Torhüter im Fokus

Wenn Riemann nochmal sündigt: Luthe winkt VfL-Comeback

Schon seit längerer Zeit gibt Manuel Riemann nach den Spielen des VfL Bochum keine Interviews mehr. Der Keeper möchte sich damit selber schützen – und seine Mitspieler vermutlich auch. Selbst abseits der Partien meidet der 35-Jährige fast alle Aufnahmegeräte. Umso überraschender, dass er in dieser Woche nach knapp anderthalb Jahren eine Ausnahme gemacht hat. Riemann war am Montag im Podcast kicker meets DAZN zu hören. Darin sprach er über die Elfmeterszenen im Derby gegen Dortmund, den Unterschied zwischen Heim- und Auswärtsspielen sowie über den Stimmungsboykott wegen des bevorstehenden Investoreneinstiegs bei der DFL.

Mit einigen Aussagen könnte Riemann durchaus wieder anecken, allerdings höchstens in der Fanszene. Interna plauderte er keine aus, auch seine Mitspieler verschonte er von Kritik. In dieser Hinsicht präsentierte sich Riemann bei der Aufnahme ähnlich souverän wie auf dem Platz. Dass er nach Fehlern seiner Vorderleute durch den Strafraum hüpft, wild gestikuliert und seine Teamkollegen anschreit, passiert nach wie vor. Dennoch scheint sich der Schlussmann in erster Linie auf sein eigenes Spiel zu konzentrieren. Nach mehreren Fehlgriffen in der vergangenen Saison hat sich Riemann wieder stabilisiert. Mit starken Rettungstaten und schnellen Umschaltaktionen hat Riemann seine Position als Nummer eins jedenfalls gestärkt – einen echten Herausforderer gibt es in dieser Saison aber ohnehin nicht.

Luthe vertritt Esser

Anders als vor gut acht Jahren wird auch Andreas Luthe keiner sein. Seinerzeit duellierten sich die beiden bereits um den Platz im Bochumer Tor; erst setzte sich Luthe durch, später wurde er durch Riemann ersetzt. Luthe verließ den VfL daraufhin – und ist nach Zwischenstationen in Augsburg, Berlin und Kaiserslautern nun an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. „Die Chance, meinem Heimatklub nochmal helfen zu können, konnte ich nicht ausschlagen. Ich bin überglücklich, wieder zu Hause zu sein“, sagte Luthe nach seiner Vertragsunterschrift am Montag. Mehr Fußball-Romantik geht fast nicht. Sein Arbeitspapier ist bis zum Saisonende datiert, eine Verlängerung unwahrscheinlich. Luthe plant im Sommer sein Karriereende.

Bis dahin soll der 36-Jährige den verletzten Michael Esser vertreten, der noch länger fehlen wird. Nur mit Niclas Thiede als Ersatztorhüter wollten die Bochumer nicht in die kommenden vier Monate gehen. „Wir mussten auf die Verletzung von Michael Esser reagieren und haben daher nach einem erfahrenen Torwart gesucht, der neben Manuel Riemann und Niclas Thiede die Anforderungen an unser Trainings- und Spielniveau verlässlich erfüllt“, sagt Sportdirektor Marc Lettau, der Luthe bereits aus der gemeinsamen Zeit bei Union Berlin kennt. Auch Patrick Fabian hat Luthes Handynummer seit Jahren gespeichert. „Wir kennen uns schon lange, sind gemeinsam beim VfL in der Jugend ausgebildet worden und haben es quasi im Gleichschritt bis zu den Profis geschafft“, erzählt der Sport-Geschäftsführer.

Riemann vor Gelbsperre

Offen ist noch, ob Luthe als Nummer zwei oder drei in die kommenden Spiele gehen wird – wobei seine Erfahrung von 90 Bundesliga-Partien, davon die ersten drei für den VfL, eindeutig für einen Platz auf der Bank spricht. Zumal ein Ersatz für Riemann schon bald gebraucht werden könnte. Manuel Riemann steht aktuell bei vier Gelben Karten, bei der nächsten wäre er für ein Spiel gesperrt. Generell werden die Bochumer in dieser Saison sehr oft verwarnt. Mit 60 Gelben Karten steht der VfL in dieser Statistik aktuell auf Platz eins; Stuttgart als Letzter hat nur 27 kassiert. Neben Riemann sind derzeit auch Matus Bero, Anthony Losilla, Christopher Antwi-Adjei und Erhan Masovic von einer Sperre bedroht.


