Debatte

VfL-Kolumne: Wenn Bochum ins „höhere Regal“ greift

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Die Möglichkeiten auf dem Transfermarkt.

Da ist sie wieder, eine der meistzitiertesten Aussagen der Saison. Schon im vergangenen Sommer sprach VfL-Geschäftsführer Ilja Kaenzig davon, dass die Bochumer bei Transfers nun in ein „höheres Regal“ greifen könnten. In einem Interview mit dem Online-Portal Spox, das am Montag veröffentlicht wurde, nutzte er dieselbe Formulierung wieder. Die vergangenen Monate haben gezeigt: Das weckt bei vielen Fans falsche Erwartungen – obwohl die Formulierung inhaltlich nicht falsch ist.

Das Problem ist, dass es Kaenzig anders meint als es bei vielen Fans ankommt. Kaenzig meint damit offensichtlich: Der Spieleretat des VfL ist deutlich gestiegen, der Abstand zu einigen Mitbewerbern wird mit jedem Erstligajahr geringer. Stammspieler aus dem Ausland oder Leistungsträger aus der 2. Liga wechseln an die Castroper Straße, Leihverträge werden weniger, Neuzugänge bringen Spielpraxis mit. Was bei vielen Fans dagegen ankommt: Der VfL kann sich gefragte Bundesliga-Profis leisten, kann Ablösesummen von drei oder vier Millionen Euro stemmen und die meisten Neuzugänge sind auf Anhieb Leistungsträger.

Ohne Branchenkenntnis fällt eine Einschätzung logischerweise schwer, welche Spieler tatsächlich im Bochumer Regalfach liegen. Die Realität aber ist: Sollte der VfL den Klassenerhalt erneut schaffen, dann wird sich an den Möglichkeiten auf dem Transfermarkt immer noch nichts Entscheidendes ändern, auch wenn der Spielraum durch zu erwartende Ablösesummen weiter steigen würde. Als Faustregel gilt: Sobald ein anderer Bundesligist ins Wettbieten um einen Spieler einsteigt, sinken die Chancen, diesen Spieler nach Bochum zu locken, oft rapide. Denn die allermeisten Profis schauen zunächst einmal auf die Zahlen in ihrem Vertrag. Und da stechen Augsburg, Mainz oder Berlin den VfL im Normalfall aus, weil sie schon länger etablierte Mitglieder der Bundesliga sind.

Darum ist genau das notwendig, was Ilja Kaenzig seit Jahren predigt: Der VfL muss die Umsatzmarke von 100 Millionen Euro knacken, um dauerhaft konkurrenzfähig zu sein. Wahrscheinlich wäre es bis dahin besser, bei Transfers nicht mehr vom Griff ins „höhere Regal“ zu sprechen. Einfach deshalb, weil es falsche Erwartungen weckt.


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(Foto: Imago / Team 2)

3:2 gegen Hoffenheim

VfL kämpft, zittert und jubelt: „Das Trauma ist besiegt“

Im Umgang mit Superlativen ist Vorsicht geboten, sie nutzen sich leicht ab. Aber an diesem Wochenende darf man einen riskieren: Das 3:2 des VfL Bochum gegen die TSG Hoffenheim ist schon jetzt der emotional wichtigste Sieg in dieser Saison. Denn an der Castroper Straße ist die Hoffnung auf den Klassenerhalt zurückgekehrt. Neue Hoffnung nach zuletzt acht sieglosen Spielen in Folge und reichlich Untergangsstimmung im Umfeld des Klubs. 

Hochverdienter Sieg

Wie schnell sich die Lage drehen kann, war am Freitagabend spätestens gegen 22.30 Uhr zu sehen. Gemeinsam feierten Fans und Mannschaft den hochverdienten Heimsieg, den ersten Dreier seit Mitte Februar. Doch die Atmosphäre im Ruhrstadion war schon in den Stunden davor definitiv erstklassig. Und mit jedem der drei Tore wurde es lauter im Bochumer Hexenkessel. Nur einer zeigte verhaltende Freude: Doppeltorschütze Kevin Stöger. Er jubelte allenfalls innerlich über seinen sehenswerten Freistoßtreffer zum 1:0 und über das vorentscheidende 3:0. Mit weit ausgestreckten Armen stand er vor den eigenen Fans als wollte er sagen: Seht her, ich gebe Gas!

