2:3-Niederlage gegen Stuttgart

VfL sorgt für unnötige Spannung: „Werfen wichtige Spiele weg“

Die Zuschauer gaben das unüberhörbare Startsignal. Zu Beginn der zweiten Halbzeit wurde es im Bochumer Ruhrstadion plötzlich laut. Nach einer verschlafenen ersten Halbzeit, auf dem Platz wie auf den Rängen, peitschten die Fans ihr Team mit voller Kraft an. Spätestens nach dem Ausgleich durch Kevin Stöger, der vom Elfmeterpunkt traf, glaubten alle VfL-Fans wieder an ein gelungenes Osterfest. „Das war die Phase, in der wir das Spiel auf unsere Seite hätten ziehen müssen“, ärgerte sich Trainer Thomas Letsch nach dem Schlusspfiff. „Wir sind zurück im Spiel und kassieren dann kurz hintereinander zwei Gegentreffer auf einfachste Art und Weise. Das darf uns nicht passieren.“

Stuttgart gewinnt verdient

Ist es aber. Der Anschlusstreffer durch Philipp Hofmann, immerhin das erste herauskombinierte Tor seit Anfang Februar, kam zu spät. Stuttgart gewann das als Sechs-Punkte-Spiel deklarierte Kellerduell verdient mit 3:2. Zwar hatte Trainer Letsch im Vorfeld der Partie angekündigt, dass die erwartungsfrohen Fans eine ähnlich enttäuschende Leistung wie gegen Schalke nicht noch einmal erleben müssen. Phasenweise erinnerte der Auftritt gegen Stuttgart dann aber doch an die Pleite im Derby. Defensiv zu passive und offensiv zu ideenlose Bochumer trafen auf eine Mannschaft, die stets etwas wacher, aggressiver und mutiger war und nicht nur lange Bälle als Stilmittel kannte.

„Beim zweiten und dritten Gegentor haben wir geschlafen“, stellte Hofmann richtigerweise fest. Alle drei Treffer initiierte der VfB über die linke Angriffsseite, weil der VfL kaum Druck auf den Flankengeber ausübte und auch in der Mitte konfus verteidigte. Beim 1:2 ließ Danilo Soares seinen Gegenspieler einfach ziehen, beim dritten griff Manuel Riemann abermals daneben. Dass Riemann überhaupt im Tor stehen würde, war am Tag vor dem Spiel noch ungewiss. Der Keeper hatte sich im Abschlusstraining verletzt, musste die Einheit abbrechen und humpelte in die Kabine. Doch der Schlussmann wurde rechtzeitig fit – und war einer von vielen Schwachpunkten an diesem Sonntag.

VfL büßt Vorsprung ein

Vor allem die Folgen der Niederlage dürften den VfL noch etwas beschäftigen. „Die besonders wichtigen Spielen werfen wir weg“, sprach Hofmann den enttäuschten Fans aus der Seele. Wobei die Bilanz gegen direkte Konkurrenten im Grunde ausgeglichen ist. Zu Beginn des Jahres gelangen Heimsiege gegen Hertha und Hoffenheim. Dem stehen die Niederlagen gegen Schalke und Stuttgart gegenüber. „Wir haben eine große Chance verpasst, einen Kontrahenten auf Distanz zu halten“, ergänzte Letsch, dessen Team in dieser Saison noch keinen einzigen Punkt nach einem Rückstand geholt hat. Mit einem Sieg wäre der VfL den Stuttgartern klar und womöglich uneinholbar davongezogen.

Nun aber herrscht aus Bochumer Sicht wieder unnötige Spannung im Tabellenkeller. Der VfL hat nur noch drei Punkte Vorsprung auf den Relegationsrang, auf dem jetzt der VfB steht. Womöglich ist die Niederlage gegen Stuttgart in der Endabrechnung sogar noch schmerzhafter als die Derbypleite gegen Schalke. Denn rein sportlich betrachtet sind die Schwaben der stärkere und deshalb auch gefährlichere Tabellennachbar. Bitter obendrein: Kapitän Anthony Losilla sah in der Schlussphase seine fünfte gelbe Karte. Der Eckpfeiler der Bochumer Mannschaft, der schon vor einigen Wochen nicht ersetzt werden konnte, fehlt somit beim kommenden Auswärtsspiel gegen Union Berlin.  