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(Foto: Marc Niemeyer)

Debatte

VfL-Kolumne: Klassenerhalt gelingt auch ohne Verstärkung

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Die letzten Tage der Transferperiode.

Es gibt einen Satz, den Sebastian Schindzielorz häufiger verwendet hat. „Die reale Transferwelt ist komplexer als das kicker-Managerspiel“, sagte der ehemalige Geschäftsführer des VfL Bochum gerne, wenn er mit Wünschen der Fans konfrontiert wurde. Was ihn am meisten irritierte: Dass viele Außenstehende oft ausblenden, dass bei Vertragsverhandlungen gleich mehrere Parteien mit am Tisch sitzen: Der Spieler, sein Berater, der abgebende Verein. Sie alle haben konkrete Vorstellungen, die nicht immer zu den Wünschen und Möglichkeiten des VfL Bochum passen. Oftmals gibt es auch Nebenbuhler.

Klar ist: Die allermeisten Anhänger gieren nach Neuzugängen. Nie ist ihr Team gut genug. Dass auch der aktuelle Kader des VfL Bochum Schwachstellen hat, ist unbestritten. Es fehlt ein dynamischer Angreifer für die Außenposition, ebenso ein torgefährlicher Mittelstürmer. Der VfL hat offen kommuniziert, zumindest noch einen Ersatz für Takuma Asano verpflichten zu wollen, weil dieser wohl länger beim Asien-Cup weilt – und seine Zukunft beim VfL über den Sommer hinaus ohnehin sehr ungewiss ist. Diese Ankündigung weckt naturgemäß Erwartungen, und setzt die Verantwortlichen unter Zugzwang. Denn sie ist mit der Erkenntnis verbunden, dass der Kader nicht optimal aufgestellt ist.

Bemüht hat sich der VfL in den vergangenen Wochen um verschiedene Kandidaten. Doch irgendwas oder irgendwer kam immer dazwischen. In einem Fall zum Beispiel war sich der VfL bereits mit einem Spieler einig, doch der erhielt keine Freigabe von seinem Klub. Ob tatsächlich noch jemand verpflichtet wird bis zum Transferschluss am Donnerstagabend, bleibt abzuwarten. Die Verantwortlichen suchen ja auch nicht irgendwen, sondern eine echte Verstärkung – und die ist nur in einem höheren Regalfach zu finden. Das aber ist im Winter entweder mit nur wenigen Kandidaten bestückt, oder selbst auf Zehenspitzen nicht zu erreichen, sprich: Die Spieler sind zu teuer. Die Frage ist ohnehin: Hängt der Klassenerhalt wirklich davon ab, ob der VfL noch einen neuen Angreifer holt oder nicht? Vermutlich nicht. Auch ohne Mister X steht der VfL derzeit acht Punkte vor dem Relegationsplatz.


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(Foto: Marc Niemeyer)

1:3 in Dortmund

Schießen? Querlegen? Zu spät! Bochums Defizite vor dem Tor

Szenen, die ein Fußballspiel maßgeblich prägen, gibt es in 90 Minuten meist einige. Über eine wurde nach dem Derby zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Bochum aber besonders oft diskutiert. Die Großchance von Matus Bero nach gut einer Stunde hatte spielentscheidenden Charakter. Nach einer Balleroberung am gegnerischen Strafraum lief Bero auf das Dortmunder Tor zu, dachte aber zu lange nach: Soll ich schießen? Oder querlegen? Zu spät! Dortmunds Ian Maatsen grätschte fair dazwischen. Hätte Bero nicht so lange gezögert, wäre der VfL womöglich in Führung gegangen. „Dann kann das Spiel eine andere Wendung nehmen“, dachte sich Bochums Maximilian Wittek, womit er sicher nicht allein war. Denn in diesem Derby war aus Bochumer Sicht mehr möglich. „Da hätten wir das Momentum auf unsere Seite ziehen können. Wenn du diese Phase aber nicht nutzt, fährst du mit einer guten Leistung, aber ohne Punkte nach Hause“, ergänzte Trainer Thomas Letsch.