Stöger war nach dem Spiel nicht zu sprechen, jedenfalls nicht für die Bochumer Journalisten. Wobei der Grund für seine Zurückhaltung eigentlich auf der Hand liegt: Einige Fans warfen Bochums Top-Scorer unter der Woche vor, angesichts seines bevorstehenden Wechsels zu Union Berlin nicht mehr mit voller Kraft für seinen aktuellen Arbeitgeber zu spielen. Diese Theorie widerlegte er eindrucksvoll – wie die gesamte Mannschaft. „Sie hat das Herz auf dem Platz gelassen“, sagte Sportdirektor Marc Lettau voller Anerkennung. Von Beginn an waren die Bochumer engagierter, druckvoller und disziplinierter als die Gäste aus dem Kraichgau und belohnten sich dafür noch vor der Pause mit zwei Treffern.

Gleich mehrere Bochumer zeigten ihre vielleicht beste Saisonleistung: Torschütze Felix Passlack, der nach schwierigen Monaten doch noch einmal in Fahrt kommt. Oder Matus Bero, der endlich mal wieder auf seiner angestammten Position im zentralen Mittelfeld auflaufen durfte. Aber auch Maximilian Wittek und Moritz Broschinski, die erfolgreich zu offensiven Flügelspielern umfunktioniert wurden. Ivan Ordets, der in die Innenverteidigung zurückgekehrt war, überzeugte ebenfalls. 36 Torschussversuche gaben die Hausherren an diesem Abend ab – so viele wie noch nie in der Bochumer Bundesliga-Geschichte. Offenbar haben die zahlreichen teaminternen Diskussionen und Aussprachen unter der Woche geholfen. „Wir müssen nicht jeden Abend zusammen Essen gehen, aber als Mannschaft müssen wir funktionieren“, sagte Defensivallrounder Bernardo.

Führung verteidigt

Im Gegensatz zu den vergangenen Wochen hatte der VfL auch das notwendige Spielglück. Schiedsrichter Tobias Stieler zeigte nach einem Foul von Philipp Hofmann im eigenen Strafraum auf den Elfmeterpunkt. Der Video-Assistent korrigierte die Entscheidung allerdings, weil ein Hoffenheimer zuvor knapp im Abseits stand. Anschließend drehte der VfL auf, zittern musste er später aber trotzdem noch. Auch eine 3:0-Führung genügte nicht für einen entspannten Fußballabend. Hoffenheim traf doppelt, kurz vor Schluss stand es plötzlich nur noch 3:2. Die Fans im Stadion erstarrten kurz, in den Köpfen der Spieler ratterte es. Torhüter Manuel Riemann lief zur Trainerbank, forderte von Heiko Butscher weitere Wechsel und bekam sie schließlich auch. 21 Punkte hat der VfL in dieser Saison schon nach einer Führung verspielt – diesmal aber hielt er durch. „Das Trauma ist besiegt“, glaubt Bernardo. „Dieser Sieg ist nicht nur gut für die Tabelle, sondern auch für den Kopf. Endlich hat es geklappt.“

Halbwegs entspannt können alle Bochumer am Samstag und vor allem am Sonntag die Spiele der Konkurrenz verfolgen. Mit Mainz und Köln treffen zwei Verfolger direkt aufeinander. Der direkte Abstieg ist für den VfL dank des eigenen Erfolgs ohnehin unwahrscheinlicher geworden. Auch Bochums nächster Gegner muss wieder um den Klassenerhalt zittern. Verzichten muss der VfL gegen Union Berlin aber auf Anthony Losilla. Der Kapitän sah gegen Hoffenheim bereits seine zehnte Gelbe Karte und ist für das Gastspiel an der Alten Försterei gesperrt. Patrick Osterhage kehrt dagegen wieder zurück – und auch Kevin Stöger wird wahrscheinlich wieder zur Startformation gehören. Auch gegen seinen wohl künftigen Arbeitgeber.


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Personalticker

Antwi-Adjei vor Unterschrift – Soares erhält „Denkpause“

Der Personalticker ist zurück! Ab sofort liefert Tief im Westen – Das VfL-Magazin wieder gebündelt Informationen zu allen möglichen Zu- und Abgängen, Vertragsverlängerungen oder Veränderungen auf anderen Positionen. Neben Vollzugsmeldungen gibt es auch einen Überblick zu Gerüchten, wie gewohnt mit einer Einschätzung und eigenen Recherchen.

