Die Frage, welche besonderen Stärken seine Mannschaft denn habe, umschiffte Interimstrainer David Siebers bei seiner Vorstellung geschickt, indem er der Abkürzung VfL eine neue Bedeutung gab. Das V stehe für „Victory“, das f für „Fight“ und das L für „Love“. Nach elf Jahren als Jugendtrainer sei ihm bewusst, wie eine Bochumer Mannschaft zu spielen habe, erklärte Siebers. Am Samstagabend bei der 1:2-Niederlage in Nürnberg sah er allerdings, wie sie nicht spielen sollte. Dass Siebers in fünf Tagen keine Wunder vollbringen konnte, war schon vor dem Anpfiff klar. Dass er nach der Freistellung von Dieter Hecking aber noch nichts erkennbar Positives bewirkt hat, überraschte irgendwie doch. Die Probleme? Reichlich vorhanden und längst bekannt. Der VfL präsentierte sich beim Tabellenschlusslicht genauso hilf- und harmlos wie zuletzt.
Das Besorgniserregende ist: Nichts deutet derzeit auf eine baldige Besserung hin. Der VfL verliert seine Spiele nicht unglücklich, sondern hochverdient. Lediglich ein spätes Elfmetertor durch Ibrahim Sissoko schenkte dem VfL kurzzeitig den Glauben an einen überaus schmeichelhaften Punktgewinn. Es war die erste nennenswerte Torchance der Bochumer – in der 87. Minute. Doch schon wieder, wie zuletzt in Paderborn, gab der VfL den einen Zähler in den Schlussminuten noch her. Er hätte der verunsichert wirkenden Mannschaft sicher neuen Energieschub gegeben, die vielen Defizite aber womöglich auch kaschiert. Denn die Gäste waren über weite Strecke klar unterlegen und konnten sich abwechselnd beim Videoassistenten und den Nürnberger Angreifern bedanken, dass sie nicht schon früher als in der 68. Spielminute in Rückstand gerieten.
Erklärungen für den abermals enttäuschenden Auftritt, die defensive Anfälligkeit und die offensive Harmlosigkeit hatte Interimstrainer Siebers nach dem Spiel nicht parat und verlor sich in nichtssagenden Floskeln, vermutlich der Unsicherheit im Rampenlicht geschuldet. Der 38-Jährige setzte bei seinem Zweitliga-Debüt auf reichlich Erfahrung, schickte alle sechs Spieler der Ü30-Gruppe ins Rennen und lediglich drei Sommerneuzugänge, wovon einzig Leandro Morgalla überzeugte. Das unterstreicht abermals, wie gravierend die Versäumnisse bei der diesjährigen Kaderplanung waren. In der Offensive ist derzeit kein Spieler in der Lage, für Kreativität und Torgefahr zu sorgen – weder einer von den Arrivierten noch einer von den Neuen. Und wirklich stabil ist die Hintermannschaft auch nicht.
Viele Neuzugänge sind ihr Geld nicht wert, vor allem nicht vergleichsweise teure Spieler wie Philipp Strompf oder – abgesehen vom Elfmeter – auch Angreifer Sissoko. Zudem sind Führungsspieler und potenzielle Leistungsträger wie Matus Bero, Kevin Vogt, Philipp Hofmann und Maximilian Wittek zu sehr mit sich selbst beschäftigt und tauchen ab. Qualitativ bessere Alternativen gibt es allerdings kaum, speziell in der Offensive. In Nürnberg fiel auf, dass Siebers sieben vorrangig defensiv denkenden Spielern sein Vertrauen in einer variablen 3-4-2-1-Formation schenkte. Auch seine fünf Wechsel während der Partie erfolgten mehr oder weniger positionsgetreu. Generell gingen seine Ideen noch nicht auf. Ansätze des gewünschten Offensivpressings verpufften bereits nach der Anfangsphase.
Die Anspruchshaltung der Bochumer hat sich ohnehin schon verändert: Hatte Hecking noch mehr Ballbesitz in Aussicht gestellt, lag der Wert in den vergangenen drei Spielen bei im Schnitt unter 40 Prozent. Das Kernproblem: Dieser Kader ist weder auf ein hohes Pressing ausgelegt, weil dafür die Verteidiger zu langsam sind, noch auf eigene Dominanz, weil dafür Profis mit ausreichend Ballkontrolle fehlen. Auch das von Siebers im Training forcierte Flügelspiel funktionierte noch nicht wie gewünscht. Da wären wir wieder bei der Frage: Welche besonderen Stärken hat diese Mannschaft? Vielleicht hat Siebers diese Frage nur deshalb umschifft, weil ihm spontan keine logische und widerspruchsfreie Antwort eingefallen ist. Fünf Niederlagen in sechs Spielen sprechen für grundsätzliche Qualitätsmängel, die kein Trainer ad hoc beheben kann.
Ihr wollt das VfL-Magazin einmalig oder dauerhaft unterstützen? Nutzt dafür gerne die unkomplizierte Zahlungsoption via PayPal. Danke, dass ihr Berichterstattung dieser Art auch in Zukunft möglich macht.