Riemann zu ungestüm

Der VfL versteckte sich beim BVB keineswegs, lieferte eine mutige, couragierte Leistung ab und ließ die Gastgeber kaum zur Entfaltung kommen. Das Mittel der Wahl: Ein hohes Anlaufen mit starker Mannorientierung – ein kräftezehrender, aber erfolgsversprechender Ansatz, wenn alle mitziehen. Was beim VfL an diesem Sonntagabend der Fall war. Thomas Letsch hatte sich unter anderem für die beiden Jung-Profis Tim Oermann und Moritz Broschinski entschieden, zudem feierte Ivan Ordets nach einer längeren Pause sein Startelf-Comeback. Unglücklich und unabsichtlich leitete Ordets allerdings die frühe Dortmunder Führung ein, als es nur noch Manuel Riemann gelang, regelwidrig dazwischenzugehen und den ersten von zwei Elfmetern an diesem Abend zu verursachen. Zwar beschwerte sich Riemann in gewohnter Manier, doch sein ungestümes Einsteigen musste geahndet werden. Grenzwertig war lediglich das Hand- und Foulspiel von Niclas Füllkrug kurz vor dem Strafstoß zum 3:1-Endstand.

Zu wenig Torgefahr

Für große Unzufriedenheit hat das Ergebnis beim VfL aber keineswegs gesorgt. Ja, die Bochumer haderten mit dem Spielausgang und der sechsten Auswärtsniederlage, nicht aber mit ihrer Leistung, allerhöchstens mit den schon bekannten Defiziten im letzten Drittel. „Wir hatten nach dem 1:1 Chancen in Führung zu gehen“, stellte Kevin Stöger im Nachgang fest und analysierte, warum der VfL – abgesehen vom Eigentor durch Nico Schlotterbeck – nicht zum Torerfolg kam. „Wir müssen mit dem Ball ruhiger sein. Beim letzten Pass, bei der letzten Entscheidung, da fehlt uns noch ein bisschen“, bemängelte Stöger als Spielgestalter die Mischung aus Zögerlichkeit und überhasteten Ballaktionen. Was nicht unbedingt überraschte, weil beim VfL lange Zeit niemand mit nachgewiesenen Torjäger-Qualitäten auf dem Platz stand. Aus der vorderen Reihe haben Christopher Antwi-Adjei und Matus Bero in dieser Saison erst einmal getroffen, Moritz Broschinski noch gar nicht. Ob sich das so schnell ändern wird?

Transfers bis Donnerstag

Bis einschließlich Donnerstag sind Wintertransfers möglich. Nach wie vor ist offen, ob der VfL seinen Kader noch verstärken wird. Verschiedene Ideen ließen sich, wie bereits berichtet, bislang nicht realisieren. Entweder weil die Kandidaten zu teuer waren oder keine Freigabe vom abgebenden Verein erhielten, wie etwa Giorgios Masouras von Olympiakos Piräus. Offensichtlich hoffen die Verantwortlichen nun auf die Dynamik der letzten Transfertage, die dafür sorgen kann, dass sich plötzlich neue Möglichkeiten ergeben. Die Bochumer werden aber nur noch eine zusätzliche Offensivkraft verpflichten, „wenn sich eine Option ergibt, mit der wir uns qualitativ oder perspektivisch verstärken“, sagte Sportdirektor Marc Lettau nach dem Spiel in Dortmund. In Aktionismus wolle er nicht verfallen, eine kurzfristige Leihe bis zum Saisonende schloss Lettau praktisch aus. Womöglich wird Torhüter Andreas Luthe also der einzige Neuzugang in diesem Winter sein.


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Wintertransfers

VfL mit Luthe einig – Neue Spur bei Stürmersuche

Genau eine Woche bleibt noch Zeit, den Kader zu verstärken. Nach wie vor sucht der VfL Bochum auf zwei Positionen nach neuem Personal. Kommen soll nicht nur ein dynamischer und flexibel einsetzbarer Angreifer, sondern auch ein neuer Ersatztorhüter. Wobei die Bochumer den im Grunde schon gefunden haben.

Wunschkandidat ist Andreas Luthe vom 1. FC Kaiserslautern. Der 36-Jährige steht damit vor der Rückkehr zu seinem Jugend- und Ausbildungsverein. Bereits zwischen 2001 und 2016 trug der Keeper das VfL-Trikot, debütierte dabei auch in der Bundesliga. Insgesamt absolvierte Luthe 169 Pflichtspiele für die Profis des VfL, den er 2016 nach dem Verlust seines Stammplatzes in Richtung Augsburg verließ. Luthe duellierte sich seinerzeit mit Manuel Riemann, wird nun aber als Ersatzmann und nicht als Herausforderer der aktuell unumstrittenen Nummer eins verpflichtet. Dies wurde Luthe in den Gesprächen auch klar kommuniziert.