29. April: Christopher Antwi-Adjei wird dem VfL Bochum sehr wahrscheinlich noch länger erhalten bleiben. Nach Informationen von Tief im Westen – Das VfL-Magazin steht eine Vertragsverlängerung kurz bevor. Die Verhandlungen zwischen dem VfL und Antwi-Adjei begannen bereits vor Monaten. Der Spieler und sein Berater lehnten ein Angebot zunächst ab. Die Bochumer Verantwortlichen waren dennoch bestrebt, den offensiven Außenspieler weiter an den Klub zu binden – offensichtlich mit Erfolg. Der 30-Jährige spielt seit 2021 für den VfL. In 84 Pflichtspielen gelangen ihm fünf Treffer und 14 direkte Torvorlagen.

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26. April: Der VfL Bochum hat Linksverteidiger Danilo Soares vorübergehend suspendiert. Wie Tief im Westen – Das VfL-Magazin erfuhr, wurde der 32-Jährige von den Klub-Verantwortlichen unter anderem für ein Interview mit der WAZ sanktioniert. Der Brasilianer hat sich in dieser Woche zu seiner persönlichen Situation geäußert. „Ich weiß nicht, warum ich keine Chance mehr bekommen habe“, wurde Soares zitiert, nachdem er zuletzt Ende Januar zum Spieltagskader gehörte. „Ich gebe alles im Training. Ich versuche, um meinen Platz zu kämpfen, aber ich kriege keine Chance.“ Soares trägt seit sieben Jahren das Trikot des VfL Bochum und wird den Klub am Saisonende verlassen. Sportdirektor Marc Lettau bestätigte nach dem 3:2-Sieg gegen Hoffenheim, dass Soares eine „Denkpause“ erhalte habe, die am Montag mit einem persönlichen Gespräch enden soll. Er habe sich nicht so in den Dienst der Mannschaft gestellt, wie es sich die Klubverantwortlichen gewünscht hätten.

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24. April: Kevin Stöger wird den VfL Bochum im Sommer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verlassen. Der Spielgestalter möchte zu Union Berlin wechseln, meldet die Sport Bild an diesem Mittwoch. Der Spieler und sein neuer Arbeitgeber seien sich bereits grundsätzlich einig. Sicher ist ein Transfer aber noch nicht. Die Vertragsunterschrift bei den Köpenickern ist an den Klassenerhalt geknüpft.

Dass Stöger seine Zukunft nicht mehr in Bochum sieht, ist schon seit längerer Zeit ein offenes Geheimnis. Der 30-Jährige möchte noch einmal einen finanziell lukrativen Vertrag unterschreiben. Auch der VfL hat ihm ein Angebot vorgelegt, in Berlin würde Stöger aber deutlich mehr verdienen. Bereits im Winter waren die Berliner an einer Verpflichtung von Stöger interessiert, worüber Tief im Westen – Das VfL-Magazin exklusiv berichtet hatte. Der Spieler war schon zu diesem Zeitpunkt wechselwillig, der VfL lehnte einen Transfer allerdings ab. Pikant: Am 5. Mai treffen Union Berlin und die Bochumer direkt aufeinander – und kämpfen an diesem Tag beide noch um den Klassenerhalt.

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15. April: Patrick Osterhage wird den VfL Bochum am Saisonende verlassen und zum SC Freiburg wechseln. Den Transfer zum Bundesliga-Konkurrenten hat der VfL an diesem Montag bestätigt. Gerüchte über einen Wechsel gab es schon länger. Anfang April hatte Tief im Westen – Das VfL-Magazin exklusiv über die in Osterhages Vertrag verankerte Ausstiegsklausel berichtet. Die Ablöse für den 24-Jährigen soll bei rund fünf Millionen Euro liegen. Osterhage war vor knapp drei Jahren aus der Zweiten Mannschaft des BVB nach Bochum gewechselt und kommt bis dato auf 56 Bundesliga-Einsätze für den VfL. In dieser Saison ist er zur unumstrittenen Stammkraft gereift.

