Der Abschiedsschmerz setzte bei den Fans des VfL Bochum bereits vor dem Heimspiel gegen Mainz 05 ein. Zwei Legenden der Neuzeit und prägende Persönlichkeiten der vergangenen Dekade erhielten ihren verdienten Applaus samt Choreografie der Ostkurve. Kapitän Anthony Losilla wird seine Karriere am Saisonende ebenso beenden wie Cristian Gamboa. Insgesamt 17 Jahre trugen sie das Trikot des Revierklubs, Gamboa sechs, Losilla sogar elf Jahre. Angesichts der mittlerweile üblichen Fluktuation im Fußballgeschäft wirken die beiden wie aus der Zeit gefallene Exoten, die mit ihrer positiven Art, ihrem vorbildlichen Einsatz, mit Vereinstreue und Verantwortungsbewusstsein maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Bochumer Fahrstuhlklub mal wieder vier Bundesliga-Jahre erleben und genießen durfte.
Mehr werden zunächst nicht dazu kommen, denn der siebte Abstieg aus dem Fußball-Oberhaus, der sich seit Wochen allmählich abgezeichnet hatte, ist seit Samstagnachmittag endgültig besiegelt und unabwendbar. Zum einen, weil Heidenheim im Parallelspiel bei Union Berlin gewann und uneinholbar davonzog, zum anderen, weil der VfL im Ruhrstadion mit 1:4 verlor und abermals keine Argumente für einen weiteren Verbleib in der Bundesliga lieferte. Selbst in punkto Leidenschaft agierte die Elf von Trainer Dieter Hecking auf einem bescheidenen und keineswegs Bochum-typischen Niveau; von Spielkultur mal ganz abgesehen, denn die gab es in dieser Saison praktisch nie. Nicht von ungefähr hat der VfL in 33 Partien auf sportlichem Weg lediglich 20 Punkte eingefahren plus zwei vom Grünen Tisch.
Sieglos seit Anfang März
So schlecht war der VfL in 38 Bundesliga-Jahren noch nie. Das steht schon vor dem letzten Spiel auswärts beim FC St. Pauli fest. Klar ist auch: Abgestiegen ist der VfL nicht allein an diesem 10. Mai, sondern über Wochen und Monate, obgleich es selbst in dieser Saison eine realistische Chance auf den Klassenerhalt gab. „Nach dem Sieg in München standen wir auf Platz 16 und hatten es in der eigenen Hand“, erinnert sich Hecking an die beste Saisonphase Anfang März zurück. Das Problem: „Anschließend haben wir nur noch zwei Punkte geholt, obwohl mehr möglich und auch verdient gewesen wäre.“ Mehrfach waren die Bochumer fußballerisch mindestens ebenbürtig, in der Offensive aber zu harmlos oder in der Defensive zu instabil – des Öfteren, wie gegen Mainz, kam mal wieder beides zusammen.
„Es lag sicher an verschiedenen Faktoren, warum wir am Ende acht Spiele in Folge nicht mehr gewonnen haben: An der Aufstellung, der taktischen Ausrichtung, auch an fehlender Qualität. Es war eine Mixtur, die toxisch wurde“, erklärt Hecking, der eine Mitverantwortung für den Abstieg trägt, den Neuanfang dennoch entscheidend mitgestalten darf. Dass die allermeisten Fans diese Entscheidung begrüßen, war nach dem Schlusspfiff nicht zu überhören. Mit Sprechchören wurde er zur Ostkurve gebeten. Der erfahrene Fußballlehrer schnappte sich das Mikro der Stadionsprecher, entschuldigte sich für den Abstieg und bedankte sich mit leicht brüchiger Stimme bei den Anhängern für ihre bedingungslose Unterstützung: „Ich verspreche euch, wir werden alles dafür tun, das zu reparieren.“
Abschied vor der Kurve
In der Pressekonferenz sprach Hecking später von einer persönlichen „Verpflichtung“ den Fans gegenüber, sie nicht abermals zu enttäuschen und diese für einen Abstieg untypisch positive Stimmung nutzen zu wollen. Beim bislang letzten Bundesliga-Abstieg 2010 randalierten zahlreiche Anhänger, nun gab es aufmunternden Applaus – sicher auch, damit die Fanlieblinge Losilla und Gamboa trotz der sportlichen Schmach einen halbwegs versöhnlichen Abschied erhielten. Als Hecking im Laufe der zweiten Halbzeit erkannte, dass an diesem Nachmittag sportlich nichts mehr zu retten ist, gewährte er ihnen einen letzten Auftritt in ihrem Wohnzimmer. Minutenlang wurden die beiden von den Fans besungen, vielleicht auch, um zu verdrängen, dass sie gerade das vorerst letzte Bundesliga-Heimspiel verfolgen.
Wobei sich, den Gesängen nach zu urteilen, erstaunlich viele Anhänger sicher sind, schon bald wieder im Konzert der Fußballgrößen mitmischen zu dürfen und nicht erneut, wie beim letzten Mal, elf Jahre auf die Rückkehr warten zu müssen. Losilla sieht das ähnlich: „Wir haben vier fantastische Saisons hier erlebt. Leider ist es jetzt schiefgegangen. Aber ich bin überzeugt, dass wir sehr schnell wieder die Bundesliga erleben werden. Der Verein hat das verdient, diese Fans haben das verdient.“ Unter Tränen traten er und Gamboa nach dem Spiel vor die Kurve, begleitet von der ganzen Mannschaft. Sie wurden besungen und sprachen selbst einige Worte. Sogar die Mainzer zeigten sich beeindruckt von der Szenerie. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagte Trainer Bo Henriksen. „Die steigen ab und feiern trotzdem.“
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