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(Foto: Imago / Sven Simon)

Zurück im Team

Nutznießer Osterhage: Startelf bei Letsch, Abendessen mit Flick

Vor und nach Ostern ist das Bochumer Vereinsgelände wieder reich bevölkert. Dutzende Kinder kicken auf dem Kunstrasenplatz und nehmen am Feriencamp der VfL-Fußballschule teil. Nach dem eigenen Training stürmen sie meist zum Platz der Profis, gucken staunend zu, hoffen auf Selfies und Autogramme. In dieser Woche, genauer gesagt am Dienstag, waren ihre Idole jedoch schon fast alle in der Kabine verschwunden. Nur drei Spieler waren noch auf dem Rasen: Paul Grave, Moritz Broschinski – und Patrick Osterhage. So viele Autogramme auf einmal müssen die Jungprofis sonst eher seltener schreiben.

Dabei besteht gerade bei Patrick Osterhage die Chance, dass seine Unterschrift im Wert noch deutlich steigen wird. Der Mittelfeldspieler ist nach den ersten Monaten des neuen Jahres der große Gewinner im Kader des VfL Bochum. „Gefühlt“, sagt Trainer Thomas Letsch, „zählte er schon immer zum Stammpersonal. Aber er wurde meistens nur eingewechselt. Das ist jetzt anders.“ Zum ersten Mal seit seiner Verpflichtung im Sommer 2021 gehörte Osterhage zuletzt viermal in Folge zur Bochumer Startformation. „Er hat seine Chance genutzt und ist aktuell nicht mehr aus dem Team wegzudenken“, betont Letsch.

Vom BVB zum VfL gewechselt

Gemeinsam mit Anthony Losilla bildet der 23-Jährige die Reihe vor der Abwehr. „Patrick gibt immer alles, ist läuferisch sehr stark, aggressiv gegen den Ball und ziemlich schnell“, sagt Letsch. Gelernt hat Osterhage all das in der Jugendakademie von Werder Bremen, die er mit 17 Jahren verließ. Der BVB lockte ihn ins Ruhrgebiet. Dort wurde er in der A-Jugend Deutscher Meister, sogar als Kapitän. In der U23 angekommen, geriet seine Entwicklung ins Stocken. Verletzungen warfen ihn aus der Bahn. Osterhage machte in zwei Jahren nur acht Spiele, keines über die komplette Distanz. Sebastian Schindzielorz schreckte das nicht ab.

Schon vor dem Aufstieg klopfte der damalige Geschäftsführer des VfL bei Osterhage an und legte ihm einen Vertrag vor. Der Spieler hatte Alternativen, auch die Dortmunder wollten ihn halten – doch Osterhage wechselte nach Bochum. Gelohnt hat sich das für beide Seiten. Schon in der vergangenen Saison schnupperte Osterhage in 13 Partien Bundesligaluft, war unter anderem am 4:2-Sieg gegen die Bayern mit zwei Vorlagen beteiligt. Doch nun hat der Blondschopf mit dem Schnauzbart den berühmten nächsten Schritt gemacht. „Obwohl es zu Saisonbeginn eher schwierig für mich war“, gibt er offen zu.

Im Sommer zur U21-EM

Osterhage war verletzt, kam „deshalb nicht ins Team“, erzählte er neulich in einer Medienrunde. „Natürlich hätte ich mir gewünscht, mehr zu spielen.“ Doch seine Geduld zahlte sich aus. Gegen Schalke rückte Osterhage für den gesperrten Anthony Losilla in die Startelf, überzeugte trotz der Niederlage mit seinem Wettkampfeifer und blieb auch nach der Rückkehr des Kapitäns weiter im Team. „Das passt gerade ganz gut“, findet Letsch, der von Osterhages positiver Entwicklung „nicht überrascht“ ist. „Er hat anfangs noch zu viele Fehler nach Ballgewinnen gemacht. Aber das ist jetzt weg.“ Was also sind die nächsten Ziele?

„Den Klassenerhalt schaffen und dann zur U21-EM fahren“, sagt der Youngster unmissverständlich. Das Turnier findet Ende Juni bis Anfang Juli statt, Osterhage ist ein letztes Mal spielberechtigt. Und die Chancen stehen gut: Zuletzt wurde er wieder nominiert, gemeinsam mit der A-Nationalelf residierte die U21 auf dem DFB-Campus in Frankfurt – ein Teamtreffen und Abendessen mit Hansi Flick und Co. inklusive. Doch das ist aus Bochumer Sicht nebensächlich. Viel wichtiger: Nicht nur die Kinder am Trainingsplatz haben sich neulich die Unterschrift von Osterhage gesichert, auch das Management. Sein neuer Vertrag läuft bis 2026.

