Einspruch erfolgreich

Bochumer Sieg am Grünen Tisch: So lief die Verhandlung

Spätestens beim Verlassen der neuen DFB-Zentrale war den Vertretern des VfL Bochum ihre Erleichterung anzusehen. Eine gute Viertelstunde zuvor hatte DFB-Richter Stephan Oberholz das Urteil im Einspruchsverfahren gegen die Spielwertung der Partie bei Union Berlin Mitte Dezember verkündet – und den Bochumern einen Sieg am Grünen Tisch zugesprochen. Das Spiel wird nun mit 2:0 statt 1:1 für den VfL gewertet, der sich über zwei weitere Punkte im Kampf um den Klassenerhalt freuen darf. „Wir sind glücklich, dass unsere Argumente vollumfänglich gehört wurden. Wir haben diesen Konflikt nicht gesucht und wissen, dass das Urteil noch nicht endgültig ist. Für den Moment sind wir aber erleichtert“, sagte VfL-Geschäftsführer Ilja Kaenzig nur wenige Minuten nach der Urteilsverkündung in Frankfurt.

Klare Urteilsbegründung

Mehr als drei Stunden nach Beginn der mündlichen Verhandlung sprach Oberholz das mit Spannung erwartete Urteil, gegen das Union Berlin jedoch in Berufung gehen wird. „Der eigentliche unsportliche Skandal hat nach dem Ereignis auf dem Rasen und heute vor Gericht stattgefunden“, meinte Unions Präsident Dirk Zingler am Abend. Ähnlich gelagerte Fälle, in denen ein Spieler von einem geworfenen Gegenstand betroffen wurde, liegen bereits Jahrzehnte zurück. Damals gab es jeweils ein Wiederholungsspiel. Doch die einsprucherhebenen Vereine plädierten nie für eine Spielwertung in ihrem Sinne – im Gegensatz zum VfL, dem der oberste DFB-Richter in seiner Argumentation folgte. Vor rund 40 Anwesenden, darunter Vertreter beider Klubs und Medienschaffende, legte er die Gründe für das Urteil dar.

„Im Ergebnis der Verhandlung müssen wir davon ausgehen, dass Patrick Drewes durch den Wurf eines Feuerzeuges an seinen Kopf verletzt und dadurch in seiner Einsatzfähigkeit eingeschränkt worden ist. Daraus hat sich eine Schwächung der Bochumer Mannschaft ergeben, die durch einen Berliner Zuschauer ausgelöst wurde und damit Union Berlin zuzurechnen ist“, erklärte Oberholz. „Wenn ein Spieler durch einen Feuerzeugwurf aus dem Publikum verletzt wird und das Spiel danach nicht mehr fortsetzen kann, stellt dies eine strafbare Handlung und einen schweren Verstoß gegen die Fußball-Rechtsordnung dar, der stets einen Spielabbruch rechtfertigen würde. Solche Verstöße müssen eine eindeutige spieltechnische Rechtsfolge nach sich ziehen. Dies kann nur eine Wertung zu Gunsten des geschädigten Vereins sein.“

Viele Fragen an Drewes

Damit stützte der DFB die Bochumer Rechtsauffassung. Ihr Einspruch beruhte im Wesentlichen auf der Begründung, dass die eigene Mannschaft geschwächt worden sei, weil Torwart Patrick Drewes nicht weiterspielen konnte und das Wechselkontingent bereits ausgeschöpft war. Union Berlin hat Zweifel daran, dass überhaupt eine spielrelevante Verletzung vorlag. Unstrittig war aus der Sicht aller Beteiligten nur, dass Drewes von einem Feuerzeug am Kopf getroffen wurde. Die Details sollte der Betroffene am Donnerstag selbst schildern. Der Torhüter erschien persönlich in der DFB-Zentrale und musste sich den mehr als 20 Detailfragen von DFB-Richter Stephan Oberholz stellen. Drewes bestätigte eingangs, dass es ihm wieder gut gehe, wirkte während der Befragung und Beweisaufnahme aber nervös. 

Drewes stellte den längst bekannten Vorfall zunächst aus seiner Sicht dar, wobei er Erinnerungslücken offenbarte. Richter Oberholz wollte dennoch wissen, wie der Schlussmann den Treffer des Feuerzeugs wahrgenommen und welchen Schmerz er verspürt, wem er was gesagt und wie er sich in dieser Zeit gefühlt habe. Drewes, der sich erstmals öffentlich zu den Vorkommnissen äußern musste, berichtete von einsetzenden Schwindelgefühlen. Nach der ärztlichen Behandlung auf dem Platz sei er in die Mannschaftskabine und anschließend mit einem Krankenwagen in eine Unfallklinik gefahren worden. Dass er dazwischen trotz seines Schwindels nach eigener Aussage noch unter die Dusche gestiegen sei, irritierte die Delegation aus Berlin, die erneut Zweifel an der Schwere der Verletzung äußerte.