„Potenziale wie das von Patrick Osterhage zu erkennen, das Talent zu fördern und so auszubilden, dass es gleichermaßen einen sportlichen und finanziellen Mehrwert für den VfL schafft, ist für uns essenziell. Wir wünschen Patrick Osterhage alles Gute in Freiburg“, sagt Bochums Sportdirektor Marc Lettau. „Wir haben ihn als stets leistungsbereiten und tadellosen Charakter kennengelernt und sind überzeugt davon, dass er weiterhin alles dafür gibt, um mit uns das Ziel Klassenerhalt zu erreichen.“

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11. April: Herber Rückschlag für Jordi Osei-Tutu: Der nach Griechenland ausgeliehene Flügelspieler hat vor kurzem einen Kreuzbandriss erlitten und wird mindestens ein halbes Jahr ausfallen. Osei-Tutu war erst im Januar 2024 vom VfL Bochum zum Erstligisten PAS Giannina gewechselt. Dort stand er bis zuletzt fast immer in der Startelf. Der griechische Erstligist besitzt eine Kaufoption. Ob sie angesichts der Verletzung gezogen wird, ist zweifelhaft. Nach jetzigem Stand wird Osei-Tutu im Sommer zum VfL zurückkehren. Sein Vertrag in Bochum läuft noch bis 2025. Unter Ex-Trainer Thomas Letsch besaß er keine sportliche Perspektive mehr.

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9. April: Heiko Butscher wird den VfL Bochum bis zum Saisonende trainieren. Nach Absagen verschiedener Kandidaten für die Nachfolge von Thomas Letsch hat sich die Vereinsführung nun für eine interne Lösung entschieden. Butscher ist beim VfL eigentlich als U19-Coach und Sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung tätig. Der 43-Jährige hat die Bochumer bereits 2018, 2019 und 2022 in je einem Pflichtspiel übergangsweise betreut. Nun erhält er das Vertrauen für sechs bzw. acht Spiele. Externe Kandidaten wie Urs Fischer und Peter Stöger haben abgesagt oder waren kurzfristig nicht verfügbar.

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8. April: Thomas Letsch wird am Samstag beim Heimspiel gegen den 1. FC Heidenheim nicht mehr auf der Bochumer Trainerbank sitzen. Letsch und sein Co-Trainer Jan Fießer wurden bereits über diese Entscheidung informiert. Am Nachmittag bestätigte der Klub die Trennung. Sie ist das Ergebnis verschiedener Gespräche und Krisensitzungen nach der 1:2-Niederlage in Köln und der anhaltenden sportlichen Talfahrt. Die Verantwortlichen wollen kurzfristig einen Nachfolger präsentieren.

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4. April: Schon seit längerer Zeit wird VfL-Mittelfeldspieler Patrick Osterhage mit dem SC Freiburg in Verbindung gebracht. Bereits 2022 bekundeten die Breisgauer erstmals ihr Interesse an einer Verpflichtung. Osterhage blieb allerdings in Bochum und verlängerte seinen Vertrag bis 2026. Dieser beinhaltet nach exklusiven und gesicherten Informationen von Tief im Westen – Das VfL-Magazin aus dem Freiburger Umfeld allerdings eine Ausstiegsklausel. Über die genaue Höhe der fälligen Ablöse ist nichts bekannt. Marktüblich dürfte sie aber wohl im mittleren einstelligen Millionenbereich liegen, im Optimalfall auch leicht darüber. Das kicker-Sportmagazin berichtete in dieser Woche von einer bevorstehenden Einigung zwischen Osterhage und dem Sportclub, was die Gerüchte erneut befeuert hat. Ein Wechsel des Spielers nach der Saison ist sehr wahrscheinlich.

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Krise

Taktik, Psyche, Kaderqualität: Gründe für die VfL-Krise

Leidgeprüft sind die Fans des VfL Bochum seit 1848. Abstiegskämpfe gehören quasi zur Klub-DNA. Dass auch die aktuelle Spielzeit nichts für schwache Nerven werden würde, war im Vorfeld fast zu erwarten, wohl aber nicht in dieser Ausprägung. Nach 30 von 34 Spieltagen lässt sich die Saison gut in drei Abschnitte unterteilen. Nach großen Startschwierigkeiten und zehn Ligaspielen ohne Sieg folgte eine Stabilisierungs- und Erfolgsphase, die mit dem Hinspiel in Darmstadt begann und mit dem furiosen Heimsieg gegen die Bayern endete. Anschließend ging es wieder (steil) bergab.

