Mit einem Krückstock und einer Lesebrille machte sich Anthony Losilla auf den Weg in den Bochumer Stadtpark. Die Medienabteilung des VfL wollte die Vertragsverlängerung des Publikumslieblings auf eine besondere Art zelebrieren. Anfang des Jahres schnappte sie sich den Mittelfeldspieler, stattete ihn mit vermeintlich seniorentypischen Accessoires aus und drehte mit ihm ein Video, an dessen Ende verkündet wurde, dass Losilla ein weiteres Jahr beim VfL bleibt. Denn die Bundesliga hat einen neuen Alterspräsidenten.
Nachdem Frankfurts Makoto Hasebe seine Karriere beendet hat, stellt nun der VfL den ältesten Spieler der Bundesliga. Anthony Losilla, der im März seinen 38. Geburtstag feierte, toppt die Kollegen aller Klubs – pünktlich zum zehnjährigen Dienstjubiläum in Bochum. „Ich hätte damals nie gedacht, dass ich so lange hier bleiben würde“, erzählt Losilla. Im Fußball könne man schließlich selten eine ganze Dekade planen und überblicken. „Aber wir, meine Familie und ich, haben uns sehr schnell wohl gefühlt und wollten auch nicht ständig umziehen. Beim VfL hat alles gepasst und daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Klub passt zu mir und den Werten, die mir wichtig sind.“
Dabei wäre Losilla beinahe gar nicht in Bochum gelandet. „Der Wechsel hierher war damals tatsächlich nicht meine erste Option. Ich hatte meinen Vertrag in Dresden bereits verlängert, aber dann sind wir abgestiegen. Einige Vereine haben sich schneller gemeldet.“ Der 1. FC Kaiserslautern zeigte Interesse an einer Verpflichtung des damals 28-Jährigen, Greuther Fürth ebenfalls. „Aber dann kam Peter Neururer und hat mich mit seinen Plänen überzeugt, eine neue Mannschaft aufzubauen. Deshalb bin ich nach Bochum gekommen.“
Im Sommer 2014 unterschrieb Losilla seinen ersten Vertrag in Bochum, Anfang 2024 seinen bislang letzten. Vielleicht sogar den letzten? Diese Frage kommt praktisch jedes Jahr auf, und jeden Winter wurde sie aufs Neue mit einem klaren ‚Nein‘ beantwortet. Doch mittlerweile denkt Losilla offen über ein Ende seiner aktiven Fußballerkarriere nach. „Es macht mir immer noch Spaß, auf dem Platz zu stehen und ich freue mich sehr, mit dem VfL weiter in der Bundesliga zu spielen. Aber ich möchte den richtigen Moment nicht verpassen, um aufzuhören. Aktuell glaube ich, dass diese Saison meine letzte sein wird“, gewährt Losilla einen Einblick in seine Pläne. „Aber im Fußball weiß man das natürlich nie genau. Es ist vieles neu bei uns und noch sehr früh für eine Entscheidung. Ich möchte die Saison in jedem Fall genießen. Zu wissen, dass es vielleicht meine letzte ist, pusht mich gerade besonders.“
Mit einer Stammplatzgarantie geht Losilla zwar nicht mehr ins Rennen, doch wenn nichts Unerwartetes dazwischenkommt, dann kann er sich in den kommenden Monaten weitere Spitzenplätze in den vereinseigenen Statistiken sichern. Derzeit fehlen nur noch vier weitere Partien, um in der Rangliste der am häufigsten eingesetzten Spieler an Jupp Tenhagen (345) vorbeizuziehen und Platz fünf einzunehmen – direkt hinter Michael ‚Ata‘ Lameck (595), Lothar Woelk (438), Walter Oswald (401) und Dariusz Wosz (383). Zudem winkt Rang zwei in der Statistik der ältesten VfL-Spieler. Klubikone Dariusz Wosz spielte noch mit 37 in der Bundesliga, Ata Lameck sogar mit 38, Losilla aber wird am Saisonende 39 Jahre und zwei Monate alt sein. Den Rekord hält Wolfgang Kleff mit 39 Jahren und fünf Monaten, doch der war Torhüter und kein Feldspieler.
