Alle Argumente sind ausgetauscht, die Personen und Positionen bekannt. Nach unzähligen Interviews und Podcasts mit Vertretern beider Teams rückt der Wahltag näher. An diesem Samstag stimmen die Mitglieder des VfL Bochum über die künftige Besetzung des Präsidiums ab. Auf offener Bühne kommt es dann zum großen Aufeinandertreffen, zum Wettstreit der Ideen und Führungsstile – was wörtlich zu nehmen ist. Denn erstmals wird eine Mitgliederversammlung des VfL zu einer Freiluftveranstaltung. Die Mitglieder nehmen auf den Zuschauerrängen Platz, die Kandidaten auf einer Bühne am Fuße der Haupttribüne. Es ist die zweite Kampfabstimmung in der Geschichte des Klubs, und eine wegweisende zugleich. Selbst intimste Kenner des Klubs halten sich dieser Tage mit einer Wahlprognose zurück. Niemand weiß, wer das Rennen machen wird. Beide Lager haben Unterstützer wie Gegner, zudem dürften einige Mitglieder noch unentschlossen sein und sich erst kurzfristig entscheiden.
Luthe als Kopf der Kampagne
Es gibt also allenfalls Tendenzen, die sich aus den Wochen des Wahlkampfes ergeben. Dass beide Seiten zuvor monatelang versucht haben, Andreas Luthe von einer Mitarbeit in ihrem Team zu überzeugen, unterstreicht, wie sehr der gut vernetzte und eloquente Publikumsliebling von vielen geschätzt wird und den Wahlausgang womöglich entscheidend beeinflussen könnte. Mit Luthe verbinden viele Fans Vereinstreue und positive Emotionen, die Eindrücke der gemeinsam gewonnenen Relegationsspiele anno 2024 sind noch frisch. Seither arbeitet Luthe als selbstständiger Wirtschaftspsychologe und bietet Mitarbeiter-Coachings an, er lebt in Augsburg, wobei er derzeit häufiger im Ruhrgebiet anzutreffen ist als in Bayern. Für Hans-Peter Villis war Luthes Entscheidung in jedem Fall ein großes Geschenk. Nur mit ihm hat der 66-Jährige, der von seinen langjährigen Mitstreitern Anfang des Jahres als Vorsitzender abgewählt wurde und seither schwer gekränkt wirkt, realistische Chancen auf ein Comeback.
Denn eine Wiederwahl allein von Villis können sich viele Fans nicht vorstellen. Villis hat in mehr als zehn Jahren an der Vereinsspitze einiges erreicht und den Klub zu Beginn sogar finanziell über Wasser gehalten, aber auch viel Porzellan zerschlagen. Mehrere Führungskräfte haben den VfL auch seinetwegen verlassen. Vor einigen Monaten haben ihm sogar langjährige Weggefährten wie Uwe Tigges und Martin Volpers das Vertrauen entzogen. Dass ausgerechnet Villis für einen Neuanfang stehen will, klingt in den Ohren mancher Fans paradox, liegt aber in der Zusammensetzung des Teams begründet. Villis geht mit vier Neulingen ins Rennen: mit Till Grönemeyer, Bettina Stratmann, Christian Stenneken und Luthe, dem Kopf der Kampagne, über den ein Großteil der Kommunikation lief. Luthe hat seine Reichweite in den digitalen Medien genutzt, um mit den Fans zu kommunizieren, sich sogar proaktiv in Diskussionen eingemischt, wenngleich er die Kommentarfunktion manchmal einfach ausgestellt hat.
Neue und altbekannte Gesichter
Villis agierte in den Wochen des Wahlkampfes eher im Hintergrund, obwohl einiges darauf hindeutet, dass er den Vorsitz zunächst wieder übernehmen wird. Der Energiemanager hat seinen Teamkollegen aber versprochen, im Falle eines Wahlsieges höchstens noch zwei Jahre an der Vereinsspitze zu stehen und den Staffelstab anschließend an Luthe oder an ein anderes Teammitglied zu übergeben. Wer dafür sonst noch infrage käme, ist offen. Till Grönemeyer, Neffe von Herbert, Multi-Unternehmer und Investor in verschiedenen Branchen, ist bislang noch gar nicht im VfL-Kosmos in Erscheinung getreten. Der Bochumer Rechtsanwalt Christian Stenneken, Partner einer großen Kanzlei und Experte für Infrastrukturthemen, ist zumindest in der VIP-Lounge ein bekanntes Gesicht. Komplettiert wird das Team von Bettina Stratmann, früher selbstständig in der Mode- und Logistik-Branche. VfL-Legende Jupp Tenhagen aus dem bisherigen Präsidium soll nach der Wahl kooptiert werden.
