Ekstase im Pokal

Eingewechselt als Torhüter, gefeiert als Torschütze

Auf dem Zaun bewies Manuel Riemann wahre Größe. Als der Mann des Tages von den 15.000 Bochumer Fans gefeiert wurde und selbst mittendrin war, dachte er auch an seinen Teamkollegen. 118 Minuten lang stand Michael Esser zwischen den Pfosten, dann musste er raus. Nicht, weil er verletzt war oder gepatzt hatte, sondern weil der VfL Bochum gegen den FC Augsburg unmittelbar vor dem Elfmeterschießen stand und dafür einen echten Experten hat. Riemann kam ins Spiel, wurde zum gefeierten Helden – und stimmte vor der Ostkurve Sprechchöre für Esser an. „Er hat diesen Verlauf erst möglich gemacht“, sagte Riemann später in einem Doppel-Interview mit Esser. Beide haben ihren Teil dazu beigetragen, dass der VfL in der nächsten Pokalrunde steht.

Pantovic trifft doppelt, Augsburg schlägt zurück

Dass Stammkeeper Riemann an diesem Abend überhaupt gefragt sein würde, war zunächst nicht abzusehen. Milos Pantovic, einer von sechs Neuen in der Bochumer Startelf, war früh zur Stelle und traf nach einer präzisen Hereingabe von Konstantinos Stafylidis zum 1:0. Dann passiert erst einmal nicht viel. Zu Beginn der zweiten Halbzeit marschierte Pantovic völlig unbedrängt durch die Augsburger Hälfte und legte nach. Der VfL schien auf der Siegerstraße, es hätte ein ruhiger Pokalabend werden können. Doch ein Doppelschlag binnen drei Minuten brachte die zuvor harmlosen Gäste zurück ins Spiel. Es entwickelte sich ein offener Schlagabtausch mit Chancen auf beiden Seiten, bei dem es aber kein Team schaffte, für die Entscheidung zu sorgen – weder nach 90 noch nach 120 Minuten.

Schon kurz vor dem nervenaufreibenden Ende tat sich an der Bochumer Ersatzbank aber Erstaunliches. Oder doch Erwartbares? Eigentlich hatte Trainer Thomas Reis Michael Esser das Vertrauen für dieses Pokalduell geschenkt. Es war das erste Pflichtspiel des Keepers nach seiner Rückkehr zum VfL. Der loyale Reservist enttäuschte nicht, doch wenn es um Elfmeter geht, hat der VfL einen Spezialisten – und der heißt Manuel Riemann. Kein Bundesliga-Torhüter pariert im Schnitt so viele Elfmeter wie er. Also passierte Folgendes, wie Riemann später erklärte: „Torwarttrainer Peter Greiber kam in der Verlängerung zu mir und fragte, wie lange ich brauche, um warm zu werden. Dann bin ich in die Kabine, habe mir noch Elfmetervideos angeschaut, bin raus und habe mich bereit gemacht.“

Riemann verwandelt den letzten Elfmeter

Was dann geschah, passt irgendwie zu diesem verrückten, erfolgreichen Bochumer Fußballjahr. Reis wechselte tatsächlich, gefeiert vom Publikum und akzeptiert von Esser, der in der Pause der Verlängerung vom Trainer informiert wurde. „Wir wollten gewinnen. Also haben wir Manu gebracht, weil wir wissen, welche Stärke er bei Elfmetern hat“, erklärte der Coach später. Der ungewöhnliche Plan ging auf, wobei: Riemann sprang zunächst viermal in die falsche Ecke, der fünfte Augsburger Schuss ging in Richtung Osttribüne. Als Elfmeterkiller überzeugte Riemann also ausnahmsweise nicht, wohl aber Schütze. Ausgerechnet den entscheidenden Ball schnappte sich der 33-Jährige selbst, behielt die Nerven und schoss den VfL ins Achtelfinale. Der Rest war Jubel und Ekstase, das Ruhrstadion stand Kopf. 

Ähnlich cool wie vom Punkt antwortete Riemann später auch im Interview auf die Frage, warum er nicht den Feldspielern den Vortritt ließ: „Sind doch nur elf Meter bis zum Tor. Ich weiß, dass ich einen guten rechten Fuß habe und auch ein guter Schütze bin.“ Tatsächlich traf Riemann im DFB-Pokal schon einmal: Im Alter von nur 19 Jahren mit Wacker Burghausen gegen den großen FC Bayern. Es war der Tag, an dem seine Karriere so richtig begann. War das Tor gegen Augsburg also erneut nur das erste Kapitel einer besonderen (Pokal-)Geschichte? Vielleicht. Mit Esser, Riemann oder wieder mit beiden tritt der VfL Mitte Januar im Achtelfinale an. Ausgelost wird an diesem Sonntag, parallel zum Spiel in Mönchengladbach. Dann wird Riemann wieder im Tor stehen. Und von den Fans sicher noch einmal gefeiert.

(Foto: Imago / Revierfoto)