Sensation knapp verpasst

VfL stark gegen Bayern: Maßstab für die Liga

Den Schlussapplaus gab es völlig zu Recht: Als die Mannschaft des VfL Bochum nach dem Pokalspiel am Dienstagabend gegen Bayern München vor die eigenen Fans trat, gab es viel Zuspruch von den Tribünen – Szenen, die es an der Castroper Straße schon länger nicht mehr gegeben hat. Vorbildlich und leidenschaftlich hat jeder einzelne Spieler in den 90 Minuten zuvor gekämpft. Der Wunsch von Trainer Thomas Reis ist jedenfalls in Erfüllung gegangen: Auch wenn der VfL das Spiel in der Endphase mit 1:2 verloren hat, sind die Zuschauer zufrieden nach Hause gegangen.

Viel besser als zuletzt

Lange Zeit durfte der VfL sogar an der Sensation schnuppern. Ein Eigentor von Alphonso Davies hatte die Hausherren nach 36 Minuten in Führung gebracht. Und dieses Glück haben die Bochumer tatsächlich erzwungen. Denn der Plan von VfL-Trainer Thomas Reis, im Vergleich zum Zweitliga-Alltag auf noch mehr Erfahrung und Zweikampfstärke zu setzen, ging auf. „Wir haben mehr Gas gegeben und die Zweikämpfe besser angenommen. Das war entscheidend“, sagte der Übungsleiter nach der Partie.

Eine wichtige und richtige Maßnahme: Routiniers wie Robert Tesche und Chung Yong Lee sorgten für mehr Kompaktheit, insgesamt zeigte die Mannschaft deutlich mehr Geschlossenheit, Konzentration und Engagement als zuletzt. Auch der erst 17-jährige Innenverteidiger Armel Bella Kotchap trug dazu bei, dass das Starensemble aus dem Süden große Mühe hatte, die Bochumer Defensive zu überwinden. Im Klartext: Bis auf zwei Abschlüsse wurden die Bayern in der ersten Halbzeit nicht wirklich gefährlich.

Ruhrstadion war ein Hexenkessel

Ganz anders der VfL, der leidenschaftlich dagegen hielt. Immer wieder setzte der Underdog Nadelstiche und überraschte damit selbst das eigene Publikum. Schon in der ersten Spielminute hatte Simon Zoller das 1:0 auf dem Fuß, sein Schussversuch verdient jedoch keine nähere Umschreibung. Tatsächlich musste Bayerns Chefcoach Niko Kovac nach dem Seitenwechsel sowohl Top-Torjäger Robert Lewandowski als auch Philippe Coutinho und Thomas Müller einwechseln, um den VfL ernsthaft in Gefahr zu bringen.

Doch auch im zweiten Durchgang verteidigten die Hausherren vorbildlich und so gut wie in dieser Saison noch nie. Die Mannschaft, die in wenigen Tagen wieder gegen den Abstieg in die dritte Liga kämpfen muss, schien wie ausgewechselt. Spätestens, als die letzte Viertelstunde anbrach, glaubten nicht nur die Spieler, sondern auch immer mehr Fans an die Sensation. Das Ruhrstadion entwickelte sich zum Hexenkessel, jede Balleroberung wurde frenetisch bejubelt. So einen Zusammenhalt hat Fußball-Bochum lange nicht erlebt.

Mitten ins Bochumer Herz

Doch die Bayern wären nicht die Bayern, wenn sie keine Reaktion mehr gezeigt hätten. In beeindruckender Form schlugen sie plötzlich zurück und ließen die Bochumer in nur wenigen Minuten aus ihrem Pokaltraum erwachen. Erst traf Serge Gnabry zum Ausgleich, dann sah Armel Bella Kotchap nach einer Notbremse die Rote Karte, und drei Minuten vor Abpfiff traf Thomas Müller mitten ins blau-weiße Fußballherz – und erzielte das spielentscheidende 1:2. Ein Ergebnis, das vor der Partie wohl fast jeder Bochumer unterschrieben hätte.

