Die Liste mit den Abgängen wird beim VfL Bochum derzeit wöchentlich länger. Zehn Profis ohne Anschlussvertrag für die neue Saison wurden am Morgen nach dem Spiel gegen St. Pauli offiziell verabschiedet. In den Tagen danach folgten Gerrit Holtmann, der eine Vertragsverlängerung überraschend abgelehnt hat, und Dani de Wit, der künftig für den FC Utrecht auflaufen wird. Als nächstes wird der Revierklub wohl den Wechsel von Tim Oermann verkünden. Der talentierte Defensiv-Allrounder wird sich Bayer Leverkusen anschließen, wobei er zunächst für eine Saison an den österreichischen Meister Sturm Graz verliehen wird. Oermann beschert dem VfL eine Ablöse von etwas weniger als zwei Millionen Euro, während de Wit den Klub ablösefrei samt künftiger Transferbeteiligung verlassen durfte.
Keine gute Verhandlungsposition
Diese Zahlen und Vereinbarungen sorgen in Fankreisen für Irritationen, weil die Erwartungen höher lagen. Zurecht – oder waren es utopische Wunschsummen? Klar ist: Jeder Fall muss gesondert betrachtet werden. Erstens, weil Oermann und de Wit in unterschiedlichen Gehaltsklassen unterwegs waren. Oermanns Vertrag wurde im November 2022 abgeschlossen, als er bei den Profis noch eine Nebenrolle gespielt hat. Dementsprechend niedrig war sein Gehalt. Eine vorzeitige Vertragsverlängerung haben mehrere Verantwortliche verpasst, monatelang soll es keine Gespräche gegeben haben. Sehr weit oben auf der Gehaltliste stand hingegen de Wit. Im Sommer 2024 als Hoffnungsträger verpflichtet, konnte er die ihn gesteckten Erwartungen zu keinem Zeitpunkt erfüllen.
Zweitens, weil sie unterschiedlich lang vertraglich an den VfL gebunden waren. Oermanns Vertrags lief nur noch bis 2026, der von de Wit noch drei Jahre bis 2028. Und drittens, weil sich Oermann und de Wit in der zurückliegenden Saison sportlich verschieden entwickelt haben. Defensivspezialist Oermann erkämpfte sich einen Stammplatz, de Wit wurde unter Trainer Dieter Hecking am Saisonende allenfalls eingewechselt. Mit Oermann hätten die Verantwortlichen auch nach dem Abstieg gerne weitergearbeitet, während de Wit schon länger auf der Streichliste stand. Kein Wunder also, dass es für Oermann in den zurückliegenden Wochen zahlreiche Anfragen gab, zum Beispiel auch von Werder Bremen und Mainz 05, während sich für de Wit zunächst nur Utrecht interessiert hat.
Möglichst früh von der Gehaltsliste
Sportchef Dufner wollte Klarheit und entschied sich in beiden Fällen, einem schnellen Wechsel zuzustimmen. Bei de Wit ist das insofern vorteilhaft, weil für den VfL keine weiteren Kosten anfallen, etwa für eine Abfindung. Eine solche ist nicht unüblich, wenn der neue Verein ein geringeres Gehalt zahlt als der vorherige. Umgekehrt fließt aber auch keine Ablöse. Vertraglich vereinbart war eine Ausstiegsklausel für den Abstiegsfall, die im sehr niedrigen einstelligen Millionenbereich gelegen haben soll. Die Bochumer Verantwortlichen waren der Meinung, dass in diesem Sommer kein Verein bereit gewesen wäre, diesen Preis zu zahlen. Ihnen war es wichtiger, Großverdiener de Wit möglichst schnell von der Gehaltsliste zu bekommen, damit Budget für Neuverpflichtungen frei wird.
Bei Oermann wiederum lag die Transfererwartung auch intern zunächst deutlich höher. Im Präsidium war anfangs von fünf bis sechs Millionen Euro die Rede, die der VfL für sein selbst ausgebildetes Talent erwirtschaften sollte. Immer wieder hat Ilja Kaenzig als kaufmännischer Geschäftsführer betont, dass die Transfereinnahmen steigen müssen – in Summe und auch für einzelne Spieler. Oermann hätte als U21-Nationalspieler die besten Voraussetzungen dafür mitgebracht. Letztlich liegt die Ablöse aber nur im niedrigen einstelligen Millionenbereich. Offiziell äußern möchten sich die Bochumer zum Transferablauf bislang nicht. Aber dass ein Spielerwechsel zum amtierenden Vize-Meister und einem Champions-League-Teilnehmer nicht mehr einbringt, verwundert schon.
Zwei weitere Verkaufskandidaten
Das Dilemma: Die Bochumer waren selbstverschuldet in einer ungünstigen Verhandlungsposition. Oermanns Vertrag lief nur noch ein Jahr, schnell war sich der Spieler mit Leverkusen einig und hat andere Bundesliga-Angebote abgelehnt, ein gegenseitiges Hochtreiben des Preises war also nicht möglich. Hinzu kommt, dass der Werksklub den Spieler gar nicht sofort haben, sondern direkt weiterverleihen möchte. Um wenigstens noch ein bisschen Geld einzunehmen, hat der VfL einem sofortigen Abgang zugestimmt. Diskutabel bleibt, ob ein Verbleib des Spielers aus sportlicher Sicht nicht wertvoller wäre – oder die Verantwortlichen zumindest noch etwas länger hätten pokern können. Die Transferphase hat schließlich erst begonnen; Druck, Oermann jetzt schon freizugeben, war nicht vorhanden.
Allzu üppige Transfereinnahmen, davon ist auszugehen, wird der VfL Bochum in diesem Sommer generell nicht erwirtschaften, auch wenn es noch zwei weitere Abgangskandidaten gibt. Da wäre zum einen Ibrahima Sissoko, einer der wenigen Leistungsträger in der abgelaufenen Saison, sowie Matus Bero, unumstrittener Stammspieler und immerhin zweitbester VfL-Torschütze. Doch dafür braucht es passende Interessenten. Gerüchte, dass Sissoko unter anderem beim VfB Stuttgart auf der Liste stehen soll, sind noch mit Vorsicht zu genießen. Für ihn eine Ablöse zu erzielen, die jenseits der fünf Millionen Euro liegt, ist nach jetzigem Stand eher unwahrscheinlich. Das liegt vor allem daran, dass der Mittelfeldspieler mit 27 Jahren keinen allzu großen Wiederverkaufswert hat.
Angebote im Vorjahr abgelehnt
Deshalb wird es für Bero noch deutlich schwerer, weiterhin in der Bundesliga zu spielen. Womöglich wird es für den slowakischen Nationalspieler nur im Ausland einen passenden Markt geben. Mehr als eine niedrige einstellige Millionenablöse wird für ihn wohl nicht zu erzielen sein. In einem solchen Fall wird der VfL erneut abwägen müssen, ob er lieber das Geld nimmt oder den Spieler behält. Die grundsätzliche Strategie des Klubs in diesem Sommer scheint es aber zu sein, Reisende nicht aufhalten zu wollen, vor allem nach schlechten Erfahrungen und Fankritik in der jüngeren Vergangenheit. Da haben die Verantwortlichen durchaus lukrative Angebote für Spieler wie Bernardo oder Moritz Broschinski abgelehnt in der Hoffnung, dass der Preis noch steigt. Das Gegenteil ist eingetreten.
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(Foto: Imago / Sven Simon)