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(Foto: Marc Niemeyer)

Verträge laufen aus

Trikotwerbung: VfL verhandelt und prüft auch Alternativen

Seit dieser Saison tragen die Profis des VfL Bochum Trikots der Marke Mizuno. Der japanische Hersteller liefert eine individuell gestaltete Spielkleidung. Die Fans honorieren das. Bereits in den ersten vier Wochen nach Verkaufsstart gingen rund 6.000 Trikots über die Ladentheke. Der Wert liegt mittlerweile klar im fünfstelligen Bereich. Über diese Zahlen freuen sich natürlich auch die beiden Werbepartner, die auf dem Trikot präsent sind. Seit 2021 wirbt der Immobilienkonzern Vonovia mit seinem Logo auf der Vorderseite, die Viactiv Krankenkasse seit 2017 auf dem Ärmel. Doch die Verträge mit den beiden Bochumer Unternehmen enden in diesem Sommer. Wie geht es weiter?

Ärmel wird wohl neu vergeben

Auf Anfrage von Tief im Westen – Das VfL-Magazin teilen beiden Unternehmen mit, dass sie sich nicht näher dazu äußern können oder wollen. Eigene Recherchen ergeben aber eine klare Tendenz: Vonovia ist grundsätzlich bereit, den Vertrag zu verlängern, Gespräche laufen bereits. Eine weitere Zusammenarbeit ist sogar ziemlich wahrscheinlich, zumal der DAX-Konzern bis 2026 auch die Namensrechte am Stadion erworben hat. Damit bliebe Vonovia weiterhin der mit Abstand wichtigste Geldgeber auf der Sponsorenebene. Auf dem Trikotärmel zeichnet sich hingegen eine Veränderung ab. Das Problem: Gesetzliche Krankenkassen sind, wenn es um Werbung und Sponsoring angeht, eingeschränkt. Sie dürfen pro Beitragszahler nur knapp fünf Euro im Jahr zu Marketingzwecken ausgeben. Außerdem unterliegen Sponsoringverträge mit Sportvereinen neuen, strengeren Bestimmungen. Reine Imagewerbung ist nicht mehr erlaubt.

Langfristiger Vertrag mit Mizuno

Weil der VfL – sollte er ein drittes Jahr in der Bundesliga spielen – auch mehr Geld als bislang für seinen Trikotärmel verlangen könnte, sieht sich die Vermarktungsabteilung nach Alternativen um. Sicher ist dagegen: Die Trikots werden auch künftig von Mizuno hergestellt und geliefert. Der Vertrag läuft nach Informationen von Tief im Westen – Das VfL-Magazin noch mehrere Jahre. Allerdings wird der VfL ab der kommenden Saison nicht mehr der einzige Profiklub aus Deutschland sein, mit dem das japanische Unternehmen zusammenarbeitet. Auch der FC Augsburg und Hansa Rostock laufen bald in Mizuno-Trikots auf. Ein individuelles Trikotdesign wird es für den VfL Bochum trotzdem geben.

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(Foto: Marc Niemeyer)

Vereinsgeschichte

175 Jahre: VfL Bochum will im September Jubiläum feiern

Fanartikel mit der Jahreszahl 1848 zählen zur begehrten Ware, sie schmücken sogar Autokennzeichen. Dass es sich dabei in Wirklichkeit gar nicht um das tatsächliche Gründungsjahr des VfL Bochum handelt, muss die Fans aber nicht beunruhigen. Historiker Henry Wahlig, der seit mehr als zwei Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen freiberuflich oder ehrenamtlich für den Verein tätig ist, erklärt: „Entstanden ist der Turnverein, der erste Vorgängerverein des heutigen VfL, in Wirklichkeit erst 1849. Später haben sich die Turner dann aber auf das historisch bedeutsame Jahr berufen, auch um ihre Verbindung mit den demokratischen Werten der Revolutionsbewegung von 1848 zu demonstrieren.“

