2:0 gegen Elversberg

Aufschwung über die Außen: VfL im Transferdilemma

Es braucht nicht viel, um die Fans im Bochumer Ruhrstadion zu begeistern und von den Sitzen zu reißen. Als Gerrit Holtmann direkt nach der Halbzeitpause über die linke Außenbahn flitzte und Koji Miyoshi in der Mitte mustergültig bediente, dieser aber knapp vergab, wurde es an der Castroper Straße am Sonntagnachmittag gegen die SV Elversberg zum ersten Mal so richtig laut. Nach einer äußerst zähen ersten Halbzeit, in der der VfL trotz Überzahl keine Torgefahr entwickelte, zeigten die Hausherren mit verändertem Personal eine klare Leistungssteigerung und verdienten sich den ersten Saisonsieg. Ibrahima Sissoko brachte den Revierklub in Führung, Holtmann sorgte später für die Entscheidung. Die Erleichterung nach dem Schlusspfiff war spürbar. Die Auftaktpleite ist zwar nicht vergessen, aber verdrängt.

Leidige Systemdebatte

Der VfL präsentierte sich defensiv klar verbessert und überzeugte auch bei Standardsituationen. Der Führungstreffer resultierte aus einem Eckball. Dass der VfL seit der sechsten Minute in Überzahl spielte, nachdem der Ex-Bochumer Jan Gyamerah eine überzogene Ampelkarte sah, half nicht sofort, im weiteren Spielverlauf aber sehr wohl. In der ersten Halbzeit fiel auf, dass sich der VfL in der von Hecking aktuell bevorzugten 3-5-2-Formation im eigenen Offensivspiel ziemlich schwer tat. Es fehlten Überraschungsmomente. Erst mit der Hereinnahme von Holtmann und Miyoshi, also mit mehr Tempo, einem zusätzlichen Offensivspieler und einer Stärkung der Flügel, entfachten die Bochumer Druck auf das Elversberger Tor. „Sie haben das Spiel über die Außen sehr belebt“, lobte Torwart Timo Horn seine Teamkollegen.

Auch Hecking würdigte das Duo in seiner Analyse. Ihr überzeugender Auftritt wirft wieder einmal die Grundsatzfrage auf, ob sich die Spieler beim VfL in einem 4-3-3-System vielleicht doch etwas wohler fühlen. „Unser System ist nicht in Stein gemeißelt. Wir müssen flexibel sein“, betonte Horn. Vordermann Kevin Vogt sah das ähnlich und lobte den Auftritt generell, fernab der leidigen Grundordnungsdebatte: „Das war die Reaktion, die wir zeigen mussten. Wir sind sehr erwachsen aufgetreten.“ Hecking wiederum kann die Systemfrage längst nicht mehr hören. Er kritisierte in den vergangenen Tagen mehrfach öffentlich die Analysen von Fans und Medien – auch die von Tief im Westen – Das VfL-Magazin – und machte deutlich, dass er sich bei Aufstellungsfragen ungern von außen hineinreden lässt.

Kein Geld für Zugänge

In den sozialen Netzwerken, wo sich auch viele Stadiongänger tummeln, hat Hecking mit seinen Äußerungen eher nicht gepunktet. Trotz seiner Erfahrung sei er überraschend unsouverän, belehrend und werte andere Meinungen schnell ab, heißt es in vielen Kommentaren von Fans, verbunden mit der Feststellung, dass sich Hecking damit selber unter Druck gesetzt hat. Mit dem Sieg gegen Elversberg dürfte dieser vorerst abnehmen, wenngleich nun zwei prestigeträchtige Partien auf den VfL warten: erst im DFB-Pokal beim BFC Dynamo, dann in der Liga bei Schalke 04. Weitere Enttäuschungen sollte sich die Hecking-Elf gerade nicht erlauben. Immerhin: Der VfL ist besser gestartet als Fortuna Düsseldorf, Hertha BSC und Holstein Kiel; allesamt potenzielle und noch sieglose Mitbewerber um den Aufstieg.

Ob der VfL Bochum wirklich oben mitspielen wird, entscheidet sich auch noch auf dem Transfermarkt. Nach wie vor ist offen, ob Ibrahima Sissoko und Matus Bero über den 1. September hinaus in Bochum bleiben; aktuell liegen allerdings keine nennenswerten Offerten für sie vor. Gleiches gilt für Moritz Broschinski, den Hecking genauso gern halten würde wie Miyoshi. Der Japaner gilt klubintern nach wie vor als Abgangskandidat, weil er für einen Einwechselspieler eigentlich zu teuer ist. Interesse an einer Verpflichtung zeigen die Blackburn Rovers aus England, allerdings noch ohne passendes Angebot. Das Dilemma: Ohne einen Abgang wird der VfL nach jetzigem Stand keine Neuverpflichtung mehr tätigen können. Auch eine zusätzliche Pokalprämie bei einem Weiterkommen in Berlin würde daran nichts ändern.

Historische Kartenflut

Dass Hecking einen breiten Kader durchaus nutzen würde, hat er gegen Elversberg bewiesen. Neuzugang Mathis Clairicia und Eigengewächs Kacper Koscierski feierten ihr Startelfdebüt, blieben aus taktischen Gründen aber schon zur Pause in der Kabine. Felix Passlack und Colin Kleine-Bekel schafften es indes gar nicht erst in den Spieltagskader. „Das kann nächste Woche schon wieder ganz anders aussehen“, erklärte Hecking, wohlwissend, dass irgendwann neue Verletzungen oder Sperren dazukommen werden. Gegen Elversberg blieb der VfL von Letzterem noch verschont, trotz insgesamt zwölf gelber Karten in einer keineswegs überharten Partie. Neun davon kassierte der VfL, eine ging an Hecking. Mit dieser Kartenzahl hat Schiedsrichter Lukas Benen den bisherigen Zweitligarekord eingestellt.


Ihr wollt das VfL-Magazin einmalig oder dauerhaft unterstützen? Nutzt dafür gerne die unkomplizierte Zahlungsoption via PayPal. Danke, dass ihr Berichterstattung dieser Art auch in Zukunft möglich macht.



(Foto: Imago / DeFodi Images)