Krise

Taktik, Psyche, Kaderqualität: Gründe für die VfL-Krise

Leidgeprüft sind die Fans des VfL Bochum seit 1848. Abstiegskämpfe gehören quasi zur Klub-DNA. Dass auch die aktuelle Spielzeit nichts für schwache Nerven werden würde, war im Vorfeld fast zu erwarten, wohl aber nicht in dieser Ausprägung. Nach 30 von 34 Spieltagen lässt sich die Saison gut in drei Abschnitte unterteilen. Nach großen Startschwierigkeiten und zehn Ligaspielen ohne Sieg folgte eine Stabilisierungs- und Erfolgsphase, die mit dem Hinspiel in Darmstadt begann und mit dem furiosen Heimsieg gegen die Bayern endete. Anschließend ging es wieder (steil) bergab.

Doch was sind die Gründe dafür? Warum steht der VfL Bochum aktuell auf dem Relegationsplatz und ist seit acht Partien sieglos? Klar ist: Die Probleme sind vielfältig. Die Talfahrt allein auf taktische Fehler, auf die Psyche oder auf fehlende Kaderqualität zu schieben, würde zu kurz greifen. Dass all diese Punkte im Zusammenspiel trotzdem eine entscheidende Rolle spielen, liegt auf der Hand. Eine Ursachenforschung.

Psyche: Acht Gegentreffer hat der VfL in dieser Saison allein in den Nachspielminuten kassiert und so gleich mehrere Siege aus der Hand gegeben. Schon ab der 75. Minute ist ligaweit keine Mannschaft anfälliger. Ganze 21 Punkte haben die Bochumer bereits nach einer eigenen Führung verspielt. Besonders bitter: Das 2:2 zu Hause gegen Darmstadt und das späte 1:2 in Köln. Das macht sich nicht nur auf dem Punktekonto bemerkbar, sondern auch in den Köpfen der Spieler. Die Verunsicherung ist groß. Gerade in der Saisonendphase spielt die Psyche bekanntermaßen eine wichtige Rolle. In Mainz ist angesichts der Aufholjagd im Tabellenkeller eine neue Euphorie entstanden, in Bochum herrscht dagegen Tristesse – obwohl beide Mannschaften aktuell 27 Punkte auf dem Konto haben. Möglicherweise hätte schon ein einziger Sieg in den zurückliegenden Wochen geholfen und die Laune beim VfL wäre eine ganz andere. Wahrscheinlich wäre Thomas Letsch dann auch noch Bochums Trainer.

Schiedsrichter: Mehrfach gab es Schiedsrichter-Entscheidungen in den Spielen des VfL, über die im Nachgang intensiv diskutiert wurde – wobei zwischen strittig und falsch zu unterscheiden ist. Eindeutig falsch waren nur wenige. Allerdings haben die Unparteiischen im Zweifel oft gegen den VfL entschieden. Das hat schon in der Hinrunde begonnen, erreichte Ende Februar und im März aber seinen Höhepunkt. In Mönchengladbach und in Mainz gab es jeweils einen sehr zweifelhaften Elfmeter gegen Bochum, gegen Leipzig und Freiburg wurde dem VfL jeweils ein klarer Strafstoß verweigert. Zudem hatten Mönchengladbach und Freiburg Glück, das Spiel trotz heftiger Fouls in voller Mannstärke zu beenden. Einziger Vorteil für Bochum: Der regelwidrig entstandene und trotzdem anerkannte Führungstreffer gegen Leipzig. In Summe überwog aber der Ärger. Spielentscheidend waren die Schiedsrichter-Leistungen sicher nicht, gehörig Einfluss genommen haben sie allerdings schon.

Kaderqualität: Der Mannschaft generell ihre Bundesligatauglichkeit abzusprechen, würde zu weit führen, sonst hätte sie weder die Bayern noch Stuttgart geschlagen und stünde nicht in Reichweite zu namhafter und finanzstarker Konkurrenz. Das Gebilde aber ist fragil. Vor allem in der Breite mangelt es an Qualität. Fällt etwa einer der Flügelstürmer aus oder sind Takuma Asano und Christopher Antwi Adjei außer Form – was aktuell der Fall ist – gibt es im Kader keine adäquate Alternative. Im Sommer und im Winter wurden entweder die falschen oder zu wenige Spieler verpflichtet. Von den Neuzugängen hat nur einer vollauf überzeugt: Defensivallrounder Bernardo. Mit Abstrichen haben auch Matus Bero oder Maximilian Wittek ihre Qualitäten einbringen können. Insgesamt fällt die Bilanz aber eher enttäuschend aus. Die Folge der unzureichenden Kaderplanung: Weder die Anzahl der Gegentreffer noch die Häufigkeit eigener Torerfolge hat sich im Vergleich zur vergangenen Saison entscheidend verbessert.