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Besonders bemerkenswert ist, dass Losilla in der zurückliegenden Dekade fast nie verletzt war und auch im fortgeschrittenen Alter noch auffällig gute Fitnesswerte hat. Maximal drei Spiele hat er am Stück verpasst, 342 von 365 möglichen Partien hat er absolviert, 338 davon in der Startelf. Wenn der Franzose gefehlt hat, dann meist, weil er gesperrt war. Aus sportlichen Gründen musste er fast nie pausieren, mit wenigen Ausnahmen. Im Relegationshinspiel gegen Düsseldorf durfte Losilla zunächst nur zuschauen – ein Gefühl, dass er zuvor das letzte Mal im Jahr 2017 unter Jens Rasiejewski erlebte. „Das war aus persönlicher Sicht die schwierigste Phase in den zehn Jahren beim VfL. Da habe ich sogar kurz überlegt, zu einem anderen Verein zu wechseln, nicht nur, weil ich mehrere Spiele außen vor war. Aber das war zum Glück nur eine kurze Phase.“
Kein anderer Trainer verzichtete bislang freiwillig auf die Dienste von Losilla, alle schätzten ihn sehr, sportlich wie menschlich. Das weiß auch Patrick Fabian, der mit Losilla seit dessen Verpflichtung im Sommer 2014 noch mehrere Jahre zusammengespielt und ihn anschließend aus der Management-Ebene verfolgt hat. „Toto im Team zu haben bedeutet: Sportliche Qualität, Fleiß, Erfahrung, ein Höchstmaß an Identifikation mit dem Verein, hundertprozentige Fokussierung auf den Job. Anthony Losilla ist ein Vorbild, nicht nur für junge Spieler“, betont Fabian.
Auch Sebastian Schindzielorz, der die sportlichen Geschicke des VfL von 2018 bis 2022 geleitet hat, findet nur lobende Worte: „Anthony Losilla ist ein Musterprofi, ein Spieler, der sich immer in den Dienst der Mannschaft und des Vereins stellt. Er ist ein Idol für unsere Fans und ein Vorbild in jeder Hinsicht, der im Training wie im Spiel vorangeht und zudem Ansprechpartner für die sportliche Leitung und Mitspieler ist.“ Weggefährten, die ein schlechtes Wort über Losilla verlieren würden, sucht man vergebens, alle lobende sie seine bodenständige, fröhliche und integrative Art. Es ist keine gewagte These, Losilla als Legende der Neuzeit und einen der Letzten seiner Art zu bezeichnen. Viele Spieler, die mindestens zehn Jahre das Trikot des VfL Bochum tragen werden, wird es nach ihm in der heutigen Fußballwelt wahrscheinlich nicht mehr geben, womöglich sogar niemanden mehr.
Doch wie soll es für den dreifachen Familienvater nach einem möglichen Karriereende weitergehen? Für den Mittelfeldspieler ist jedenfalls klar, dass er dem Fußball verbunden bleiben möchte. „Ich bin vorbereitet. Seit Jahren schaue ich, was ich nach meiner Karriere machen kann“, erzählt Losilla, der bereits erste Trainerscheine gemacht sowie Fortbildungen zum Sportmanager absolviert hat. Zudem hospitierte er in der vergangenen Saison regelmäßig beim Training der Bochumer U19. „Ich habe beim VfL einen Anschlussvertrag und würde mich sehr freuen, hier zu bleiben. Was ich dann genau mache, müssen wir noch sehen. Das würde ich aber gerne so früh wie möglich klären.“ Die bisherigen Vereinbarungen hat Losilla mit Patrick Fabian getroffen, der nun aber nicht mehr im Amt ist. „Am liebsten würde ich als Trainer oder Co-Trainer weitermachen. Vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt, eher im Jugendbereich. Heute bin ich für alles offen, auch für einen Seitenwechsel bei den Profis. Vielleicht muss ich aber auch beides mal probieren, um zu sehen, was mir besser gefällt.“
Der Text ist zuerst im VfL-Heft des Bochumer 3Satz-Verlags erschienen. Auf mehr als 130 Seiten bietet das Magazin viele Interviews, ausführliche Portraits und interessante Hintergrundgeschichten. Gedruckte Exemplare der aktuellen Ausgabe zum Saisonstart sind kostenlos an vielen Stellen im Bochumer Stadtgebiet oder direkt beim 3Satz-Verlag (Alte Hattinger Str. 29) zu bekommen. Nachfolgend gibt es auch eine Download-Option.