Den Schal, den Dr. Christina Reinhardt bei den Spielen des VfL Bochum trägt, hat sie nicht zufällig ausgewählt. Auf der einen Seite prangt das Logo ihres Lieblingsvereins, auf der anderen das Wappen der Ruhr-Universität. Für sie ist das eine Selbstverständlichkeit. Seit 2015 ist Reinhardt Kanzlerin der Bochumer Uni, seit Ende 2022 gehört sie außerdem dem Präsidium des VfL an. Das eine ist ihr Job, das andere ein Ehrenamt, verbunden mit großer Verantwortung. „Die Anfrage, ob ich kandidieren und mitmachen möchte, kam aus heiterem Himmel. Ich wäre nie selbst auf die Idee gekommen. Aber mein erster Gedanke war sofort: Das ist eine große Ehre. Ich kann den Klub mitgestalten, von dem ich Fan bin“, erzählt sie bei einem Termin in ihrem Büro der Hochschulverwaltung. Wobei es gar nicht mehr ihr eigenes Büro ist. „Das habe ich quasi abgeschafft. Wir arbeiten mobiler und flexibler. Auch andere aus der Verwaltung können das Büro buchen.“
Pionierarbeit im Männerfußball
Diese kleine Geschichte ist vielleicht auch ein guter Beleg dafür, warum die promovierte Geographin seit der Mitgliederversammlung im vergangenen Jahr zum Aufsichtsgremium des VfL Bochum gehört. Ihre heutigen Präsidiumskollegen und die Findungskommission waren sich einig: Sie brauchen frischen Wind, einen neuen Einfluss von außen – und: eine Frau. „Wenn ich als Quotenfrau bezeichnet werde, ist das kein Schimpfwort für mich. Natürlich ist es noch Pionierarbeit. Frauen im Profifußball der Männer sind eher eine Seltenheit. Aber das war an den Hochschulen vor einiger Zeit nicht wesentlich anders“, weiß Christina Reinhardt. Nur 15 Frauen sitzen in den Führungsgremien der 36 Erst- und Zweitligisten. „Ich finde es gut und wichtig, dass sich immer mehr Vereine auf den Weg begeben, diverser zu werden. Und ich bin gerne ein Teil davon.“ Akzeptanzprobleme stellt sie keine fest: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich nicht ernst genommen werde, weil ich eine Frau bin. Ich finde, dass es schon nach kurzer Zeit keine Rolle mehr gespielt hat. Aber klar ist auch: Ohne Selbstbewusstsein und dickes Fell geht es in der Branche nicht.“
Beides bringt sie jedoch mit, ohnehin ist ihre berufliche Vita mehr als beachtlich. Als Kanzlerin hat Christina Reinhardt bereits Erfahrung im Management einer großen Organisation gesammelt. Mit fast 42.000 Studierenden und 6.300 Angestellten ist ihr Arbeitgeber sogar um ein Vielfaches größer als der Klub von der Castroper Straße. 630 Fußballfelder könnte die RUB auf ihrem 4,5 Quadratkilometer großen Campus errichten. „Natürlich habe ich kurz überlegen müssen: Kann ich dem VfL wirklich helfen? Aber schnell war mir klar: Es gibt große Schnittmengen. Auch an der RUB beschäftige ich mich viel mit den Finanzen, Personalfragen und der Infrastruktur“, berichtet Reinhardt. Seit acht Jahren ist sie Kanzlerin der Universität, zuvor war sie sechs Jahre lang in gleicher Funktion an der Hochschule Bochum tätig. In ihrer Funktion leitet sie die Verwaltung, ist Mitglied des Rektorats und dort unter anderem für den Haushalt verantwortlich. „Als mir unsere Hochschulratsvorsitzende die Genehmigung erteilt hat, habe ich der Kandidatur beim VfL zugestimmt“, blickt Reinhardt zurück.
Seit November 2022 dabei
Gemeinsam mit den langjährigen Gremiumsmitgliedern Hans-Peter Villis, Uwe Tigges, Dr. Andreas Eickhoff und Franz-Josef Tenhagen ist sie daraufhin im November 2022 zur Wahl angetreten. Beim VfL Bochum müssen sich Fünfer-Teams bilden, das sieht die Satzung so vor. Erstmals in der Vereinsgeschichte gab es allerdings Gegenkandidaten. Ein Team um den Vereinsarzt Prof. Dr. Karl-Heinz Bauer stellte sich als Wahlalternative auf – und bekam immerhin ein Drittel der Stimmen. Für Christina Reinhardt war das aber kein Problem: „Ich fand es überhaupt nicht schlimm, im Gegenteil: Einer gewählten Leitung tut Konkurrenz im demokratischen Sinne doch meistens gut. Bei der Wahl zur Kanzlerschaft einer Hochschule ist es nicht anders.“
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Das Team Bauer kritisierte beim VfL insbesondere die Führungskultur, sprach von fehlender Wertschätzung der Präsidiumsmitglieder gegenüber der Geschäftsführung und bemängelte die interne wie externe Kommunikation. Diese Kritik, versichert Reinhardt, sei in den ersten Sitzungen, die sie als frisch gewähltes Mitglied der Vereinsführung miterlebt hat, intensiv aufgearbeitet worden. „Vielleicht habe ich als Verstärkung von außen auch Denkanstöße geben können – hoffe ich zumindest.“ Ohnehin versucht sie die Rolle, die ihr zugedacht war, nun mit Leben zu füllen. „Ich beteilige mich, stelle Fragen und diskutiere mit. Vielleicht bin ich manchmal eine Irritation, aber hoffentlich immer eine produktive“, erzählt sie mit einem Schmunzeln.