Kritik an Schiri Petersen

Hierzu gab es von Drewes und Teamarzt Mark Sandfort, der ebenfalls als Zeuge geladen und erschienen war, teils unterschiedliche Auskünfte. Sandfort meinte, Drewes habe in der Notfallaufnahme einer Berliner Unfallklinik keine Symptome mehr gezeigt, einzig einen Druckschmerz verspürt; Drewes dagegen sprach von anhaltendem Schwindel, der sich erst während der nächtlichen Fahrt zurück nach Bochum gelegt habe. Doch das war Stunden nach dem Feuerzeug-Wurf. Unmittelbar nach dem Vorfall im Stadion habe Sandfort eine Gangunsicherheit und „Bewusstseinsverzögerung“ diagnostiziert. Gemäß der DFL-Kriterien obliegt es bei Kopfverletzungen dem Arzt, darüber zu entschieden, ob der Spieler noch einsatzfähig fähig ist oder nicht. Sandfort sah mehrere Kriterien für eine Auswechslung erfüllt.

Weil der VfL sein Wechselkontingent schon ausgeschöpft hatte, musste er zu neunt weiterspielen, stellte Angreifer Philipp Hofmann ins Tor und einigte sich mit den Gastgebern auf einen Nicht-Angriffspakt. Verwunderlich: Schiedsrichter Martin Petersen berichtete, Drewes nicht persönlich nach dessen Zustand gefragt zu haben. Auch Petersen wurde als Zeuge gehört. Der beteiligte DFB-Kontrollausschuss wollte von ihm wissen, warum er das Spiel nicht abgebrochen habe – im Gegensatz zu einem ähnlichen Vorfall vor einigen Jahren, als er selbst von einem Gegenstand getroffen wurde. Petersen argumentierte, dass die Sicherheit der Beteiligten in Berlin gegeben war und deshalb kein Anlass bestanden habe, die Partie abzubrechen. Diese Entscheidung zweifelte das Gericht im Urteil ausdrücklich an.

Keine Berliner Entschuldigung

Bei der Zeugenbefragung kam neben Drewes, Sandfort und Petersen auch der aus Bochum zugeschaltete Felix Passlack als Zeuge zu Wort. Von ihm wollte Richter Oberholz unter anderem wissen, was er Drewes zugerufen habe, als er kurz nach dem Feuerzeug-Wurf auf ihn zugerannt war, dabei aber die Hand vor den Mund hielt. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich hinsitzen, beruhigen und auf medizinische Hilfe warten soll“, berichtete Passlack. Auf die Frage, warum er seinen Mund verdeckte, erklärte er: „Das mache ich immer so.“ Die anwesenden Vertreter aus Berlin hielten sich lange zurück, argumentierten abschließend aber natürlich gegen eine veränderte Spielwertung. Unions Geschäftsführer Oskar Krosche kritisierte die Bochumer für den Einspruch deutlich: „Das sagt viel über ihren Sportsgeist aus.“

Die Berliner, die sich bis heute nicht bei Drewes entschuldigt haben, sahen keine Schwächung der Bochumer Mannschaft infolge des Feuerzeug-Wurfs. Der VfL wiederum, der mit Geschäftsführer Kaenzig, Jonas Schlevogt aus der vereinseigenen Rechtsabteilung sowie Anwalt Joachim Rain angereist war, plädierte logischerweise für eine Spielwertung in ihrem Sinne. Nachdem die Unioner in ihren Schriftstücken sogar grammgenau angegeben hatten, wie viel das geworfene Feuerzeug wog, hatte Rain ein Vergleichsstück mitgebracht und setzte mit diesem in der Hand zu einem Schlussstatement an. Darin wiederholte er die bereits bekannten Bochumer Argumente noch einmal und betonte zusätzlich, dass der Zeitpunkt des Vorfalls in der Nachspielzeit für die Bewertung nicht zu berücksichtigen sei.

Noch nicht rechtskräftig

Dem schloss sich der DFB-Kontrollausschuss an, der mehrfach von einem „Quasi-Spielabbruch“ sprach. Dieser Bewertung folgten schließlich auch Richter Stephan Oberholz und seine Beisitzer, die den Nichtangriffspakt rügten und gemeinsam erklärten: „Wir wissen, dass eine Spielwertung am Grünen Tisch nur das letzte Mittel sein kann. Aber die Umstände haben uns keine andere Möglichkeit gelassen.“ Wie leicht oder schwer Drewes verletzt war, sei unerheblich. Teamarzt Sandfort habe sich an die Regularien gehalten, sogar ein unabhängiges Attest vorgelegt und die Berliner keine Gegenargumente vorgebracht. Deshalb scheinen die Chancen in einem Berufungsverfahren vor dem DFB-Bundesgericht auch eher schlecht zu stehen. Mit einem endgültigen Urteil ist wohl im Februar zu rechnen.


Ihr wollt das VfL-Magazin einmalig oder dauerhaft unterstützen? Nutzt dafür gerne die unkomplizierte Zahlungsoption via PayPal. Danke, dass ihr Berichterstattung dieser Art auch in Zukunft möglich macht.