Ausstellung im Stadtarchiv geplant

Mit Stolz könne der VfL in diesem Jahr deshalb auch seinen 175. Geburtstag begehen. Wahlig hat hinter den Kulissen ein Projekt angeschoben, um das sich der Verein nun kümmert und in mehreren Veranstaltungen münden soll. Geplant sind unter anderem eine Ausstellung im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte sowie ein Festwochenende im September. „Der VfL ist der älteste bis heute bestehende Verein Bochums und einer der ältesten Klubs im deutschen Profifußball. Das muss würdig begangen und angemessen gefeiert werden“, sagt Wahlig, der hauptberuflich im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund arbeitet und sich somit bestens in der Fußballlandschaft auskennt.

Ein vom Verein beauftragter Kurator soll nun gemeinsam mit Wahlig besondere Exponate sowie außergewöhnliche Geschichten für die Ausstellung im Stadtarchiv zusammentragen. „Im Idealfall gelingt es uns, auch Geschichten zu erzählen, die so noch nicht bekannt sind.“ Wahlig denkt dabei zum Beispiel an die Europapokalauftritte des VfL im sogenannten UI-Cup, von denen im Gegensatz zu den legendären UEFA-Cup-Duellen bislang kaum etwas überliefert ist.

Kaenzig ist Traditionspflege wichtig

In diesem Zusammenhang könnte auch die Ehemaligendatei helfen, die der VfL Bochum unter Leitung des Fanbeauftragten Dirk Michalowski und Mitarbeiter Stefan Folke in den zurückliegenden Jahren akribisch aufgebaut hat. Mehr als 600 Kontaktdaten zu ehemaligen Spielern hat der VfL mittlerweile erfasst – dabei ist es ganz egal, wann und wie lange sie für den Klub aktiv waren. „Das allerschwierigste war und ist es, Kontakte zu jenen herzustellen, die schon viele Jahre nicht mehr aktiv und dementsprechend vom VfL-Radar verschwunden sind“, erklärt der Fanbeauftragte und betont: „Jeder, der hier mal gespielt oder gearbeitet hat, ist ein Stück VfL-Geschichte.“

Angeschoben hat dieses Projekt Geschäftsführer Ilja Kaenzig. „Mit ihm hat das Thema Vereinshistorie und Traditionspflege erstmals eine ganz neue Bedeutung innerhalb des Vereins bekommen“, lobt Wahlig die Arbeit des Schweizers. Aus seiner Sicht sei genau das jahre- und teils jahrzehntelang versäumt worden. „Von Vereinsseite aus wurde praktisch nie gesammelt, wertvolle Dokumente sind unwiederbringlich verloren gegangen.“

Kontakt zu vielen Ehemaligen

Den Kern der geplanten Ausstellung im Stadtarchiv werden voraussichtlich Sammlerstücke aus dem Fundus von VfL-Fan Bernd Kreienbaum bilden, hinzu kommen unter anderem Schätze aus dem Nachlass von Ottokar Wüst. Das Stadtarchiv selbst verfügt nur über wenige Dokumente. „Aber immerhin lagert dort das älteste Stück Vereinsgeschichte, das es gibt: Die Fahne des Turnvereins aus dem Jahr 1849“, erzählt Wahlig. „Ein unglaubliches Exponat. Sie war noch nie in der Öffentlichkeit zu sehen und muss eigens dafür restauriert werden.“ Eine Faninitiative will Spendengelder sammeln, um dieses ganz besondere Stück VfL-Geschichte zu neuem Leben zu erwecken.

Nicht ganz ausgeschlossen ist, dass auch bei dem einen oder anderen Spieler noch Sehenswertes einlagert. Der VfL Bochum möchte die Ehemaligendatei ohnehin nicht nur dafür nutzen, um alljährlich einen Geburtstag- und Weihnachtsgruß an alle zu verschicken. Das macht das Team um Dirk Michalowski zwar auch, vielmehr sollen die Ehemaligen aber auch als Botschafter des Klubs in Erscheinung treten und aktiv in das Vereinsleben eingebunden werden. Ein Kern von rund 30 früheren Spielern – darunter Dariusz Wosz, Thomas Ernst oder Peter Közle – soll den VfL zu verschiedenen Anlässen vertreten. „Einige Fanclubs fragen zum Beispiel direkt bei uns an, ob wir einen oder zwei Ehemalige zu ihrer Jubiläums- oder Weihnachtsfeier schicken können. Das machen wir dann gerne.“ Im Gegenzug erhalten die Ex-Profis freien Eintritt zu den Bundesligaspielen.