Doch was sind die Gründe dafür? Warum steht der VfL Bochum aktuell auf dem Relegationsplatz und ist seit acht Partien sieglos? Klar ist: Die Probleme sind vielfältig. Die Talfahrt allein auf taktische Fehler, auf die Psyche oder auf fehlende Kaderqualität zu schieben, würde zu kurz greifen. Dass all diese Punkte im Zusammenspiel trotzdem eine entscheidende Rolle spielen, liegt auf der Hand. Eine Ursachenforschung.

Psyche: Acht Gegentreffer hat der VfL in dieser Saison allein in den Nachspielminuten kassiert und so gleich mehrere Siege aus der Hand gegeben. Schon ab der 75. Minute ist ligaweit keine Mannschaft anfälliger. Ganze 21 Punkte haben die Bochumer bereits nach einer eigenen Führung verspielt. Besonders bitter: Das 2:2 zu Hause gegen Darmstadt und das späte 1:2 in Köln. Das macht sich nicht nur auf dem Punktekonto bemerkbar, sondern auch in den Köpfen der Spieler. Die Verunsicherung ist groß. Gerade in der Saisonendphase spielt die Psyche bekanntermaßen eine wichtige Rolle. In Mainz ist angesichts der Aufholjagd im Tabellenkeller eine neue Euphorie entstanden, in Bochum herrscht dagegen Tristesse – obwohl beide Mannschaften aktuell 27 Punkte auf dem Konto haben. Möglicherweise hätte schon ein einziger Sieg in den zurückliegenden Wochen geholfen und die Laune beim VfL wäre eine ganz andere. Wahrscheinlich wäre Thomas Letsch dann auch noch Bochums Trainer.

Schiedsrichter: Mehrfach gab es Schiedsrichter-Entscheidungen in den Spielen des VfL, über die im Nachgang intensiv diskutiert wurde – wobei zwischen strittig und falsch zu unterscheiden ist. Eindeutig falsch waren nur wenige. Allerdings haben die Unparteiischen im Zweifel oft gegen den VfL entschieden. Das hat schon in der Hinrunde begonnen, erreichte Ende Februar und im März aber seinen Höhepunkt. In Mönchengladbach und in Mainz gab es jeweils einen sehr zweifelhaften Elfmeter gegen Bochum, gegen Leipzig und Freiburg wurde dem VfL jeweils ein klarer Strafstoß verweigert. Zudem hatten Mönchengladbach und Freiburg Glück, das Spiel trotz heftiger Fouls in voller Mannstärke zu beenden. Einziger Vorteil für Bochum: Der regelwidrig entstandene und trotzdem anerkannte Führungstreffer gegen Leipzig. In Summe überwog aber der Ärger. Spielentscheidend waren die Schiedsrichter-Leistungen sicher nicht, gehörig Einfluss genommen haben sie allerdings schon.

Kaderqualität: Der Mannschaft generell ihre Bundesligatauglichkeit abzusprechen, würde zu weit führen, sonst hätte sie weder die Bayern noch Stuttgart geschlagen und stünde nicht in Reichweite zu namhafter und finanzstarker Konkurrenz. Das Gebilde aber ist fragil. Vor allem in der Breite mangelt es an Qualität. Fällt etwa einer der Flügelstürmer aus oder sind Takuma Asano und Christopher Antwi Adjei außer Form – was aktuell der Fall ist – gibt es im Kader keine adäquate Alternative. Im Sommer und im Winter wurden entweder die falschen oder zu wenige Spieler verpflichtet. Von den Neuzugängen hat nur einer vollauf überzeugt: Defensivallrounder Bernardo. Mit Abstrichen haben auch Matus Bero oder Maximilian Wittek ihre Qualitäten einbringen können. Insgesamt fällt die Bilanz aber eher enttäuschend aus. Die Folge der unzureichenden Kaderplanung: Weder die Anzahl der Gegentreffer noch die Häufigkeit eigener Torerfolge hat sich im Vergleich zur vergangenen Saison entscheidend verbessert.