Für Luthe folgten nach seiner langen Zeit in Bochum Stationen bei Union Berlin und nun in Kaiserslautern, wo er zu Saisonbeginn seinen Stammplatz verlor. Mit 90 Erst- und 187 Zweitligaeinsätzen erfüllt Luthe das Bochumer Anforderungsprofil, für die Rückrunde einen routinierten Schlussmann zu verpflichten. Luthe soll den noch länger verletzten Michael Esser vertreten. Zudem ist er die naheliegendste Lösung: Sportdirektor Marc Lettau und Luthe kennen sich noch aus Berlin, mit Geschäftsführer Patrick Fabian hat der Keeper sogar noch selbst zusammengespielt. Luthes Kontakt zum VfL ist nach seinem Abgang ohnehin nie abgerissen, unter anderem durch sein vielfältiges gesellschaftliches und soziales Engagement. Der Wechsel wird über die Bühne gehen, wenn Kaiserslautern einen Nachfolger gefunden hat. Luthe und der VfL sind sich bereits einig.

Neuer Angreifer soll kommen

Priorität genießt in diesem Winter aber eigentlich die Verpflichtung eines Offensivspielers. Doch die Gespräche und Verhandlungen führten bislang noch nicht zum Erfolg. Florent Muslija vom SC Paderborn, der vor allem mit Blick auf den Sommer zum Kandidatenkreis gehörte, wechselt zum SC Freiburg. Finanziell konnte der VfL mit den Breisgauern nicht mithalten, zudem sprachen private Gründe für einen Wechsel nach Freiburg. Auch Marco Grüll von Rapid Wien, um den mehrere Bundesligisten werben, ist sehr wahrscheinlich zu teuer. Und Benedict Hollerbach, über den im Dezember öffentlich spekuliert worden war, wird ebenfalls nicht an die Castroper Straße wechseln. Der Angreifer ist nach dem Trainerwechsel fest bei Union Berlin eingeplant.

Eine neue Spur führt nun offensichtlich ins Ausland. Laut kicker-Sportmagazin und griechischen Medien zeigt der VfL Interesse an einer Verpflichtung von Georgios Masouras. Der Nationalspieler Griechenlands geht aktuell für Olympiakos Piräus auf Torejagd. Dort ist der 30-Jährige seit Jahren Stammkraft und sogar Vize-Kapitän, sein Vertrag läuft allerdings in diesem Sommer aus. Mit seiner Athletik, seiner Technik, einer guten Übersicht sowie einer engagierten Spielweise würde Masouras genau ins Bochumer Anforderungsprofil passen. Im Angriff ist Masouras flexibel einsetzbar, sowohl als zweite Spitze als auch auf den Außenpositionen. Bislang hat er jedoch nur in Griechenland gespielt, die Bundesliga wäre Neuland für ihn. Fraglich ist ohnehin, ob Masouras für den VfL bezahlbar wäre – und ob er dem grundsätzlichen Plan der Kaderverjüngung nicht im Weg stünde.

Wie auch immer: Platz im Bochumer Kader wäre noch, erst recht nach dem Abgang von Jordi Osei-Tutu. Der Außenbahnspezialist spielt bis zum Sommer auf Leihbasis für den griechischen Erstligisten PAS Giannina. Sein neuer Verein hat sich eine Kaufoption gesichert. Die gibt es bei Gerrit Holtmann, der bis zum Saisonende für Darmstadt 98 aufläuft, übrigens nicht.


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Debatte

VfL-Kolumne: Eine Posse, die sich nicht wiederholen darf

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Die lange Spielunterbrechung beim Heimspiel gegen Stuttgart.

Thomas Letsch denkt zu logisch und zu pragmatisch. Nach dem Spiel gegen Stuttgart hatte er eine simple Idee, wie die wohl längste Halbzeitpause der Bundesliga-Geschichte hätte verkürzt werden können. Eine Fahne der Stuttgarter Ultras versperrte ein Fluchttor, das Spiel wurde zunächst nicht fortgesetzt. „Mein Gott, hängt die Fahne doch ab, das bricht niemandem einen Zacken aus der Krone“, sagte Letsch in Richtung der Stuttgarter Fans.