Taktik: Heiko Butscher setzt auf das Personal, das auch Thomas Letsch oft ins Rennen geschickt hat. Die gesamte Herangehensweise hat sich nicht großartig verändert. Die aktuelle Negativserie begann allerdings auch deshalb, weil Letsch zu häufig daneben lag. Bestes Beispiel: Gegen Gladbach, Leipzig, Freiburg, Mainz und Darmstadt durften sich in fünf Spielen fünf unterschiedliche Rechtsverteidiger ausprobieren. Auch in der Dreier-Angriffsreihe haben weder Letsch noch Butscher bislang die Optimallösung im Rahmen der Bochumer Möglichkeiten gefunden. Letsch wurden zudem seine unglücklichen, oft zu defensiven Auswechslungen zum Verhängnis. Im nun anstehenden Heimspiel gegen Hoffenheim muss Butscher zeigen, dass er auch eigene Ideen entwickeln kann. Patrick Osterhage und Christopher Antwi-Adjei fallen aus, Takuma Asano womöglich auch. Weitere Wechsel sind zu erwarten. Ivan Ordets könnte für den zuletzt schwachen Erhan Masovic beginnen, Tim Oermann für Felix Passlack.

Verträge: Dass beim VfL im Sommer ein größerer Kaderumbau ansteht, ist längst bekannt. Möglicherweise ist genau das aber schon jetzt ein Problem. Viele Spieler wissen bereits, dass sie in der kommenden Saison ein anderes Trikot tragen werden. Offensichtliche Einstellungsprobleme gibt es zwar keine, unterbewusst kann das aber dennoch eine Rolle spielen, etwa bei der Vermeidung von Verletzungen. Patrick Osterhage hat bereits einen neuen Vertrag in Freiburg unterschrieben, ist sogar während der laufenden Saison in den Breisgau gefahren, um sich dort im Stadion ablichten zu lassen. Auch Kevin Stöger sieht seine sportliche Zukunft bei einem finanzkräftigeren Bundesligisten. Ungeklärt ist die Vertragssituation außerdem bei Takuma Asano und Christopher Antwi-Adjei, die offensichtlich noch auf bessere Angebote hoffen. Spieler wie Goncalo Paciencia oder Philipp Förster wissen bereits, dass sie keinen Anschlussvertrag erhalten, und üben im Training kaum noch Druck auf die Stammspieler aus.

Unruhe: Rund um den VfL ist aktuell ein Gefühl der Ungewissheit und Unruhe greifbar. Auch innerhalb der Mannschaft gibt es Unstimmigkeiten. Die WAZ berichtete am Dienstag teils detailliert von mehreren internen Aussprachen. Immer wieder kommen in diesen Wochen schützenswerte Informationen an die Öffentlichkeit, was in der Regel ein Zeichen für Unzufriedenheit oder für interne Machtkämpfe ist. Wie Tief im Westen – Das VfL-Magazin erfuhr, löste die Beförderung von Heiko Butscher zum Profitrainer innerhalb der Mannschaft keine Begeisterung aus. Für den erhofften „Impuls“ hat er nicht sorgen können. Hinzu kommt, dass auch das Umfeld sensibel auf Entwicklungen reagiert. Ein Beispiel: Als die Sport Bild an diesem Mittwoch vermeldete, dass Kevin Stöger nach wie vor gerne zu Union Berlin wechseln möchte, wurden auf diversen Plattformen Forderungen laut, ihn im direktem Duell am 5. Mai nicht einzusetzen. Schließlich kämpfen die Köpenicker auch noch um den Klassenerhalt.


Ihr wollt das VfL-Magazin einmalig oder dauerhaft unterstützen? Nutzt dafür gerne die unkomplizierte Zahlungsoption via PayPal. Danke, dass ihr Berichterstattung dieser Art auch in Zukunft möglich macht.