Dieser Text ist zuerst in der Winterausgabe des Magazins „100% VfL Bochum“ erschienen. Auf 100 Seiten bietet der Bochumer 3Satz-Verlag unter anderem Interviews mit Thomas Letsch, Patrick Fabian und Ilja Kaenzig. Ihr könnt das Heft an dieser Stelle digital durchblättern und lesen (funktioniert nur in der Desktopversion). Gedruckte Exemplare liegen in vielen Geschäften im gesamten Stadtgebiet kostenlos aus.

1:1 in Frankfurt

Dank an den Co-Trainer: VfL freut sich über seltenen Spielausgang

Oliver Glasner nahm es ganz genau. Beim ersten langen Einwurf von Christopher Antwi-Adjei zeigte Frankfurts Trainer auf die Stelle, an dem der Ball ins Aus gerollt war. Bochums Angreifer interessierte das nicht. Er rückte fünf Meter vor. Vielleicht ahnte Glasner da schon, was in den folgenden Sekunden passieren würde. Antwi-Adjei setzte zur Einwurfflanke an, Ivan Ordets verlängerte den Ball und Anthony Losilla zielte aufs Tor. Kevin Trapp im Tor der Eintracht konnte noch parieren, doch beim Nachschuss von Takuma Asano war er machtlos. Der VfL bejubelte den frühen Führungstreffer, der am Ende für einen Punktgewinn genügte. Das Besondere: Es war das erste Unentschieden im 19. Pflichtspiel unter Trainer Thomas Letsch. Und die Gefühlslage bei einer Punkteteilung ist oftmals Definitionssache.

Unentschieden? Ungewohnt!

Wobei die allermeisten Bochumer mit dem 1:1 wohl mehr als zufrieden sind. „Einige sitzen in der Kabine und ärgern sich, warum wir unsere Chancen am Ende nicht besser genutzt haben“, sagte Letsch. Dabei dachte er wohl an die Kontergelegenheit in der Nachspielzeit, an den Kopfball von Anthony Losilla in der Schlussphase oder den Lattenkracher von Kevin Stöger kurz davor. „Aber“, schränkte der Coach ein, „ich sehe das ganz nüchtern: Ich bin mit dem Ergebnis absolut zufrieden. Frankfurt hat von der ersten Minute an enorm viel Druck gemacht. Aber wir haben wieder mit Leidenschaft dagegengehalten und unser Tor als Team verteidigt. Dieser Punkt kann noch sehr wichtig sein.“ Zumindest öffentlich gab es von seinen Spielern auch keinen Widerspruch. Warum auch?

Frankfurt klar spielbestimmend

Dass die personalgeschwächte Eintracht bis vor wenigen Wochen noch in der Champions League gespielt hat, war durchaus zu erkennen. Frankfurt bestimmte das Spiel, hatte mehr als 70 Prozent Ballbesitz. Letsch stellte im Laufe der Partie das System um, seine Mannschaft spielte fortan deutlich defensiver. Lediglich vom Elfmeterpunkt waren die Gastgeber erfolgreich, nachdem der VfL schon zum 13. Mal in dieser Saison einen Strafstoß verursachte hatte – und am Ende froh sein konnte, dass kein weiterer dazu kam. Dominique Heintz bekam den Ball im eigenen Strafraum an den Arm, doch Schiedsrichter Harm Osmers verzichtete auf einen Elfmeterpfiff, weil sich der Verteidiger im Fallen lediglich abstützen wollte. Grenzwertig, aber noch tolerabel war auch das Einsteigen von Antwi-Adjei gegen Aurelio Buta.