Ihnen steht am Samstag ein Team um den amtierenden Vorsitzenden Uwe Tigges gegenüber, das maßgeblich von der Findungskommission zusammengestellt wurde. Bereits im Dezember 2024 hatte das jetzige Präsidium beschlossen, dass es im Juni 2025 vorgezogene Neuwahlen geben wird. Trotz der langen Vorlaufzeit wirkt das Team mit heißer Nadel gestrickt, das erste Treffen in kompletter Besetzung gab es Mitte Mai. Der ehemalige Bundesliga-Torwart und VfL-Manager Thomas Ernst wurde erst zwei Wochen vorher gefragt, ob er sich ein Engagement im Präsidium vorstellen könne. Das lag auch daran, dass die fünfköpfige Findungskommission ebenfalls bei Luthe angefragt hatte, dieser aber das andere Lager vorzog. Was Ernst und Luthe eint: Sie haben selber mal für den VfL gespielt. Zwischen 2008 und 2011 war Ernst sogar hauptamtliches Vorstandsmitglied. Generell standen alle fünf Teammitglieder schon einmal in einer direkten Beziehung zum Klub, kennen also das Geschäft.
Beliebter Arzt und ein BVB-Trikot
Ein Zugpferd der Kategorie Luthe fehlt ihnen allerdings. Immerhin haben sie mit dem langjährigen Mannschaftsarzt Karl-Heinz Bauer jemanden im Team, der vereinsintern einen außerordentlich guten Ruf besitzt. Auch deshalb soll Bauer im Falle eines Wahlerfolgs den Vereinsvorsitz übernehmen, während Tigges die ausgegliederte Kapitalgesellschaft anführen würde. Bauer hätte womöglich schon Ende 2022 gegen Villis gewonnen, wenn er ein überzeugenderes Team aufgeboten hätte. Das Problem: Seine jetzige Mannschaft geht – genauso wie die andere Gruppe – mit Altlasten in die Wahl. Tigges und der langjährige Fanvertreter Martin Volpers haben sich insbesondere bei der Suche nach einem neuen Sportchef nicht mit Ruhm bekleckert und verkaufen die monatelange Vakanz bis heute als bewusste Entscheidung. Auch bei der Abwahl von Villis haben sie sich eher ungeschickt angestellt, indem sie den Mitgliedern lange eine nicht mehr vorhandene Geschlossenheit vorgegaukelt haben.
Ernst wiederum, den Weggefährten als äußerst loyal bezeichnen, verbinden viele Bochumer noch mit dem Bundesliga-Abstieg 2010. Komplettiert wird das Team von Mirja Dorny. Sie hat früher selbst beim VfL Fußball gespielt, lebt mittlerweile in Hessen und ist Geschäftsführerin einer Baugenossenschaft. Ihr Makel: In Fankreisen verbreiten sich Fotos von ihr in BVB-Kleidung. Dass diese Fotos schon gut zehn Jahre alt sind und sie schon länger VfL-Mitglied sein muss, um kandidieren zu dürfen, fällt oft unter den Tisch, passt aber ins Bild. In vielen Diskussionen, im Netz wie außerhalb, geht es vor allem um Köpfe und Sympathien. Was vielleicht auch daran liegt, dass inhaltliche Unterschiede zwischen den Teams nur bei genauerem Hinsehen sichtbar werden. Den beiden Geschäftsführern Ilja Kaenzig und Dirk Dufner sowie Trainer Dieter Hecking sprechen beide Teams ihr volles Vertrauen aus, wobei Luthes Faible für neue Technologien nur bedingt zu den Vorstellungen des Trios passt.