Taktik: Heiko Butscher setzt auf das Personal, das auch Thomas Letsch oft ins Rennen geschickt hat. Die gesamte Herangehensweise hat sich nicht großartig verändert. Die aktuelle Negativserie begann allerdings auch deshalb, weil Letsch zu häufig daneben lag. Bestes Beispiel: Gegen Gladbach, Leipzig, Freiburg, Mainz und Darmstadt durften sich in fünf Spielen fünf unterschiedliche Rechtsverteidiger ausprobieren. Auch in der Dreier-Angriffsreihe haben weder Letsch noch Butscher bislang die Optimallösung im Rahmen der Bochumer Möglichkeiten gefunden. Letsch wurden zudem seine unglücklichen, oft zu defensiven Auswechslungen zum Verhängnis. Im nun anstehenden Heimspiel gegen Hoffenheim muss Butscher zeigen, dass er auch eigene Ideen entwickeln kann. Patrick Osterhage und Christopher Antwi-Adjei fallen aus, Takuma Asano womöglich auch. Weitere Wechsel sind zu erwarten. Ivan Ordets könnte für den zuletzt schwachen Erhan Masovic beginnen, Tim Oermann für Felix Passlack.

Verträge: Dass beim VfL im Sommer ein größerer Kaderumbau ansteht, ist längst bekannt. Möglicherweise ist genau das aber schon jetzt ein Problem. Viele Spieler wissen bereits, dass sie in der kommenden Saison ein anderes Trikot tragen werden. Offensichtliche Einstellungsprobleme gibt es zwar keine, unterbewusst kann das aber dennoch eine Rolle spielen, etwa bei der Vermeidung von Verletzungen. Patrick Osterhage hat bereits einen neuen Vertrag in Freiburg unterschrieben, ist sogar während der laufenden Saison in den Breisgau gefahren, um sich dort im Stadion ablichten zu lassen. Auch Kevin Stöger sieht seine sportliche Zukunft bei einem finanzkräftigeren Bundesligisten. Ungeklärt ist die Vertragssituation außerdem bei Takuma Asano und Christopher Antwi-Adjei, die offensichtlich noch auf bessere Angebote hoffen. Spieler wie Goncalo Paciencia oder Philipp Förster wissen bereits, dass sie keinen Anschlussvertrag erhalten, und üben im Training kaum noch Druck auf die Stammspieler aus.

Unruhe: Rund um den VfL ist aktuell ein Gefühl der Ungewissheit und Unruhe greifbar. Auch innerhalb der Mannschaft gibt es Unstimmigkeiten. Die WAZ berichtete am Dienstag teils detailliert von mehreren internen Aussprachen. Immer wieder kommen in diesen Wochen schützenswerte Informationen an die Öffentlichkeit, was in der Regel ein Zeichen für Unzufriedenheit oder für interne Machtkämpfe ist. Wie Tief im Westen – Das VfL-Magazin erfuhr, löste die Beförderung von Heiko Butscher zum Profitrainer innerhalb der Mannschaft keine Begeisterung aus. Für den erhofften „Impuls“ hat er nicht sorgen können. Hinzu kommt, dass auch das Umfeld sensibel auf Entwicklungen reagiert. Ein Beispiel: Als die Sport Bild an diesem Mittwoch vermeldete, dass Kevin Stöger nach wie vor gerne zu Union Berlin wechseln möchte, wurden auf diversen Plattformen Forderungen laut, ihn im direktem Duell am 5. Mai nicht einzusetzen. Schließlich kämpfen die Köpenicker auch noch um den Klassenerhalt.


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Debatte

VfL-Kolumne: Diese Bochumer sind zu schnell zufrieden

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Die sportliche Talfahrt.

Meine Zuversicht war groß. Nach dem Heimsieg gegen die Bayern war ich mir fast sicher: Der VfL Bochum wird auch in der kommenden Saison in der Bundesliga spielen. Wenig deutete in dieser Phase auf einen massiven Leistungseinbruch hin. Offensichtlich dachten das auch die Spieler und wähnten sich in falscher Sicherheit. Die kritischen und aufmerksamen Fans hatten also Recht: Es gibt erschreckende Parallelen zum Abstiegsjahr 2010. Auch da war der Klassenerhalt schon früh zum Greifen nach. Doch ab Mitte Februar gewann der VfL kein einziges Spiel mehr und stieg am Ende ab.  

In diesem Jahr haben die Bochumer allerdings noch alle Möglichkeiten, den erneuten Sturz in die Zweitklassigkeit zu verhindern. Ihre Qualität nachgewiesen hat diese Mannschaft bereits. Anderenfalls hätte sie ja gar nicht einen komfortablen Vorsprung auf die Abstiegsplätze verspielen können. Zur Wahrheit gehört aber auch: Nur wenn alle Mitglieder der sogenannten A-Elf fit, in Form und nicht mit ihrer persönlichen Zukunft beschäftigt sind, reicht das Leistungsniveau für die Bundesliga. In der Breite fehlt es – teils aus finanziellen Gründen, teils als Folge einer unzureichenden Kaderplanung – merklich an Qualität, ganz besonders in der Offensive.