Gefährliche Einwurfflanken

Wie auch immer. So ungeschickt wie sich der VfL im eigenen Strafraum manchmal noch anstellt, so clever ist er mittlerweile bei eigenen Standardsituationen. Zu einer besonderen Stärke haben sich neben Ecken und Freistößen auch weite Einwürfe entwickelt. „Natürlich ist das eine Waffe“, bestätigte Patrick Osterhage am Freitagabend. Die groß gewachsenen Verteidiger rücken in den gegnerischen Strafraum vor und warten auf die Einwurfflanke von Christopher Antwi-Adjei. Schon gegen Leipzig ist auf diese Art und Weise der Siegtreffer gelungen, gegen Frankfurt immerhin das Führungstor. „Für Offensivstandards ist bei uns Co-Trainer Jan Fießer zuständig“, lobte Letsch seinen Assistenten. „Das ist ein Muster, das funktioniert. Und im Abstiegskampf sind Standardsituationen immer wichtig.“

Bochum bleibt auf Platz 14

Bei einem Blick auf die Tabelle sieht sich Letsch bestätigt. Zum zweiten Mal in dieser Saison hat der VfL drei Partien in Folge nicht verloren, auch auswärts wird plötzlich gepunktet. Auf Platz 14 wird der VfL diesen Spieltag beenden; das ist schon klar, bevor die Konkurrenz überhaupt gespielt hat. Riesig und komfortabel ist der Vorsprung natürlich noch nicht, die Ausgangsposition trotzdem angenehm. „Wir sind auf einem guten Weg“, betont Bochums Cheftrainer, der am kommenden Spieltag die umgekehrte Rolle einnimmt. Die Konkurrenz spielt teilweise schon am Karsamstag, Ostersonntag zieht der VfL nach. Wie auch immer die Spiele bis dahin ausgehen, eines ist sicher: „Wir haben gegen Stuttgart eine große Chance, unserem Ziel noch näher zu kommen.“ Vielleicht ja wieder mit einer Standardsituation…

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(Foto: Marc Niemeyer)

Lehrermangel

Aprilscherz: Letsch hilft an Bochumer Schule aus

(Update: Leider müssen wir alle Schülerinnen und Schüler in Bochum enttäuschen: Thomas Letsch wird nicht euer neuer Mathe- und Sportlehrer. Es handelt sich lediglich um den alljährlichen Aprilscherz. Offenbar ist die Personalnot an den Schulen aber wirklich so groß: Es meldeten sich ein ehemaliger Schulleiter sowie eine Lehrerin aus Bochum, die sich über Verstärkung sehr gefreut hätten.)

In Deutschland fehlen immer mehr Lehrkräfte. Die Kultusministerkonferenz spricht von 12.000 offenen Stellen bundesweit, der Verband Bildung und Erziehung sogar von 50.000. Das Land Nordrhein-Westfalen greift deshalb zu einer radikalen Maßnahme: Alle ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer, die mittlerweile in anderen Jobs tätig sind, müssen nach den Osterferien an einer Schule aushelfen. Auch der VfL Bochum ist davon betroffen. Cheftrainer Thomas Letsch, studierter Mathematik- und Sportlehrer, wird ebenfalls zum Schuldienst verpflichtet. An zwei Tagen in der Woche steht er deshalb nicht auf dem Trainingsplatz, sondern vor einer Schulklasse.

Unterricht zweimal pro Woche

Letsch wird einer Schule in Bochum zugewiesen; welcher genau, ist noch nicht bekannt. „Das wird eine besondere Herausforderung in den nächsten Wochen: Beim VfL soll natürlich der Klassenerhalt gelingen. In der Schule wäre das fatal. Dort verfolge ich das umgekehrte Ziel. Ich möchte allen Schülerinnen und Schülern meiner Klasse zum Aufstieg in die nächste Jahrgangsstufe verhelfen“, sagt der 54-Jährige auf Anfrage von Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Letsch wird jeden Montag und Donnerstag unterrichten: montags im Fach Mathematik, donnerstags als Sportlehrer. „Vielleicht entdecke ich ja noch ein Talent für den VfL Bochum. Dann wäre das auch eine Win-win-Situation für den Klub.“

Letsch war Lehrer in Lissabon

Beim VfL werden die Co-Trainer Jan Fießer und Frank Heinemann einspringen, wenn Thomas Letsch in der Schule arbeitet. Sorgen, dass die Arbeit beim VfL leidet, hat Geschäftsführer Ilja Kaenzig keine: „Die Wahrscheinlichkeit auf den Klassenerhalt sinkt dadurch nicht. Gleichzeitig wird Thomas Letsch dafür sorgen, dass die Kinder in Bochum Wahrscheinlichkeitsrechnung noch besser verstehen. Unser Trainer ist flexibel einsetzbar.“ Letsch war zuletzt im Jahr 2012 als Lehrer tätig, damals an der Deutschen Schule in Lissabon. Davor hat er am Gymnasium in Plochingen unterrichtet, an dem er selbst Schüler war. Sein Vertrag als Aushilfslehrer läuft bis zum 1. April 2024.

