1:5 gegen Wolfsburg

Letsch verzockt sich: Defensiv desolat – und trotzdem gefeiert

Eigentlich wusste es Thomas Letsch doch besser. Auf die Frage, ob Jordi Osei-Tutu ein Verteidiger oder doch ein angreifender Flügelspieler sei, gab er eine klare Antwort: „Ich sehe ihn eher in der Offensive.“ Letsch ignorierte diese Erkenntnis bei seiner Aufstellung allerdings und setzte Osei-Tutu erneut als Abwehrspieler ein. Für den VfL Bochum hatte das gravierende Folgen: Osei-Tutu war mit einem Doppel-Fehler am ersten Gegentor beteiligt und leitete das 1:5-Debakel gegen den VfL Wolfsburg entscheidend mit ein. Auch ansonsten war er heillos überfordert.

Außenverteidiger besonders schwach

Allerdings wäre es viel zu einfach, die zweithöchste Saisonniederlage nur Osei-Tutu oder Letsch in die Schuhe zu schieben. Die gesamte Mannschaft hat große Schwächen gezeigt, vor allem defensiv. Danilo Soares erwischte ebenfalls einen rabenschwarzen Tag, hatte mit dem agilen Patrick Wimmer große Probleme, wirkte von Beginn an unkonzentriert und traf häufig die falschen Entscheidungen. Manuel Riemann patzte erneut, das 0:4 ging eindeutig auf die Kappe des Torwarts. Selbst erfahrene Kräfte wie Kevin Stöger oder Anthony Losilla gingen gemeinsam mit ihren Teamkollegen unter. Lichtblicke gab es nur wenige. Moritz Broschinski, der das Tor zum 1:4 erzielt hat, machte einen deutlich agileren Eindruck als der erkrankte Philipp Hofmann, der zur Pause in der Kabine blieb.

Schon während der ersten Hälfte korrigierte Letsch einen Fehler, nahm Osei-Tutu vom Feld und brachte Cristian Gamboa. „Jordi hatte große Probleme und hat nicht das auf den Platz gebracht, was wir vorher besprochen hatten. Deshalb haben wir reagiert“, erklärte Letsch, der sich mit seiner ursprünglichen Idee klassisch verzockt hat. Dass er trotz Alternativen – mit Gamboa und Konstantinos Stafylidis saßen zwei defensivstarke Außenverteidiger auf der Bank – erneut auf Osei-Tutu gesetzt hat, begründete er später so: „Wir wollten den Gegner spiegeln, ähnlich wie in Berlin. Da hat es Jordi ordentlich gemacht. Außerdem war Cristian Gamboa noch nicht bereit für 90 Minuten.“

Sechsmal mindestens vier Gegentore

Auch die Startelfnominierung von Simon Zoller für den angeschlagenen Takuma Asano hatte keinen positiven Effekt. Zwar ist Zoller überaus eifrig beim Anlaufen und Attackieren, doch seine brauchbaren Offensivaktionen halten sich seit geraumer Zeit in Grenzen, ein echter Flügelstürmer ist er ohnehin nicht. Der erhoffte Nebeneffekt, dass sich seine mitreißende Art auf die Mitspieler überträgt, blieb gegen Wolfsburg ebenfalls aus. Vor allem in den ersten 45 Minuten verweigerte der VfL in vielen entscheidenden Situationen eine konsequente Zweikampfführung, leistete sich haarsträubende Ballverluste, bot den Wolfsburgern viel zu große Räume an und gewährte beim zweiten und dritten Gegentreffer allenfalls Geleitschutz. Teilweise kam noch Slapstick hinzu.

Dass der VfL in beiden Halbzeiten zumindest nach Standardsituationen mehrere gute Chancen hatte, und trotz des 0:3-Pausenrückstands mit Elan und Mut aus der Kabine gekommen war, ist am Ende allenfalls eine Randnotiz wert. Spätestens mit dem vierten Gegentor war das Spiel entschieden. „Wir haben es dem Gegner bei allen fünf Toren viel zu leicht gemacht. Das ärgert mich, weil wir schon gezeigt haben, dass wir uns eigentlich verbessert haben“, sagte Letsch. Fakt ist aber auch: Bereits sechsmal in dieser Saison kassierte der VfL mindestens vier Gegentreffer – eine besorgniserregende Bilanz. Zumal als nächstes der neue Tabellenführer im Ruhrstadion gastiert.

Jetzt kommt Tabellenführer Dortmund

Bereits am kommenden Freitag kommt es zum brisanten Aufeinandertreffen mit dem BVB. Doch was macht dem VfL für das Derby gegen Dortmund Mut? Vielleicht die Tatsache, dass die Mannschaft in dieser Saison schon mehrfach (unerwartet) positiv auf einen herben Dämpfer reagiert hat. Oder dass viele Fans ihre Mannschaft trotz der 1:5-Pleite noch minutenlang gefeiert haben, was einige Spieler offenbar schwer beeindruckt hat. „Alle im Stadion brennen dafür, dass wir in der Liga bleiben. Das zeichnet Bochum aus“, stellte Thomas Letsch beeindruckt fest, nachdem er seine Spieler auch deswegen noch einmal in der Kabine versammelt hatte. Schließlich ist trotz der Niederlage gegen Wolfsburg nichts Gravierendes passiert. Ja, der VfL hat eine große Chance vergeben.

Doch Konkurrenten wie Hertha oder Hoffenheim haben ebenfalls gepatzt, Stuttgart als womöglich gefährlichster Verfolger nur einen Punkt geholt. Bedeutet also: Der VfL hat den Klassenerhalt fünf Spieltage vor Schluss weiter in der eigenen Hand, notfalls über die ungeliebte Relegation. Ein Problem allerdings: Ausgerechnet im Endspurt scheint die Heimstärke abhandenzukommen. Erst gab es fünf Siege in Folge, nun vier Niederlagen in fünf Partien. Trotzdem bleibt das Ruhrstadion im Abstiegskampf ein wichtiger Ort für womöglich entscheidende Momente.


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(Foto: Imago / RHR-Foto)