„Schreiben Sie doch mal was Positives!“ Nach dem Pokalspiel Ende Oktober des vergangenen Jahres hatte Hans-Peter Villis einen Wunsch. An diesem Abend konnte ich seiner Bitte sogar nachkommen. Nicht nur der Vorsitzende sah in den 90 Minuten zuvor, wie der kleine VfL die großen Bayern fast geärgert hätte. Doch ganz grundsätzlich lasse ich mich von einzelnen Spielen nur ungern blenden. Also machte ich Villis klar, wie ich wirklich über die Lage des Klubs denke: „Viel Positives gibt es leider nicht zu berichten.“
Wachwerden oder…
Zugegeben: Natürlich gab es auch im Jahr 2019 erfreuliche Entwicklungen. Die Fanarbeit wurde gestärkt, die Digitalisierung vorangetrieben, Traditionen gepflegt. Im wirtschaftlichen wie im sozialen Bereich gab es klare Fortschritte und teils vorzügliche Arbeit – ein Verdienst ganz besonders von Ilja Kaenzig und seinem Team. Doch all das rückt schnell in den Hintergrund. Zumindest dann, wenn der Klub an entscheidender Stelle nicht vorwärtskommt. Eine enttäuschende Rückrunde, ein halbherziger Umbau der Mannschaft im Sommer – und schließlich beinharter Abstiegskampf seit dem ersten Spieltag der neuen Saison. Sportlich hätte das Jahr 2019 für den VfL Bochum kaum schlechter laufen können.
Die Frage, die sich zum Jahreswechsel nun stellt: Lernen die Verantwortlichen aus ihren Fehlern? Sind sie zur schonungslosen Analyse bereit? Klar ist doch: Das, was in den letzten 12 Monaten passiert ist, war der allerletzte Warnschuss. Die Gewissheit, dass der VfL jeden Abstiegskampf überstehen wird, gibt es nicht. Vor allem: Geht es so weiter, dann wird der VfL von Klubs wie Osnabrück oder Regensburg, Kiel oder Aue, Fürth oder Sandhausen nicht nur in der Tabelle überholt. Was das bedeutet, sollte allen klar sein: Die 3. Liga ist näher als die Bundesliga, und schlimmstenfalls wird sie in naher Zukunft zur Realität. Das alles ist auch längst keine Momentaufnahme mehr.
In den Jahren nach der verlorenen Relegation betrug der Abstand zum ersten sicheren Aufstiegsplatz im Schnitt mehr als 20 Punkte. Zum ersten endgültigen Abstiegsplatz waren es durchschnittlich nur 10 Punkte. Das allein mit der Stärke einiger Top-Klubs und mit der Ausgeglichenheit der Liga zu erklären, wäre naiv und kurzsichtig. Bei der Analyse muss der VfL vor allem auf sich selbst schauen und das große Ganze im Blick haben: die eigene Vereinsentwicklung, fokussiert auf den sportlichen Bereich. Vor allem darf sie nicht abhängig sein von kurzfristigen Erfolgen oder Misserfolgen. Denn auch 2019 orientierten sich Fans, Spieler und Verantwortliche häufig nur an den letzten Ergebnissen.
…weiterwurschteln?
Was dem Klub in diesem Zusammenhang ganz sicher auch fehlt, sind mehr Kontroversen und eine kritische Anhängerschaft, die in der Lage ist, Themen anzustoßen und der Vereinsführung noch viel genauer auf die Finger zu schauen. Ein passendes Beispiel lieferte die Jahreshauptversammlung im September. Ein Mitglied fragte, warum der VfL nicht mehr ins Scouting investiere. Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz erklärte, das sei geplant, aus finanziellen Gründen aber zurückgestellt worden. Doch der Manager erntete keinen Widerspruch – sondern Dank für seine freundliche Auskunft. Allein diese Geschichte verrät so viel über Versäumnisse und den Stillstand beim VfL.
Vor allem wird deutlich, dass die Verantwortlichen falsche Prioritäten setzen. Die Mittel, die für ein anständiges Scouting benötigt werden, sind ja grundsätzlich da. Sie fließen nur in andere Abteilungen. Das ist mehr als verwunderlich, denn: Ein (Profi-)Fußballverein lebt davon, gute Fußballer zu haben. Sie sind das Kapital, nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf dem Transfermarkt. Also ist es doch die absolute Kernaufgabe, sie zu finden. Das Argument, es fehle das Geld, ist deshalb nur eine schlechte Ausrede. Genau das muss erst recht ein Grund, schneller zu sein als andere Klubs.
Spätestens, aber wirklich spätestens in diesem neuen Jahr bedarf es konkreter Maßnahmen, verbesserter Strukturen, echter Innovationen und mehr Personal im sportlichen Bereich. Dass ein Investor, der all diese Veränderungen beschleunigen könnte, nicht in Sicht ist, mag einige Fans beunruhigen – mich (fürs Erste) aber nicht. Denn vielleicht ist das gar nicht schlecht. Denn so werden sämtliche Hoffnungen nicht auf schnelle Hilfe von außen gelenkt. Fortschritte müssen aus eigener Kraft erfolgen. Passiert das, dann wird 2020 hoffentlich ein erfolgreiches Jahr für den Klub. Positive Berichterstattung gibt es dann natürlich auch.
(Foto: Pressefoto Eibner)