Deshalb mischte sich unter die Enttäuschung schnell ein positives Gefühl – nicht nur auf den Rängen, sondern auch in der Kabine. „Natürlich tut es weh, weil wir die Bayern am Rande einer Niederlage hatten“, sagte Simon Zoller stellvertretend für die Mannschaft. „Aber wenn man sieht, wie wir marschiert sind, dann wissen wir, was wir können und in der Liga wiederholen müssen.“ Denn das gute Pokalspiel wäre ganz schnell vergessen, wenn am kommenden Montag gegen Nürnberg die nächste Enttäuschung folgen würde. Trainer Thomas Reis sieht das genauso und fordert: „Das muss jetzt der Maßstab für die Liga sein.“

(Foto: Sportfoto Gerd Krause)

VfL im DFB-Pokal

Ansprache vor Bayern-Spiel: Meister der Krisensitzungen

So pessimistisch wie die eigenen Fans sind die Verantwortlichen des VfL Bochum naturgemäß nicht. Vor dem Pokalkracher gegen Bayern München am Dienstag im ausverkauften Ruhrstadion sind sie um Zweckoptimismus bemüht. Trainer Thomas Reis hofft darauf, dass die Zuschauer unabhängig vom Spielausgang „mit einem guten Gefühl nach Hause fahren können.“ Und Manager Sebastian Schindzielorz stellt fest: „Es ist nicht mehr normal und alltäglich, gegen die Bayern zu spielen. Wir sollten dieses Spiel also irgendwie genießen.“ So schwer es in der momentanen Lage auch fällt.

Reis fordert vollen Einsatz

Vor allem die treuen Fans, die nicht nur zum Highlight-Spiel an die Castroper Straße pilgern, sondern die allermeisten Partien vor Ort erleben, sind zunehmend frustriert. Nach einem katastrophalen Saisonstart mit nur einem Sieg aus elf Ligaspielen glauben sie erst recht nicht an eine Sensation. Der einhellige Tenor in den sozialen Netzwerken: „Das verlieren wir zweistellig.“ Dass der Titelverteidiger aus München nicht in absoluter Bestform ist und Bayern-Coach Niko Kovac eine kleine Personalrotation angekündigt hat, könnte den Gastgebern aber doch noch eine minimale Chance eröffnen.

„Wer daran nicht glaubt, wird auch nicht spielen“, sagt Thomas Reis im Vorfeld. Maximaler Einsatz auf Bochumer Seite wird zur Grundvoraussetzung. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, war in dieser Saison schon häufiger zu beobachten – speziell am vergangenen Freitag bei der 1:2-Niederlage in Kiel. Nach einer erschreckend schwachen Leistung kippte die Stimmung im Umfeld endgültig. „Es liegt an uns, das Vertrauen der Anhänger zurückzugewinnen“, weiß auch Sebastian Schindzielorz. Nicht nur deshalb sprach der Geschäftsführer am Sonntag in einer internen Sitzung zur Mannschaft und forderte Selbstverständlichkeiten ein.

Das ist insofern erstaunlich, weil es nur fünf Tage zuvor schon eine Aussprache zwischen Trainer Thomas Reis und den Spielern gab. Schon dabei ging es um Verhaltensweisen und eine Verbesserung der Einstellung. Zuletzt sind einige von ihnen immer wieder negativ aufgefallen, auf und neben dem Platz. Sie haben Professionalität und eine Siegermentalität vermissen lassen. Viele Akteure sind mit sich selbst beschäftigt, übernehmen keine Verantwortung und scheinen für den Abstiegskampf ungeeignet. Die Maßnahme von Reis, seinen Spielern ins Gewissen zu reden, scheint wirkungslos verpufft zu sein.

Schindzielorz ergreift das Wort

Also sah sich Bochums Sportchef am Wochenende dazu gezwungen, persönlich das Wort zu ergreifen. „Wir befinden uns im Existenzkampf und haben in Kiel wenig von dem gezeigt, was es braucht, um in so einem Spiel zu bestehen. Ich wollte das nicht so stehen lassen. Also gibt es jetzt noch klarere Forderungen an die Mannschaft“, erklärte Schindzielorz am Montag der Öffentlichkeit. Welche Konsequenzen es geben könnte, wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden sollten, ließ er offen. Ohnehin haben die Verantwortlichen ihr Pulver vorerst verschossen, schließlich kann es nicht jede Woche zweimal zu einer An- oder Aussprache kommen.

