danach geht es Schlag auf Schlag: Englische Woche, normale Woche, englische Woche – viele Spiele in kurzer Zeit. Es geht darum, einen Spieler schnell in die Mannschaft zu integrieren, sportlich wie menschlich. Und das ist im Winter immer schwieriger als im Sommer.

Das war der erste Teil des großen Interviews mit Thomas Letsch. Der zweite erscheint am 26. Dezember. Darin geht es dann unter anderem um seinen früheren Beruf als Lehrer, um verschiedene Auslandserfahrungen und das Leben in Bochum.