Gerüchte über Zukunft von Kaenzig
Der größte Unterschied liegt aber im Rollenverständnis. Luthe und Villis wollen Ideen mitentwickeln, Gedanken teilen und intensiver diskutieren, während sich Tigges und Bauer nach Möglichkeit zurückhalten wollen. Sie sind zufrieden mit der Vereinsentwicklung und sehen nur punktuell Verbesserungsbedarf. Luthe wiederum hat angekündigt, jeden Stein einmal umzudrehen, ohne daraus automatisch größere Veränderungen ableiten zu wollen. Gleichwohl: Luthes Äußerungen haben in der VfL-Belegschaft für Unsicherheit gesorgt; ohnehin beäugen viele Mitarbeiter eine mögliche Villis-Rückkehr mit Skepsis. Wie die beiden Geschäftsführer über die bevorstehende Wahl denken und ob sie insgeheim ein Team präferieren, ist nicht überliefert, trotz vieler Spekulationen. So verbreiten unter anderem Vertreter der Bochumer Lokalpolitik das Gerücht, dass Ilja Kaenzig bei einer Wiederwahl von Villis die Flucht ergreifen würde. Kaenzig stellte auf Anfrage klar, dass diese Aussage nicht von ihm komme.
Tatsache ist, dass Kaenzig seinen Vertrag unter der Regentschaft von Villis bis 2029 verlängert hat, wenngleich der Impuls nicht von Villis, sondern von seinen Gremiumskollegen ausging. Schon da taten sich erste Gräben auf. Während der Wahlkampf nun oberflächlich fair verlaufen ist, ging es hinter den Kulissen teils anders zu. Mehrere Tigges-Unterstützer behaupten, Villis sei der Aufgabe gesundheitlich nicht mehr gewachsen – eine fast ehrverletzende Aussage, für die es keinen Beleg gibt. Zudem wird Villis vorgeworfen, er habe im vergangenen Sommer ohne Rücksprache mit einem eigenen Trainerkandidaten verhandelt. Auch soll Villis der Vertragsverlängerung mit Dieter Hecking erst zugestimmt haben, als er sah, dass ihn die Fans nach dem Heimspiel gegen Mainz gefeiert haben. Villis stellt dies anders dar. Ein zeitlicher Verzug von rund 20 Stunden sei nur dadurch zustande gekommen, dass er den VfL zum Auswärtsspiel nach Heidenheim begleitet hat – und andere nicht.
Empfehlung der Findungskommission
Eine zweifelhafte Rolle spielt auch die Findungskommission. Sie hat bereits vor Ablauf der Vorschlagsfrist eine Wahlempfehlung für das Team mit Tigges und Bauer ausgesprochen; auch deshalb, weil das fünfköpfige Gremium lange dachte, Villis würde kein Team zusammenbekommen. Auch dieses Thema könnte am Samstag noch einmal auf den Tisch kommen. Vor der Wahl ist eine Aussprache geplant. Denkbar ist, dass Unterstützer beider Gruppen gezielt unangenehme Fragen an die andere Partei richten. Viele Fanclubs, darunter die Ultras, haben bislang keine Wahlempfehlung ausgesprochen. Auch die meisten Sponsoren verhalten sich neutral. Vonovia-Vorstand Arnd Fittkau war am Dienstag beim Fanabend mit Luthe und Villis zugegen, bedankte sich für die Einladung und zeigte sich angetan. Die Gegenseite wiederum zog am Mittwoch Peter Neururer als Unterstützer aus dem Ärmel. Ein auf der Instagram-Seite des Teams veröffentlichtes Video wurde aber nach kurzer Zeit wieder gelöscht.

Tief im Westen – Das VfL-Magazin weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dieser Befragung nicht um eine repräsentative Umfrage handelt. Sie dient lediglich dazu, ein grobes Stimmungsbild zu erhalten. Das Ergebnis könnte dadurch verzerrt werden, dass auch Nicht-Mitglieder abstimmen – oder Mitglieder, die nicht an der Versammlung teilnehmen.
Ihr wollt das VfL-Magazin einmalig oder dauerhaft unterstützen? Nutzt dafür gerne die unkomplizierte Zahlungsoption via PayPal. Danke, dass ihr Berichterstattung dieser Art auch in Zukunft möglich macht.