Das wiederum wirft die grundsätzliche Frage auf, was schon bei der Kaderzusammenstellung schiefgelaufen ist, dass die allermeisten Spieler an ihre Aufgaben und Pflichten erinnert werden müssen. Wer bereit ist, diese zu erfüllen, hat wohl auch die besten Chancen, gegen Bayern München in die Startelf zu rutschen. Im Abschlusstraining war zu sehen, dass Thomas Reis auf erfahrene Spieler wie Robert Tesche, Simon Zoller und Chung Yong Lee gesetzt hat. Für sie mussten Thomas Eisfeld, Sebastian Maier und Tom Weilandt weichen. Das Trio fiel zuletzt vor allem in der Zweikampfführung negativ auf. Gegen die Bayern dürfen sie deshalb wohl nur zusehen.

(Foto: Imago / Nordphoto)

Krise in Bochum

Kommentar: VfL muss die Saison retten – aber wie?

Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Für den VfL Bochum geht es in dieser Saison um das große Ganze. Oder, wie es Manuel Riemann nach der 1:2-Pleite in Kiel treffend beschrieb: um die Existenz. Der Sturz aus der ersten in die zweite Liga tat seinerzeit weh – doch ein weiterer Abstieg würde den Verein noch viel mehr treffen. Schon nach dem ersten Saisondrittel ist das ein realistisches Szenario – so hoffnungslos wirkt die Lage derzeit und so viel ist in letzter Zeit schiefgelaufen.

Die Spieler sind gefordert…

Trotzdem müssen Lösungsansätze her. Und die zu finden, ist genau das Problem. Der Trainerwechsel hat bislang nur wenig gebracht. Thomas Reis hat viele Schwachstellen bereits erkannt, muss aber erst noch beweisen, dass er wirklich der richtige Übungsleiter für diese Situation ist. Zumal die Aussprache unter der Woche, die im Kern richtig und wichtig war, offensichtlich wenig gebracht hat. Allein das sagt viel über den Zustand dieser Mannschaft aus.

Somit wären wir beim nächsten, vermutlich entscheidenden Defizit. Ein echtes Team, eine Einheit ist nicht zu erkennen. Hinzu kommt, dass der Kader auf vielen Positionen nicht gut zusammengestellt wurde. Zum einen vermissen viele Beobachter die richtige Mentalität, die Bindung zum Verein ist bei vielen Spielern nicht ansatzweise ausgeprägt. Zum anderen fehlt auf vielen Positionen die Qualität. War es im Vorjahr vor allem das Tempo, das Probleme bereitet hat, ist es in dieser Saison die eklatante Zweikampfschwäche.

…Schindzielorz aber auch

All das hatte sich aber schon früh in der Saisonvorbereitung angedeutet, doch die zuständigen Mitglieder der Vereinsführung haben es entweder übersehen oder waren nicht imstande, Gegenmaßnahmen einzuleiten. Kann man ihnen also noch vertrauen, nun die richtigen Schlüsse zu ziehen? Sollte Hans-Peter Villis immer noch fehlende Erfahrung für die Talfahrt anführen, lässt das ernsthaft an seiner sportlichen Kompetenz zweifeln.

Und ob Sebastian Schindzielorz wirklich stark genug ist, um die Chefrolle auszufüllen, darf auch hinterfragt werden. Der sportliche Bereich ist eine Großbaustelle. Nicht nur seine öffentlichen Auftritte sind ein Indiz für Unsicherheit. Und genau das merkt auch die Mannschaft oder jeder potenzielle Neuzugang. Denn im Winter müssen trotz knapper Kasse Verstärkungen her. Das ist wohl der naheliegendste Ansatz, diese Saison noch irgendwie zu retten.

(Foto: Sportfoto Gerd Krause)

Interne Aussprache

Tacheles in der VfL-Kabine: Mannschaft muss liefern

Leisten wirklich alle Spieler alles für den Erfolg – und ziehen sie gemeinsam an einem Strang? Oder fehlt der Mannschaft des VfL Bochum der Fokus, vielleicht sogar das Gespür für den Ernst der Lage? Die Beantwortung dieser Fragen bewegt derzeit viele Fans in Sorge um ihren Klub. Am Dienstag kam es in der Kabine zu einer längeren Aussprache zwischen Trainer und Mannschaft. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass niemand die Probleme leugnet, die speziell in dieser Woche auf den Tisch gekommen sind.

