Bochums Cheftrainer

Interview: Reis über Ehrgeiz, Ärger und den Aufstieg

Der VfL Bochum steht seit Wochen auf einem Aufstiegsplatz. Gelingt in dieser Saison tatsächlich die Rückkehr in die Bundesliga? Trainer Thomas Reis, der früher selbst das VfL-Trikot trug, hat die Mannschaft wieder zum Erfolg geführt. Im Interview erklärt der 47-Jährige, wie er Probleme in der Kabine löst, wie er mit Kritik umgeht und was das größte Plus im Aufstiegsrennen ist.

Herr Reis, wer ist ehrgeiziger? Sie oder ihr Torhüter Manuel Riemann?

(schmunzelt) Wir sind beide sehr ehrgeizig, positiv verrückt und auf jeden Fall gierig nach Erfolg. Manuel zeigt das etwas mehr nach außen. Großen Ehrgeiz haben aber viele bei uns. Zwei allein würden nicht reichen.

Über die Gier nach Erfolg haben Sie seit ihrem Amtsantritt im September 2019 schon häufiger gesprochen. Nach Jahren der Inkonstanz mischt der VfL Bochum in dieser Saison konstant oben mit. Was hat sich plötzlich verändert?

In Sachen Konstanz setzen nur ganz wenige Klubs Maßstäbe, zum Beispiel der FC Bayern. Aber: Auch bei uns hat sich etwas entwickelt. Mit jedem Sieg sind wir gieriger geworden. Wer in der Tabelle oben steht, will da auch bleiben. Wichtig ist, nicht nachzulassen oder weniger zu investieren. Dazu neigt man manchmal. 

Schnelle Selbstzufriedenheit – war das ein Bochumer Problem?

Ich habe die Entwicklung ja immer verfolgt, auch als ich zwischendurch in Wolfsburg war. Ich hatte den Eindruck, dass die Herangehensweise und das Auftreten etwas zu defensiv waren. Klar, mehr als zehn Jahre in der 2. Liga verändern das Selbstverständnis. Aber der VfL war und ist ein toller Klub, der sich im Ruhrgebiet immer zwischen den beiden Großen behauptet hat.

Interessant ist, dass sich die Mannschaft personell kaum verändert hat, nachdem Sie den Job von Robin Dutt übernommen haben. Wo haben Sie vor allem angesetzt?

Ich weiß, dass es auf Teamarbeit ankommt. Manche Spieler haben ihr Ego zu sehr in den Vordergrund gestellt. Teilweise fehlte die Selbstkritik oder die Disziplin. Es haben sich aber alle zusammengerauft. Wir spornen uns jetzt gegenseitig an, jeder bringt seine Stärken ein und weiß, wie er mit dem anderen umzugehen hat. Es müssen nicht alle miteinander befreundet sein. Aber auf dem Platz muss es funktionieren. Diese Verlässlichkeit ist jetzt da.

Klingt so, als dass Sie nicht nur als Trainer, sondern auch als Erzieher gefragt waren.

Ich gebe einen Rahmen vor, in dem sich die Mannschaft bewegen muss. Grundsätzlich bin ich ein Trainer, der offen sagt, was er denkt. So war ich schon als Spieler und das legt man in seiner neuen Rolle nicht plötzlich ab. Ich war selber auch nicht immer pflegeleicht. Vielleicht komme ich deshalb mit unterschiedlichen Spielertypen sehr gut klar.

Trotzdem hat nicht von Beginn an alles funktioniert. Der VfL blieb auch mit Ihnen zunächst abstiegsgefährdet.

Es gab schon früh eine aufsteigende Tendenz, aber die Ergebnisse haben nicht immer gepasst. Das hat sich dann erst nach dem Jahreswechsel geändert, besonders nach der Corona-Pause, in der wir noch enger zusammengerückt sind.

Die Kritik an Ihrer Person verstummte aber nicht. Wie sind Sie damit umgegangen?

Natürlich bekomme ich einiges mit, ohne dass ich mich davon beeinflussen lasse. Wobei: Mich hat es schon ein bisschen angespornt. Umso mehr freut mich die Entwicklung. Bochum ist meine erste Station als Profitrainer, der Verein ist etwas Besonderes für mich. Es war immer mein Traum, hier eines Tages die Verantwortung zu tragen. Das habe ich schon vor Jahren gesagt. Da können Sie jeden hier fragen.

Steigt der VfL Bochum am Ende dieser Saison wirklich auf?

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Mit dem Erfolg in dieser Saison wuchs dann der Respekt. Liegt das auch daran, dass Sie nun einen Spielstil gefunden haben, der zur Mannschaft passt?

Es gab eine Niederlage, die ich auf meine Kappe genommen habe. Das war das Heimspiel gegen Fürth Anfang dieser Saison. Das, was ich mir überlegt habe, hat nicht funktioniert. Wir haben daraus gelernt und sind das folgende Spiel gegen Hamburg anders angegangen, personell wie taktisch. Wir sind höher und aggressiver angelaufen, haben unsere Dynamik genutzt. Und wenn ich eine Formation gefunden habe, die funktioniert, stelle ich sie im nächsten Spiel nicht ohne Grund wieder um.

Das ist interessant, denn das Spiel in Hamburg war auch das, in dem Leistungsträger wie Robert Zulj oder Danny Blum nach einer kleinen Denkpause ins Team zurückgekehrt sind.

Sie haben ihren Platz in der Startelf vorher als Selbstverständlichkeit wahrgenommen. Wenn du Spieler mit einer enormen Qualität hast, die aber nur 60 oder 70 Prozent davon abrufen, kannst du das als Trainer nicht laufen lassen. Das meine ich, wenn ich davon spreche, dass wir nicht weniger investieren dürfen.

Die Maßnahme hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Was spricht denn jetzt noch gegen den Aufstieg?

Wir haben eine gute Ausgangsposition, aber noch haben wir neun schwere Spiele vor der Brust. Natürlich will ich da oben bleiben. Aber nur weil ich darüber rede und es mir wünsche, werden wir es nicht automatisch schaffen. Den Traum, nach elf Jahren in die Bundesliga zurückzukehren, haben wir alle. Für manche Spieler, die schon älter sind, ist es vielleicht die letzte Chance. 

Was ist denn das stärkste Argument für den VfL im Aufstiegsrennen, auch im Unterschied zu den anderen Klubs?

Dass wir bislang keine längere Schwächephase hatten. Wir haben nach jeder Niederlage sofort wieder gewonnen. Dieser Wille ist bei meiner Mannschaft besonders ausgeprägt. Wenn wir hinfallen, stehen wir sofort wieder auf. Das haben wir in Düsseldorf wieder bewiesen.

Ist es eigentlich ein Vor- oder Nachteil, diese heiße Phase der Saison ohne Zuschauer zu spielen?

Unter normalen Umständen würde das Stadion aus allen Nähten platzen. Letzte Woche gegen Hamburg, als wir in Unterzahl zurücklagen, hätte uns ein zusätzlicher Push von den Tribünen vielleicht geholfen. Aber es gibt bestimmt auch Spieler, die mit der Ruhe im Stadion besser zurechtkommen. Trotzdem: Wir alle wünschen uns, möglichst bald wieder vor Publikum zu spielen.

Dieses Interview ist Anfang der Woche in den Ruhr Nachrichten erschienen. Für mehr Berichte und Reportagen über den VfL Bochum lohnt ein regelmäßiger Blick in das (kostenpflichtige) Print- und Online-Angebot: https://ezeitung.ruhrnachrichten.de/

(Foto: Firo Sportphoto)