Das war leider keine Option. Für viele Fangruppen ist die Fahne ihr Heiligtum. Etliche Gruppen haben sich sogar schon aufgelöst, wenn ihre Fahne gestohlen oder zerstört wurde. Deshalb war es auch keine Option, sie am Spieltag mit Gewalt zu entfernen. Dann wäre die Situation vermutlich eskaliert. Im Grunde haben alle Beteiligten sehr besonnen reagiert und schließlich doch eine Lösung gefunden. Nur: Eine Unterbrechung von mehr als 40 Minuten ist deutlich zu lang. Eine Posse, die sich nicht wiederholen darf.

Fehler haben fast alle gemacht: Die Stuttgarter, die im Vorfeld über die Regeln in Bochum informiert waren, sie aber einfach ignoriert haben. Die Behörden, die die Fahne während der ersten Halbzeit geduldet und erst in der Pause ihr Veto eingelegt haben – genau das hat die VfB-Fans so verwundert und sicher zur Sturheit beigetragen. Es wäre an dieser Stelle anmaßend zu urteilen, ob man nicht ohne weitere Maßnahmen auch die zweite Halbzeit hätte durchziehen können. Wenn nein, dann war die Fahne allerdings schon während der ersten Halbzeit ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Auch der Bochumer Ordnungsdienst war unaufmerksam, weil er das Anbringen der Fahne vor dem Spiel nicht bemerkt und verhindert hat.

Ganz generell muss noch die Frage erlaubt sein, wie es sein kann, dass eine kleine Gruppe rund 26.000 Zuschauer und zwei Mannschaften daran hindert, das Spiel fortzusetzen? Stehen da wirklich Wohl und Erfolg des eigenen Vereins im Mittelpunkt – oder die Interessen einer einzelnen Gruppe? Eigentlich eine rhetorische Frage. Hinzukommt: Dass die Sicherheitscrew Sorge vor einer Eskalation hatte, spricht Bände. Daran sind die Vereine aber nicht ganz unschuldig, die bestimmten Gruppen zu viel Macht eingeräumt haben.


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Personalie

Portugiesische Eleganz: Paciencia ist die Sturmhoffnung

Schöner hätte der erste Treffer von Goncalo Paciencia im Trikot des VfL Bochum kaum sein können. Mit einer eleganten Direktabnahme brachte er seine Mannschaft im Auswärtsspiel beim SC Freiburg in Führung. „Sogar mit links, obwohl ich mit dem rechten Fuß eigentlich noch stärker bin“, kommentierte Paciencia nach der Partie sein erstes persönliches Erfolgserlebnis. „Leider hat es uns wenig gebracht.“ Dass der VfL am Ende mit 1:2 im Breisgau verlor, lag aber ganz gewiss nicht am portugiesischen Mittelstürmer.

Ausgeliehen bis zum Sommer

Seit Anfang September verstärkt der 29-Jährige den Angriff des Revierklubs. Am letzten Tag der Transferperiode wechselte Paciencia auf Leihbasis vom spanischen Erstligisten Celta Vigo nach Bochum. Der Vertrag läuft zunächst bis zum Ende der Saison, eine Kaufoption gibt es nicht. „Wir wollten uns im Angriff unbedingt noch einmal verstärken. Mit Goncalo Paciencia haben wir die ideale Lösung gefunden“ sagte VfL-Sportdirektor Marc Lettau anlässlich der Verpflichtung. „Goncalo verfügt bereits über reichlich Erfahrung, sowohl in der Bundesliga als auch in den europäischen Wettbewerben.“

In Bochum kämpft Paciencia bekanntlich gegen den Abstieg. Doch der Mittelstürmer hat auch schon Titel gesammelt. In Portugal gewann er 2018 mit dem FC Porto die Meisterschaft. Für ihn ein besonders Erlebnis, schließlich wurde er in Porto als Sohn des 34-maligen Nationalspielers Domingos Paciencia geboren und spielte seit dem achten Lebensjahr für die Jugendmannschaften des Traditionsklubs. Doch mangels Spielzeit ließ sich Paciencia junior in der Folge mehrfach verleihen, unter anderem nach Griechenland zu Olympiakos Piräus.