Auch deshalb schwindet im Umfeld merklich das Vertrauen in die Verantwortlichen, die zudem Schwierigkeiten damit haben, mit der bedrohlichen Lage souverän umzugehen. Niemand müsse sich Sorgen machen, sagte Sportdirektor Marc Lettau nach dem Remis gegen Darmstadt, als längst alle Alarmglocken schrillten und selbst die positiv denkenden Menschen skeptisch wurden. Sogar nach dem – nüchtern betrachtet – wenig hilfreichen Unentschieden gegen Heidenheim war das Glas angeblich noch halbvoll, weil der VfL ja noch knapp über dem Strich stand. Diese (gespielte) Lockerheit färbt offensichtlich auch auf die Spieler ab, die nach der Partie in Wolfsburg teilweise betonten, doch eigentlich ein gutes Spiel gemacht zu haben. Womöglich ist die Bochumer Selbstzufriedenheit, die bis in den Februar zurückreicht, zumindest ein Teil des Problems.


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(Foto: Marc Niemeyer)

0:1-Niederlage in Wolfsburg

Bochumer Hoffnung schwindet: Immer Pech ist Unvermögen

Der Frust beim VfL Bochum wird allmählich sichtbar. Es lief schon die Nachspielzeit beim Auswärtsspiel in Wolfsburg, als Kevin Stöger einen Gegenspieler im Kampf um dem Ball erkennbar genervt und mit Wucht an der Wade traf. Schiedsrichter Tobias Reichel ahndete dieses Vergehen mit der Gelben Karte und blieb auch nach einem Video-Check bei seiner Entscheidung. Glück für die Bochumer, dass die Ausfallliste für das kommende Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim nicht noch länger wurde. Denn zuvor kassierten Patrick Osterhage und Christopher Antwi-Adjei bereits die fünfte Gelbe Karte. Es wird somit nicht leichter für den VfL im Abstiegskampf, und die Frage ist angebracht, was nach acht sieglosen Spielen und der 0:1-Niederlage in Wolfsburg überhaupt noch Hoffnung macht.

Relegation rückt näher

Ja, die Bochumer kamen dem Führungstreffer in der ersten Halbzeit zeitweise näher als die verunsicherten Gastgeber. An der Einstellung mangelt es jedenfalls nicht. Doch weil Osterhage beim vermeintlichen 1:0 klar im Abseits stand, jubelte wenige Minuten später nur der falsche VfL. Ein eigentlich harmloser Abschlag des Wolfsburger Keepers wurde plötzlich zur Gefahr, weil mehrere Bochumer nicht in der Lage waren, den Ball zu klären – Slapstick vor und im eigenen Strafraum. „So ein Gegentor bekommst du nur, wenn du unten drinstehst“, meinte Stöger, wobei die Kausalkette eher eine andere ist. Weil der VfL Gegentore dieser Art in fast jedem Spiel kassiert, steht er im Tabellenkeller, könnte am Sonntag sogar auf Platz 16 abrutschen. Schon Hermann Gerland wusste: Immer Pech ist Unvermögen.

Die Lage ist mehr als angespannt, freuen kann sich der VfL an diesem Wochenende einzig über das Ergebnis von Darmstadt 98. Die Hessen gewannen am Samstagnachmittag parallel in Köln. Das bedeutet, dass der direkte Abstieg trotz der Bochumer Durststrecke nach jetzigem Stand eher unwahrscheinlich ist. Weil Mainz aber in den vergangenen Wochen recht konstant gepunktet hat, droht dem Team von Trainer Heiko Butscher die Relegation. In der aktuellen Form aber wären auch Zweitligisten wie Fortuna Düsseldorf oder der FC St. Pauli eine ernstzunehmende Gefahr. Die Hoffnung schwindet mittlerweile selbst bei vielen treuen Fans, die ihre Mannschaft in Scharen nach Wolfsburg begleitet haben und angesichts der nächsten Enttäuschung noch erstaunlich ruhig geblieben sind. 

