In der Corona-Krise ist Ilja Kaenzig mehr denn je in den Fokus gerückt. Der Geschäftsführer des VfL Bochum, auch zuständig für die Finanzen, muss eine wirtschaftlich schwierige Situation meistern. In vielen Bereichen verzeichnet der VfL teils erhebliche Einbußen. Wie Kaenzig und seine Kollegen damit umgehen, was auf dem Transfermarkt trotzdem noch möglich ist und warum er vorerst nicht mit einer Fan-Rückkehr in die Stadien rechnet, verrät er im folgenden Interview.
Herr Kaenzig, schon Anfang April sagten Sie, Bundesligaspiele mit Zuschauern würde es im Jahr 2020 nicht mehr geben. Waren Sie da Pessimist oder Realist?
Diese Aussage war eine nüchterne Feststellung. Wir können die pandemische Lage nicht beeinflussen. Es liegt ja nicht an fehlenden Konzepten, dass wir nicht wieder vor unseren Fans spielen können. Sondern daran, dass uns das Infektionsgeschehen daran hindert, sie umzusetzen.
Was bedeutet das für die Planungen beim VfL Bochum?
Schon seit März rechnen wir so, dass wir bis zum Ende des Jahres ohne Zuschauer spielen. Zwischenzeitlich ist Hoffnung aufgekommen, dass sich die Lage vielleicht schneller entspannen könnte. Aber Stand jetzt müssen wir davon ausgehen, dass auch die neue Saison zunächst ohne Fans in den Stadien beginnt.
Aber kann der VfL weiter auf Zuschauereinnahmen verzichten – schlimmstenfalls eine ganze Saison lang?
Wir haben die Hoffnung, dass sich die Situation im Laufe der Saison verbessert. Der Aufwand, vor einer reduzierten Kulisse zu spielen, wäre ohnehin enorm. Aber es geht hier um einen emotionalen Effekt, nicht um den wirtschaftlichen Gewinn.
Das erste Geschäftsjahr, das teilweise unter dem Einfluss der Pandemie stand, ist seit dem 30. Juni 2020 beendet. Wie groß wird denn der Schrecken für die Mitglieder sein, wenn Sie im Herbst die Zahlen präsentieren?
Konkrete Zahlen werden wir erst am 20. Oktober in der virtuellen Mitgliederversammlung nennen. Aber klar ist, dass der Schaden durch die Corona-Krise in die Millionen geht. Das gilt jedoch für alle Profiklubs. Der Corona-Effekt wird in der jetzt laufenden, neuen Saison noch deutlicher zu Buche schlagen. Im Geschäftsjahr, das zum 30. Juni 2020 abgeschlossen wurde, waren ja nur vier Corona-Monate enthalten. Vorher gab es acht Monate im Normalbetrieb. Das wird jetzt anders sein.
Welche Gelder sind dem VfL denn konkret weggebrochen? Zum Beispiel bei den Sponsoren.
Wir haben mit all unseren Partnern gesprochen. Erfreulich ist: Wir haben immer Lösungen gefunden, entweder in Form einer Kompensation oder sogar mit Verzicht auf eine Rückforderung. Und dies, obwohl ja nicht nur die Fußballbranche von der Corona-Krise betroffen ist. Das hat uns sehr geholfen.
Und wie schaut es für die neue Saison aus?
Wir freuen uns, dass uns quasi alle Partner die Treue halten. Exemplarisch nenne ich an dieser Stelle die Stadtwerke, die ihren Vertrag bis 2023 verlängert haben. Ein starkes Zeichen, wofür wir enorm dankbar sind. Auch unser Ärmelsponsor, die Viactiv-Krankenkasse, ist an Bord geblieben. Trotzdem: Im Bereich der Vermarktung wird uns auch eine Millionensumme fehlen. Das ist deshalb keine Überraschung, weil wir einige Leistungen aktuell gar nicht erbringen können.
Die TV-Gelder sind in der Corona-Krise zu einer Art Lebensversicherung geworden.
Deswegen waren die Spiele ohne Zuschauer notwendig. Es ging ja auch darum, den TV-Partnern zu helfen, die zukünftig wieder für die Rechte bieten sollen. Aber es ist nicht so, dass wir jetzt das Fernsehgeld bekommen, mit dem wir vor der Krise gerechnet haben. Auch da tut es wirtschaftlich richtig weh.
Was heißt das genau?