Im Sommer 2018 erfolgte schließlich der erste Wechsel nach Deutschland. Eintracht Frankfurt sicherte sich die Dienste des Angreifers. Dort kam Paciencia über die Rolle des Edeljokers aber nur selten hinaus. 2020 unterschrieb er deshalb einen Leihvertrag bei Schalke 04. Doch bei den Königsblauen lief es gar nicht rund. Paciencia war mit Knieproblemen längere Zeit verletzt und stieg am Saisonende in die 2. Liga ab. Die Kaufoption war damit Makulatur, Paciencia kehrte zur Eintracht zurück – und erlebte dort seinen zweiten Höhepunkt der Karriere. Mit den Hessen gewann Paciencia in der Spielzeit 2021/22 die Europa League und erzielte im Laufe des Wettbewerbs zwei wichtige Treffer, bevor er sich zunächst wieder aus Deutschland verabschiedete. Im Sommer 2022 wechselte Paciencia nach Spanien zu Celta Vigo. Doch eine tragende Rolle nahm er dort nicht ein. Somit folgte der Wechsel nach Bochum.

Olympia-Teilnehmer in Rio

„Ich bin sehr glücklich, wieder in der Bundesliga aufzulaufen“, sagt Goncalo Paciencia zur knapp einjährigen Leihe nach Bochum und lobt dabei besonders die Atmosphäre in den Stadien: „Diese Stimmung, die man hier in Deutschland hat, gibt es in anderen Ligen nicht. Die ist richtig gut. Die deutschen Fans können stolz darauf sein. Ich habe diese Stimmung sehr vermisst.“ Der 29-Jährige kann es beurteilen. Der Angreifer hat nicht nur für Klubs aus vier verschiedenen Ländern gespielt, sondern auch im Nationaltrikot internationale Erfahrung gesammelt. 2016 stand Paciencia im portugiesischen Aufgebot bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Ein Jahr später debütierte er im A-Nationalteam, allerdings kam 2019 nur noch ein weiteres Spiel dazu.

Der Weg vom VfL zurück ins Nationalteam ist weit, doch fürs Erste würde es ja auch genügen, wenn Paciencia mit seinen Toren dazu beiträgt, dass der VfL Bochum sein viertes Bundesliga-Jahr in Folge erlebt. „Dass er ein Torjäger ist, haben wir nicht nur gegen Freiburg gesehen. Goncalo hat einen sehr guten Abschluss, das ist seine Qualität“, weiß auch Trainer Thomas Letsch, der seinen Schützling aber erst am Ende der Hinrunde häufiger eingesetzt hat. „Goncalo kam erst Anfang September zu uns. Er war zu Beginn nicht hundertprozentig fit, hatte keine Vorbereitung und musste sich dann heranarbeiten“, erklärt der Coach. Muskuläre Probleme hätten den kopfballstarken und beweglichen Mittelstürmer zwischenzeitlich wieder ausgebremst. „Jetzt ist er wieder da. Goncalo wird noch viele Spiele und Tore für uns machen. Davon bin ich überzeugt“, betont Letsch.

Einen Vorgeschmack darauf lieferte Paciencia im Dezember. Gegen Union Berlin erzielte er sein erstes Tor im Bochumer Ruhrstadion, und in Hoffenheim mit einem sehenswerten Volleyschuss den Anschlusstreffer, der sogar zum Tor des Monats gewählt wurde. Der Portugiese mag es eben gerne elegant.

Dieser Text ist zuerst im VfL-Heft des Bochumer 3Satz-Verlags erschienen, das ab sofort erhältlich ist. Auf mehr als 100 Seiten bietet das Magazin weitere Interviews, viele Porträts und interessante Hintergrundgeschichten. Gedruckte Exemplare sind kostenlos an vielen Stellen im Bochumer Stadtgebiet oder direkt beim 3Satz-Verlag (Alte Hattinger Str. 29) zu bekommen. Nachfolgend steht das Magazin auch als PDF-Download bereit.