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(Foto: Marc Niemeyer)

Lob der Teamkollegen

Riemann reagiert auf Kritik: Mitspieler stellen Wandel fest

Seit anderthalb Jahren verzichtet Manuel Riemann auf Interviews vor und nach den Spielen. Nur noch in Ausnahmefällen äußert sich der Torhüter öffentlich. Auf dem Platz hingegen ist der Redeanteil des 34-Jährigen zunächst nicht gesunken. Radio Riemann war unverändert auf Sendung. Anspornen und anschnauzen: Der Keeper konnte beides. Vor allem Letzteres gefiel auf den Tribünen nicht allen. Auch auf dem Platz gab es deswegen schon Misstöne. Doch aufmerksamen Stadionbesuchern fiel sowohl beim 2:0-Sieg in Köln als auch beim 1:0-Erfolg gegen Leipzig eine gewisse Zurückhaltung auf. Riemann gestikulierte weniger, er schimpfte auch seltener. Ob das allein an der verbesserten Defensivleistung lag? Unwahrscheinlich.

Teamkollegen bedanken sich

Das Wichtigste aber: Riemann selbst blieb fehlerlos. Speziell gegen Leipzig trat er in den Schlussminuten mehrfach als Retter in Erscheinung – was ihm die Teamkollegen schließlich dankten. Nach dem Abpfiff bildete sich im Bochumer Strafraum eine Jubeltraube. Mittendrin: Ihr Schlussmann. „Manu hat viel auf seine Kappe genommen. Vielleicht zu Unrecht“, sagt Kapitän Anthony Losilla. „Aber so ist er. Man sieht auch, wie stark er mental ist, wenn man zwei solche Leistungen nach so viel Kritik zeigen kann.“ Angreifer Philipp Hofmann ergänzt: „Die Woche nach dem Schalke-Spiel war keine einfache für ihn. Er hat sich viele Vorwürfe gemacht. Jetzt hat er den Reset-Knopf gedrückt und den alten Manu wiedergefunden.“ Den, der im VfL-Trikot schon oft geglänzt hat.

Torwartwechsel wieder vom Tisch

Als Aufstiegsheld und Garant für den Klassenerhalt in der vergangenen Saison war Riemann lange Zeit unumstritten. In dieser Saison hingegen patzte er mehrfach. Nicht nur medial und in Fankreisen, selbst intern gab es Kritik an ihm. Sein Slapstick-Eigentor gegen Schalke entwickelte sich zum Politikum. Auch im Trainerbüro wurde über Riemann diskutiert. Doch zwei Tage vor dem Spiel in Köln meldete sich Ersatzkeeper Michael Esser mit Magen-Darm-Problemen plötzlich krank. Ein möglicher Torwartwechsel war vom Tisch. Auf die Frage, ob Riemann gespielt hätte, wenn Esser fit gewesen wäre, antwortet Letsch ausweichend, vermeidet aber eine klare Antwort pro Riemann: „Das ist müßig“ sagt der Trainer. „Manuel hat gespielt. Und Manuel hat gut gespielt.“

Letsch würdigt Riemanns Reaktion

Aber: Sogar Diplomat Letsch sprach nach dem Derby gegen Schalke von „teils berechtigter Kritik“ an Riemann. Er mahnte jedoch an, die Torwartpersonalie und die Leistung seiner Mannschaft generell differenzierter zu betrachten. „Natürlich war Druck da, wenn du infrage gestellt wirst und es viele Themen rund um deine Person gibt. Dann so eine Leistung abzuliefern, verdient absoluten Respekt“, sagt Letsch. Doch was war nun der Schlüssel zum Erfolg oder führte zum Wandel? Gegen Köln und Leipzig konzentrierte sich Riemann vor allem auf die eigene Leistung. „Er beschäftigt sich nicht mehr so viel mit anderen Spielern“, bestätigt Teamkollege Hofmann ebenso wie Trainer Letsch: „Manu ist ein reflektierter Mensch. Ich ziehe den Hut vor ihm und seiner Reaktion.“

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(Foto: Imago / Vitalii Kliuiev)