Steile Lernkurve in fremder Branche
Im Gegensatz zu ihren Kollegen, die das Innenleben der Fußballwelt bereits vor ihrer (Wieder-)Wahl kannten, musste sich Christina Reinhardt in den zurückliegenden Monaten erst einarbeiten: „Ich gehe seit über 30 Jahren zum VfL, bin seit 2016 Mitglied, aber trotzdem war es zunächst eine fremde Branche. Die Prozesse und Strukturen kannte ich noch nicht, auch nicht die unausgesprochenen Regeln. Aber vor allem IIja Kaenzig hat mir sehr dabei geholfen, alles zu verstehen. Die Lernkurve war anfangs steil, und nach mehr als einem halben Jahr fühle ich mich voll integriert – fachlich, aber auch als Bestandteil der Gruppe.“
Gleichwohl ist sie bemüht darum, die Fanperspektive nicht völlig aufzugeben. Vor ihrem Engagement beim VfL verfolgte Christina Reinhardt die Heimspiele von der Osttribüne in Block Q, jetzt sitzt sie im VIP-Bereich. „Die Emotionen als Fan möchte ich mir schon erhalten“, betont sie, und hat auch deshalb kein einziges Pflichtspiel in der Rückrunde der vergangenen Saison verpasst. Selbst auswärts war sie immer dabei. „Den Weg, den der VfL gerade geht, begleiten zu dürfen, empfinde ich als ein großes Privileg. Aber die Rückrunde war das Nervenaufreibendste, was ich mit dem Klub bislang erlebt habe.“
Als Studentin VfL-Fan geworden
Dabei wurde ihr die Leidenschaft für den VfL Bochum zumindest nicht die Wiege gelebt. Christina Reinhardt kam in der Nähe von Stuttgart zur Welt, bevor sie 1989 als Studentin nach Bochum kam. „Ich war dann auch hin und wieder hin wieder im Ruhrstadion“, erinnert sie sich zurück. „Mitte der 90er-Jahre war dann der VfB Stuttgart in Bochum zu Gast. Ich war mit Freunden im Gästeblock, habe aber für den VfL gejubelt. Da habe ich gemerkt: Jetzt bin ich Bochumerin.“ Gejubelt wird natürlich immer noch, aber die Emotionen müssen bei wichtigen Entscheidungen innerhalb der Klubführung zurückstehen. Als Präsidiumsmitglied sei es schließlich ihre Aufgaben, die Geschäftsführung mit Ilja Kaenzig und Patrick Fabian bestmöglich zu unterstützen. „Feedback und Rückendeckung geben, Anregungen liefern und Aufsicht führen“ – so definiert Christina Reinhardt das Anforderungsprofil.
Zeitlich sind ihre Möglichkeiten natürlich begrenzt, als Kanzlerin der Uni ist der Terminkalender ohnehin schon gut gefüllt. „Das ist bisweilen etwas schwierig. Ich kann deshalb nicht alle Termine beim VfL wahrnehmen. Die wichtigsten aber schon.“ Wobei sie manchmal sogar beide Aufgaben miteinander verbinden kann. „Wenn es eine gemeinsame DNA beider Organisationen gibt, dann ist es die Talententwicklung. Ich führe also gerne Menschen von der Uni und vom VfL zusammen, wenn ich glaube, dass es beiden Seiten helfen kann.“ Kooperationen zwischen der Ruhr-Uni und dem VfL gibt es bereits einige. Die Profifußballer führen etwa in jedem Sommer ihre Leistungsdiagnostik am sportwissenschaftlichen Institut der RUB durch. Auch gab es schon Forschungskooperationen in unterschiedlichen Bereichen. Die Uni und der VfL sind also längst miteinander verbunden. Der Schal, den Christina Reinhardt bei den Spielen trägt, ist das perfekte Symbol dafür.
Dieses Interview ist zuerst im VfL-Heft des Bochumer 3Satz-Verlags erschienen. Auf 132 Seiten bietet das Magazin ausführliche Interviews, viele Porträts und interessante Hintergrundgeschichten. Gedruckte Exemplare liegen in vielen Geschäften im gesamten Bochumer Stadtgebiet kostenlos aus. Es ist außerdem direkt beim 3Satz-Verlag (Alte Hattinger Str. 29) erhältlich.
(Foto: Imago / Revierfoto)