1:0 gegen Stuttgart

Bero trifft, Luthe vor Rückkehr: Heimsieg statt Spielabbruch

Um 17.23 Uhr brachte Matus Bero das Bochumer Ruhrstadion zum Jubeln – eigentlich eine gewöhnliche Zeit für den Schlusspfiff in der Bundesliga. An diesem Samstag lief das Spiel des VfL gegen Stuttgart aber noch. Erst 50 Minuten waren absolviert, als Bero seinen Premierentreffer im blau-weißen Trikot erzielte. Der Grund dafür: Eine mehr als 40-minütige Spielverzögerung. Schiedsrichter Bastian Dankert hatte die zweite Halbzeit zunächst nicht angepfiffen, weil die Sicherheitsbehörden ihr Veto einlegten. Eine Zaunfahne der Stuttgarter Ultras hing unerlaubterweise an einem Fluchttor, was der Ordnungsdienst offensichtlich nicht verhindert hatte. Darauf hatte der VfB seine Anhänger zwar im Vorfeld nachweislich hingewiesen, doch der Hinweis wurde ignoriert. Die auch im Stadion nochmals vorgetragene Bitte, die Fahne abzuhängen, stieß bei den Fans aus Schwaben auf taube Ohren – weil sie ja schon in der ersten Halbzeit dort hing. Neu ist das Problem nicht, schon gegen Mönchengladbach im September gab es deswegen Ärger.

Nah am Spielabbruch

Die Sicherheitscrew wollte während der Partie jedoch keine Unterbrechung erzwingen und auch danach nicht eskalieren, indem sie die Fahne – die quasi das Heiligtum der Ultras ist – einfach abnimmt. Selbst die Stuttgarter Spieler und Verantwortlichen redeten in der wohl längsten Halbzeitpause der Bundesliga-Geschichte auf ihre Fans ein, doch auch das führte nicht zur Einsicht. Erst danach kam es zu einem Kompromiss. Die Ultras lösten die Fahne an einigen Stellen, das Tor ließ sich öffnen. Der VfL platzierte außerdem zusätzliche Ordner davor, die im Notfall hätten eingreifen können. Ein Spielabbruch, sagte VfL-Sportdirektor Marc Lettau später auf Nachfrage von Tief im Westen – Das VfL-Magazin, stand unmittelbar bevor. Doch nicht nur die Spieler bevorzugten eine sportliche Entscheidung. „Es war das längste Spiel meiner Karriere“, sagte Kapitän Anthony Losilla. „Wir waren lange in der Kabine, sind aber wieder rausgegangen, um zu zeigen, dass wir weitermachen wollen.“ Was dann auch erfolgreich gelang.

Mehrere Ausfälle

Der VfL ging nach einer Balleroberung von Christopher Antwi-Adjei und einem präzisen Abschluss von Bero in Führung – und verteidigte anschließend den Heimsieg. Ein spätes Gegentor wie zuletzt gegen Bremen konnten die Bochumer dank großer Leidenschaft verhindern. Dass die drei Punkte angesichts der Stuttgarter Überlegung bei den Torchancen etwas glücklich waren, interessierte beim VfL logischerweise niemanden. Zumal die Bochumer mit großen Personalproblemen in die Partie gegangen waren. Neben Takuma Asano (Asien-Cup) und Cristian Gamboa (Gelbsperre) fehlten kurzfristig auch die Leistungsträger Kevin Stöger (Magen-Darm-Probleme) und Keven Schlotterbeck (muskuläre Probleme). Stöger dürfte fürs Derby gegen Dortmund kommenden Sonntag rechtzeitig zurückkehren, Schlotterbeck eher nicht. Fehlen wird dann auch der seit Wochen starke Bernardo, der gegen Stuttgart seine fünfte Gelbe Karte sah. Dafür wird Ivan Ordets wohl wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sein, Gamboa kehrt zurück.

Neuer Ersatztorwart

Allerdings gaben gegen Stuttgart auch Tim Oermann und Noah Loosli ihre Bewerbung für einen Derbyeinsatz ab. Rechtsverteidiger Oermann zeigte nach anfänglichen Problemen gegen den starken Chris Führich eine sehr ansprechende Leistung, innen verteidigte auch Loosli solide. Die Probleme beim VfL liegen nach wie vor eher in der Offensive, die erneut nur selten gefährlich wurde, vor allem in einer komplett ereignislosen ersten Halbzeit. Hat aber gereicht, um sich zum Rückrundenbeginn einen Neun-Punkte-Vorsprung auf einen direkten Abstiegsrang zu erarbeiten. Das wird sicher auch Andreas Luthe freuen. Nach Informationen von Tief im Westen – Das VfL-Magazin steht der 36-Jährige vor einer Rückkehr an die Castroper Straße. Beim VfL soll das Bochumer Eigengewächs als Ersatztorwart den noch länger verletzten Michael Esser vertreten. Jordi Osei-Tutu soll hingegen nach Griechenland verliehen werden. Und: Der Leihvertrag von Gerrit Holtmann mit Darmstadt 98 ist schon unterschrieben.


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(Foto: Imago / Beautiful Sports)