Tarsis Bonga war Bochums vielleicht wertvollster Bundesligaspieler. Diesen Satz verstehen viele Anhänger des VfL Bochum sicher nicht auf Anhieb. Im Gegenteil: Sie dürften eher irritiert sein. Doch bei den eSportlern des Vereins war Bonga ein kleiner Star. Der Offensivallrounder, der Ende Januar zu Eintracht Braunschweig gewechselt ist, war für die Kicker an der Konsole ziemlich wichtig. „In dem Modus, in dem wir spielen, haben alle Bundesligaspieler das gleiche Level, damit Chancengleichheit herrscht“, erklärt Michael Fischer, der beim VfL den Bereich eSports leitet und verantwortet. Trotzdem unterscheiden sich die Spieler voneinander. „Ein Innenverteidiger hat andere Stärken als ein Angreifer. Und die körperliche Statur wird auch nicht verändert. Bonga ist sehr groß und hat uns damit enorm geholfen.“
VfL schon sehr erfolgreich
Es sind Aussagen wie diese, die für Außenstehende wichtig sind, um in die Welt der eSportler einzutauchen. Vor mehr als fünf Jahren hat der VfL Bochum die Abteilung gegründet. Gespielt wird an der Playstation, über den Bildschirm flimmert jeweils die neueste Version der FIFA-Reihe. „Das ist die größte Herausforderung. Wir müssen uns immer wieder anpassen und auf Neuerungen einstellen. Jemand, der im letzten Jahr noch überragend war, hat mit dem neuen Spiel vielleicht Probleme – oder umgekehrt“, erklärt Hakan Aslan, der Coach der Bochumer eSports-Mannschaft. Er gilt als Koryphäe in der Branche und trainiert den VfL seit 2021. „Ich gebe Tipps und analysiere die Leistungen – unsere wie die des Gegners. Meine Aufgabe ist es, dass unser Team das neue Spiel so schnell wie möglich beherrscht.“
Praktisch jeden Tag halten die eSportler den Controller für mehrere Stunden in ihren Händen, der Zeitaufwendung ist immens. „Das klassische Gamer-Vorurteil – die sehen die Sonne nicht und essen den ganzen Tag nur Chips – zieht hier trotzdem nicht. Das sind echte Sportler, die körperlich wie mental sehr gefordert sind“, betont Michael Fischer, wobei er Letzteres besonders hervorhebt. „Am Ende entscheidet vor allem der Kopf über Sieg und Niederlage.“ Der VfL arbeitet deshalb auch mit einer Mental-Trainerin zusammen. Sie kümmert sich vor allem um den vierköpfigen Bundesliga-Kader der Bochumer. Der VfL setzt auf die erst 17-jährigen Jamie Barte und Justin Springer, auf Eigengewächs Laurin-Noah Bartsch sowie auf Timo Siep, der für andere Klubs schon Deutscher Meister und Vize-Weltmeister geworden ist.
Zwei von ihnen dürfen pro Spieltag antreten, insgesamt gibt es dann drei Duelle: Zunächst im Doppel, dann einzeln. Wer zwei der drei Partien gewinnt, bekommt drei Punkte in der Virtual Bundesliga (VBL). „Das ist unser Tagesgeschäft“, berichtet Fischer, der früher selbst erfolgreich an der Konsole gespielt hat. Hinzu kommen diverse Turniere, etwa die Klubweltmeisterschaft. Immer wieder hat der VfL seit Gründung der Abteilung Erfolge gefeiert. Bei der Klub-WM qualifizierte sich der VfL als einziger deutscher Verein schon zweimal für das Finalturnier. Darüber hinaus gewann das eSports-Team 2021 die Nordwest-Staffel in der VBL. Das Interesse wird dabei immer größer. Bis zu 6.000 Menschen schauen zu. Die Spiele werden über die Plattform Twitch live übertragen und von eigenen Moderatoren kommentiert.
eSports-Team wird zur Pflicht
„Wir haben ligaweit die besten Zahlen“, berichtet Fischer stolz und sieht sich darin bestätigt, dass der VfL 2017 als damals fünfter deutscher Verein ein eSports-Team ins Leben gerufen hat. In der kommenden Saison ist eine Teilnahme an der Virtual Bundesliga erstmals verpflichtend. Die Bayern und der BVB sind bislang noch nicht dabei. Beim VfL hingegen wächst die eSports-Abteilung weiter. Neben dem eTalentwerk, einer vereinseigenen Kaderschmiede für junge Talente, ist beim VfL auch der Spielort ein außergewöhnlicher. Seit 2019 steht eine eigene WG zur Verfügung. Wobei es sich eigentlich nicht um eine Wohn-, sondern eher um eine Spielgemeinschaft handelt. Hauptsponsor Vonovia stellt die Räumlichkeiten, die der VfL vor allem für Trainingseinheiten und für die Austragung seiner Bundesligaspiele nutzt.
Dieser Text ist zuerst in der Winterausgabe des Magazins „100% VfL Bochum“ erschienen. Auf 100 Seiten bietet der Bochumer 3Satz-Verlag unter anderem Interviews mit Thomas Letsch, Patrick Fabian und Ilja Kaenzig. Ihr könnt das Heft an dieser Stelle digital durchblättern und lesen (funktioniert nur in der Desktopversion). Gedruckte Exemplare liegen in vielen Geschäften im gesamten Stadtgebiet kostenlos aus.