Es gab auch für die DFL Verluste, die jetzt an die Vereine in Form einer reduzierten Ausschüttung weitergegeben werden. Das bedeutet für die Saison 2020/21, dass eine Ausschüttung aus nationalen Rechten von 1,4 Milliarden Euro geplant war, aber nur 1,2 Milliarden Euro fließen werden. Das wirkt sich natürlich auch auf unsere Zahlen aus. Und in der kommenden Saison wird es nicht besser.
Weil dann der neue TV-Vertrag gilt – mit einer niedrigeren Gesamtsumme.
Das Ende der Ausschreibung und die Vergabe der TV-Rechte fielen genau in die Corona-Zeit. Im Vorfeld wurde ja eher eine Steigerung der Einnahmen erwartet – doch das Gegenteil ist das Fall. In der Saison 2021/22 wird etwa eine Milliarde Euro an die Klubs ausgeschüttet. Das ist ein weiterer Rückgang. Wir werden so gesehen um einige Jahre zurückgeworfen. Auch das wird sich in unseren Planungen niederschlagen müssen. Aber auch da gilt: Dieses Problem haben wir nicht exklusiv. Und: Trotzdem ist es immer noch ein richtig gutes Ergebnis der DFL. Andere Ligen werden ihre TV-Verträge erst noch verlängern und dann deutlich höhere Abschläge in Kauf nehmen müssen. Die Konsequenzen daraus werden auch auf dem Transfermarkt zu beobachten sein.
Warum verzichtet der VfL bislang auf einen Dauerkartenverkauf?
Weil wir das aus unserer Sicht nicht für richtig halten. Auch wenn andere Klubs dies praktizieren und teilweise auch recht dreist verkaufen. Wir wollten dies schlichtweg nicht. Unsere Fans sind keine Bank, von denen wir uns Geld leihen wollen. Auch wenn es sicher Anhänger geben würde, die sich aus Verbundenheit eine Dauerkarte kaufen würden. Kurz gesagt: Wir wollen ihre Liebe zum Verein nicht ausnutzen.
Viele Fans haben in der vergangenen Saison auf eine Rückerstattung ihrer Dauerkarte verzichtet, obwohl sie vier Spiele verpasst haben. Hat dem VfL das wenigstens geholfen?
Die Zahl geht in Richtung eines siebenstelligen Betrags, wenn man auch Wohnzimmertickets oder Sondertrikots berücksichtigt. Das ist eine Form der Wertschätzung, für die wir eine sehr große Dankbarkeit empfinden und dies auch immer wieder zum Ausdruck gebracht haben. Das zeigt: Die Bochumer Fußball-Gemeinde und Gemeinschaft hält zusammen. Das ist wirklich beeindruckend und ich bin mir sicher, dass uns dies auch in Zukunft helfen wird. Deshalb wollen wir das nicht überstrapazieren. Sonst holt uns das irgendwann ein.
Die Verluste sind trotzdem in allen Bereichen erheblich. Wie wollen Sie das kompensieren?
Wir werden den wirtschaftlichen Schaden nicht sofort, sondern nur über die Jahre korrigieren können. Denn so massiv und so schnell lassen sich die Aufwendungen gar nicht zurückfahren. Wir müssen beim Sparen die Balance finden. Denn wir wollen trotzdem konkurrenzfähig bleiben, auf und neben dem Platz. Bauen wir Strukturen ab, bremsen wir unsere Entwicklung, auch unser Wachstum. Dann fehlen uns mittel- und langfristig wieder Einnahmen.
Wird der VfL schon in diesem Sommer Spieler verkaufen müssen, um die Verluste auszugleichen?
Die Corona-Schäden sind da, aber wir sind nicht gezwungen, durch Transfers die Liquidität oder gar das Überleben zu sichern. Wir haben also keinen direkten Zwang, was nicht heißt, dass wir etwas ausschließen können. Denn zum einen sind Transfers tatsächlich eine Möglichkeit, um Verluste aufzufangen – und das erwarten unsere Kreditgeber schließlich auch von uns. Und zum anderen sollte jedem klar sein, dass es Spieler gibt, die wir nicht ewig halten können und deren Wertsteigerung wir auch nutzen müssen. So wie es der VfL in seiner Historie immer praktiziert hat.
Und wie schaut es mit weiteren Verstärkungen aus?
Wir werden eine schlagkräftige Mannschaft zusammenstellen, ohne dafür ins Risiko zu gehen. Nennen wir es kontrollierte Offensive. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir auch etwas dafür tun. Wir strecken uns, spinnen aber nicht rum oder werden unvernünftig. Darauf können sich unsere Fans verlassen.
(Foto: Imago / Team 2)