Taktik und Personal

Bochumer Spielweise zu riskant? Letsch will nicht stur sein

Der Start in die vergangene Saison war historisch schlecht. Der VfL Bochum verlor die ersten sechs Spiele und kassierte 18 Gegentreffer. Folglich konnte sich das Team von Trainer Thomas Letsch in diesem Jahr eigentlich nur verbessern. Immerhin: Drei Unentschieden und somit drei Punkte stehen auf der Habenseite. Ein Spiel gewonnen hat der VfL aber noch nicht, nicht einmal im Pokal. Und die Gegentor-Bilanz ist sogar noch schlechter als im vergangenen Sommer. Bochum bleibt die Schießbude der Bundesliga, 19 Einschläge ins eigene Tor musste Keeper Manuel Riemann bereits verkraften. „Wir sind auf dem Weg zu einem neuen Rekord“, weiß auch Letsch. Dabei wollte er vor allem dieses Problem, die Anfälligkeit der Hintermannschaft, in den Griff bekommen. Letsch stellte in der Abwehr auf eine Dreierkette um, damit ein Innenverteidiger mehr auf dem Platz steht. Zudem verordnete er seiner Mannschaft ein sehr frühes und recht mannorientiertes Pressing, um den Gegner vom eigenen Tor fernzuhalten. Das ist mutig – vielleicht zu mutig?

Vier Total-Ausfälle in dieser Saison

Das ist die Frage, mit der sich der Trainer in dieser Woche befassen muss. Vier von sieben Pflichtspielen in dieser Saison müssen als Total-Ausfall verbucht werden, wobei die Herangehensweise beim 0:5 in Stuttgart noch eine etwas andere war als beim 0:7 in München. Angesichts dieser Ergebnisse verwunderte es, dass Letsch nach der 1:3-Niederlage gegen Mönchengladbach sagte: „So etwas habe ich noch nicht erlebt, wie wir in der ersten Halbzeit vorgeführt wurden.“ Ähnliche Vorstellungen lagen doch noch gar nicht lange zurück. Wie auch immer: Nach der Pleite in München hat Letsch seine Taktik noch verteidigt – und offensichtlich nicht genau genug hinterfragt. Denn gegen Gladbach wiederholten sich die Fehler. Die Borussia befreite sich ohne Probleme aus der angedachten Umklammerung, weil der VfL zu spät in viele Zweikämpfe kam. Die Räume, die sich in der Folge öffneten, waren riesengroß. Die hochstehenden Bochumer Verteidiger hechelten den gegnerischen Angreifern in vielen Situationen nur noch hinterher.

„Wir müssen uns fragen: Passt es gerade oder grundsätzlich nicht“, gab Letsch nach dem Spiel am Samstag zu Protokoll. Funktioniert hat der riskante Ansatz ja bereits. Gegen Dortmund, Augsburg und Frankfurt überzeugte der VfL über weite Strecken. Aber schon da fielen drei von vier Gegentreffern nach einfachen Umschaltaktionen. Die Bayern nutzten die Lücken in der Bochumer Defensive schließlich gnadenlos aus; die Gladbacher ebenso, wobei sie noch viele Großchancen liegen ließen. Womöglich ist das Spiel der Bochumer auch in dieser Saison zu berechenbar. Dabei hatte Trainer Letsch im Sommer betont, im Vergleich zum vergangenen Jahr flexibler agieren zu wollen. Aber was bedeutet das? Zum Beispiel, die Taktik bei Bedarf anzupassen, notfalls auch während der Partie. Doch gegen Gladbach reagierte Letsch erst in der Halbzeit, stellte auf eine Viererkette um und tauschte drei Spieler aus. Ist der Fußballlehrer also auch ein wenig stur? Wird er an seiner Spielidee inklusive Dreierkette so lange wie möglich festhalten?

Mit Bero fehlt ein Schlüsselspieler

„Ich werde der Mannschaft kein System überstülpen, sondern das Gespräch mit den Führungsspielern suchen“, erklärt Letsch. Kapitän Anthony Losilla dachte am Samstag bereits laut über mögliche Veränderungen nach: „So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Wenn wir die wichtigen Zweikämpfe nicht gewinnen, dann kommen die Gegner viel zu einfach zu Torchancen.“ Der Publikumsliebling warnte allerdings vor blindem Aktionismus: „Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir zu passiv werden, wenn wir zu tief stehen. Und wir haben bewiesen, dass wir stark sein können, wenn wir vorne konsequent angreifen.“ So oder so: Letsch wird Lösungen finden müssen, zumal mit Matus Bero der vielleicht wichtigste Akteur für die Umsetzung seiner Spielidee mit einem Innenbandanriss im Knie länger fehlen wird. Christopher Antwi-Adjei wird ihn jedenfalls nicht ersetzen können. Ihn wechselte Letsch gegen Gladbach für Bero ein, damit machte der Coach seinen verbliebenen Mittelfeldspielern das Leben aber nur unnötig schwer.

In der Folge stand sogar genau das Team auf dem Platz, das schon in Stuttgart unterging. Ohne Bero klafften im Mittelfeld große Löcher, die Anthony Losilla und Kevin Stöger mangels Tempo nicht zulaufen konnten, weder gegen Stuttgart noch gegen Gladbach. Und es gibt weitere Problempositionen: Rechts hinten zum Beispiel enttäuscht Felix Passlack seit Wochen, bislang gehörte er trotzdem immer zur Startelf. Und ganz vorne im Angriff agiert der seit Monaten torlose Philipp Hofmann weiter extrem unglücklich. Aber: Letsch betont praktisch jede Woche, dass er personell viele Möglichkeiten hat und die Konkurrenzsituation so gut sei wie lange nicht mehr – Alternativen gibt es also. Denn nicht nur die Defensive ist aktuell ein Problem beim VfL. Fünf Tore in sechs Ligaspielen sind kein Ruhmesblatt. Doch es ist zu befürchten, dass sich die Bilanz nach dem schweren Auswärtsspiel in Leipzig noch nicht wesentlich verbessern wird – selbst wenn Thomas Letsch nun die richtigen Schlüsse zieht.


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(Foto: Marc Niemeyer)