Die Wahrheit tut manchmal so sehr weh, dass sie lieber ausgeblendet wird. Wer beim Bochumer Heimspiel am Samstag gegen den VfB Stuttgart ein paar Minuten zu spät aus der Halbzeitpause kam, stieg womöglich noch hoffnungsvoll die Stadiontreppen hinauf. Noch prangte das Zwischenergebnis von 0:2 auf den Anzeigetafeln. Dabei war die Lage in Wirklichkeit schon schlimmer. Die Stadionregie brauchte nämlich einige Minuten, ehe sie das richtige Ergebnis präsentierte. Es waren erst wenige Augenblicke nach Wiederanpfiff vergangen, als der Ball zum dritten Mal im Tornetz des VfL zappelte. Der Ablauf erinnerte an die unterirdische erste Hälfte: Die Bochumer kamen nicht in die Zweikämpfe, hielten großzügig Abstand von ihren Gegenspielern und liefen nur noch hinterher. So schwach und so emotionslos hat sich der abstiegsbedrohte Revierklub in einem Heimspiel unter Trainer Dieter Hecking noch nie präsentiert.
Kein Spieler in Normalform
„Wir haben alles vermissen lassen, was uns zuletzt ausgezeichnet hat: Pressing, Zweikampfhärte, defensive Stabilität und Laufstärke. So können wir kein Bundesliga-Spiel gewinnen und haben auch in der Höhe verdient verloren“, legte Timo Horn, der schuldlose Schlussmann, den Finger direkt in die Wunde. Mit 0:4 ging der VfL am Ende unter und hat sein ohnehin mieses Torverhältnis weiter verschlechtert. Auch das kann im Zweifel über den Saisonausgang entscheiden. „Das können wir uns nicht noch einmal erlauben“, betonte Angreifer Philipp Hofmann, für den der desolate Auftritt gegen Stuttgart „völlig unerwartet“ kam und „unerklärlich“ sei. Jeder habe „sein eigenes Ding“ gemacht. Trotzdem hat der VfL im Kollektiv versagt. Kein Spieler erreichte seine Normalform, einige enttäuschten besonders.
Myron Boadu zum Beispiel, der zum ersten Mal seit Februar in der Startelf stand, meckerte häufiger mit seinen Kollegen als er nennenswerte Ballaktionen verzeichnete. Auch Ivan Ordets, der das hohe Tempo der Stuttgarter nicht mitgehen konnte und an mehreren Gegentreffern beteiligt war. Oder Tim Oermann und Felix Passlack, die mit ihrer halbherzigen Herangehensweise immer wieder wichtige Zweikämpfe verloren. Vollständig ist die Aufzählung nicht. Hecking hatte schon früh über personelle Veränderungen nachgedacht, diese Idee aber verworfen. Auch deshalb nahm er sich nach der Partie mit in die Verantwortung: „Wir haben von der ersten Sekunde an nicht stattgefunden. Der Zusammenhalt hat gefehlt, das war eine kollektive Nicht-Leistung. Da beziehe ich mich mit ein.“
Bereits nach elf Minuten lag der VfL mit 0:2 in Rückstand und ließ in der Folge nie das Gefühl aufkommen, die Partie noch zu drehen wie gegen Leipzig oder Bayern München. Denn auch offensiv enttäuschte der VfL in allen Belangen. Erwähnenswerte Spielzüge oder Torchancen? Fehlanzeige! Kein Wunder also, dass sich die Tribünen schon weit vor dem Schlusspfiff erkennbar leerten. Die Enttäuschung bei vielen Anhängern war groß, verbunden mit der Sorge, dass der Klassenerhalt im vierten Erstliga-Jahr nicht mehr gelingen wird. Trainer Hecking kann das sicher verstehen, möchte aber keine Grundsatzdebatte über die Leistungsfähigkeit führen: „Ich bin lange genug dabei. So ein Spiel kann im Abstiegskampf immer passieren, vor allem dann, wenn gewisse Dinge schon unter der Woche nicht gut waren.“
Auch Heidenheim verliert
Details wollte der Fußballlehrer nicht nennen. Was aber auffiel: Während die Spieler beteuerten, dass sich ein derart desolater Auftritt keineswegs abgezeichnet habe, war Hecking nicht völlig entsetzt. Wobei er auch betonte, dass seine Mannschaft zuletzt zwar nicht gepunktet, gegen mehrere Top-Teams aber mehr als ordentlich gespielt habe. „Wir haben jetzt gegen vier sehr schwere Gegner gespielt und immer noch eine realistische Chance auf den Klassenerhalt. Das hätten wir vorher alle unterschrieben“, bekräftigte der Coach. Tabellarisch hat sich durch die Niederlage von Heidenheim im Parallelspiel gegen Leverkusen nichts verändert, der Rückstand auf den Relegationsplatz beträgt zwei Punkte. Zur Wahrheit gehört aber auch: In den letzten fünf Heimspielen hat der VfL viermal verloren und nur drei Tore erzielt. Und: In der Rückrunde gelangen lediglich zwei Siege in elf Partien. Auch diese Bilanz sollte nicht ausgeblendet werden.
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(Foto: Imago / Sven Simon)