Butscher macht wenig anders

Von den Spielern und Verantwortlichen, die sich nach der Partie öffentlich äußerten, gab es die üblichen Floskeln, einige Akteure wie der bereits erwähnte Kevin Stöger sahen sogar ein „gutes Spiel.“ Einen innovativen oder zumindest erwähnenswerten Ansatz, wie die Wende doch noch gelingen kann, hatte indes keiner. Auch Heiko Butscher nicht. Der Interimstrainer hat bislang nicht für den „Impuls“ sorgen können, auf den Geschäftsführer Patrick Fabian und Sportdirektor Marc Lettau nach dem Trainerwechsel gehofft haben. Butscher setzt fast ausnahmslos auf das Personal, das auch Vorgänger Thomas Letsch ins Rennen geschickt hat. Viele Möglichkeiten gibt der Kader freilich nicht her, die Frage ist nur: Was hat die Maßnahme dann gebracht? Was macht Butscher anders als Letsch? 

Die vielen individuellen Fehler in der Defensive hat Butscher ebenso wenig abstellen können wie die erschreckende Harmlosigkeit im Angriff. In Wolfsburg gab es exakt drei gefährliche, herausgespielte Torchancen. Eine Schlussoffensive? Fehlanzeige. Speziell in der Fremde sind die Darbietungen nicht bundesligatauglich. Das schlägt sich auch in der Auswärtstabelle nieder. Dort rangiert der VfL auf Platz 18. Zahlenmaterial wie dieses ist auch nötig, um den Ernst der Lage zu untermauern. Denn niemand – weder der Trainer noch die Führungsriege noch die Spieler – spricht offen aus, was längst offensichtlich ist: Wenn sich die Leistungen und Ergebnisse nicht bessern, dann spielt der VfL in der neuen Saison nicht mehr in Wolfsburg, sondern ein paar Kilometer davon entfernt: in Hannover oder Braunschweig. 


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(Foto: Imago / Beautiful Sports)

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VfL-Kolumne: Großer Umbruch im Sommer ist absehbar

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Abgänge im Sommer.

Am Montag hat der VfL Bochum den Wechsel von Patrick Osterhage zum SC Freiburg bestätigt. Anzeichen für diesen Transfer gab es schon länger. Auch deshalb hat der Klub nun reagiert. Der Abgang des talentierten Mittelfeldspielers mag viele Fans verärgern, war angesichts der vertraglich vereinbarten Ausstiegsklausel jedoch zu erwarten.

Schon jetzt sollten sich die Anhänger des VfL darauf einstellen, dass es in den kommenden Wochen und Monaten weitere Meldungen dieser Art geben wird. Für den Sommer zeichnen sich große personelle Veränderungen ab, selbst im Falle des Klassenerhalts. Eine gewagte Prognose ist es nicht: Die Zahl der Spieler, die den VfL Bochum in diesem Sommer verlassen, wird am Ende zweistellig sein. Reservisten wie Danilo Soares, Philipp Förster oder Goncalo Paciencia werden kein neues Arbeitspapier erhalten, Michael Esser und Andreas Luthe denken über ihr Karriereende nach.

Auch zahlreiche Leistungsträger liebäugeln mit einem Vereinswechsel. Kevin Stöger war schon im Winter auf dem Sprung, nun wird er den VfL verlassen. Bei Takuma Asano ist ein Abgang recht wahrscheinlich, bei Christopher Antwi-Adjei zumindest nicht ausgeschlossen. Gerne würde der VfL auch Keven Schlotterbeck halten, doch der Leihvertrag mit dem SC Freiburg endet. Sollten andere Bundesligisten um die Dienste des Innenverteidigers mitbieten, ziehen die Bochumer vermutlich den Kürzeren. Denn in den allermeisten Fällen schauen die Spieler nur aufs Geld. Beziehungen zwischen Klubs und Fußballern sind in der Regel erst dann stabil, wenn das Karriereende naht oder der Spieler nicht gut genug ist, um bei finanzstärkeren Klubs unterzukommen.

Deshalb ist es auch eine Illusion zu glauben, dass Bernardo, Erhan Masovic und Tim Oermann noch länger das blau-weiße Trikot tragen. Spätestens 2025 werden sie wechseln, einer oder zwei von ihnen vermutlich schon in diesem Jahr. Dafür wären sie aber nicht allein verantwortlich. Denn Transfererlöse sind ein wesentlicher Teil des Geschäftsmodells, auch beim VfL Bochum. Fußballfans müssen das nicht gut finden, sollten es aber verinnerlichen. Das schützt vor Enttäuschungen.


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