Probleme erkannt

Details zur internen Diskussion wollte Thomas Reis in der Pressekonferenz vor dem Spiel in Kiel natürlich nicht verraten, vor allem wollte er niemanden an den Pranger stellen. Trotzdem versicherte er: „Wir haben Tacheles geredet. Eine erste Reaktion habe ich schon im Training gesehen. Aber das allein reicht mir nicht.“ Bedeutet konkret: Reis erwartet eine Bewusstseinsveränderung, einen Reifeprozess und mehr Disziplin, auf und neben dem Platz. Zunächst am Freitag beim Auftritt im hohen Norden, im Grunde aber dauerhaft. Die Mannschaft muss liefern und zeigen, dass sie aus Fehlern lernt und nicht in alte Muster zurückfällt.

Derartige Ansprachen soll es in Zukunft also nicht mehr geben müssen, sie nutzen sich mit der Zeit auch ab. Aber die Notwendigkeit zum jetzigen Zeitpunkt hat nicht nur Thomas Reis erkannt. Schon am Sonntag nach dem 3:3 gegen Karlsruhe hatte er die fehlende „Bereitschaft“ kritisiert, zumindest in einigen Situationen. Auch von zwei Führungsspielern, unter anderem von Kapitän Anthony Losilla, gab es Grundsatzkritik. Immer wieder verschläft die Mannschaft einzelne Spielphasen, mal zu Beginn, mal nach der Pause, mal zum Schluss. „Wir brauchen Konzentration über 90 Minuten“, fordert Reis nicht zum ersten Mal.

Ansätze gefunden

Anders kann sich der VfL auch nicht aus dem Abstiegskampf befreien. Denn die Tabelle nach zehn Spieltagen lügt nicht, Bochum steht nur auf Platz 16. Vor allem für Thomas Reis ist die Situation leicht paradox. Alle fünf Spiele seit seinem Amtsantritt hat der VfL nicht verloren, wenn auch nur eines davon gewonnen. Trotzdem wird vieles hinterfragt. Aktuell sind es vor allem interne Abläufe und Verhaltensweisen. Dazu zählen auch Integrationsbemühungen oder Postings von Spielern in den sozialen Netzwerken, die für Kopfschütteln bei den Fans sorgen. Zudem wird öffentlich wie intern darüber diskutiert, die Vorbereitung auf ein Spiel anders zu gestalten, etwa gemeinsam in einem Hotel.

Die Erkenntnis ist nämlich diese: Zuletzt hatten die Spieler einige Freiheiten, womit nicht jeder sorgsam umgegangen ist. Auch die Trainings- und Tagesabläufe sollen sich deshalb leicht verändern, verriet Thomas Reis, ohne auf Nachfrage konkret zu werden. Die Zügel werden offenbar angezogen, Nachlässigkeiten sind nicht erlaubt, auch der Teamgedanke soll gestärkt werden. „Wir gewinnen, aber verlieren auch zusammen“, hatte Reis schon vor einigen Tagen gesagt. Dieses Motto muss beim VfL mehr denn je gelten. Wobei das Gewinnen natürlich im Fokus steht.

(Foto: Imago Images)

1:2-Pleite in Kiel

Zu diesem VfL-Spiel reicht ein Wort: Desaströs

Wenn selbst der Fußballgott nicht mehr helfen kann, ist es um den VfL Bochum wirklich schlecht bestellt. Mit dem wohl kuriosesten Elfmeter der Vereinsgeschichte fiel beim Auswärtsspiel in Kiel der zwischenzeitliche Ausgleichstreffer. Ein Ersatzspieler der Hausherren hatte eingegriffen und den Ball im eigenen Strafraum gestoppt, obwohl dieser noch nicht im Toraus war. Der Schiedsrichter ließ sich vom Videoassisten beraten und zeigte regelkonform auf den Punkt. Ganvoula nahm das Geschenk an und verwandelte sicher. Doch selbst dieses Spielglück beschert dem VfL derzeit keinen Sieg und nicht einmal ein Unentschieden.

Schläfrige Spieler

Beim 1:2 in Kiel war die Leistung so erschreckend schwach, dass jede Sorge um die Zukunft des Vereins berechtigt ist. Torhüter Manuel Riemann rief nach der Partie nicht mehr nur den Abstiegs-, sondern schon den „Existenzkampf“ aus. Denn wie sich seine Mannschaft am Freitagabend präsentiert hat, war wirklich desaströs. Dieses Wort genügt, um den Auftritt kurz und knapp zusammenzufassen. Erneut verschlief der VfL die Anfangsphase beider Halbzeiten und kassierte beide Gegentreffer nur wenige Minuten nach (Wieder-)Anpfiff. Offensichtlich ist die interne Kabinenaussprache zu Wochenbeginn wirkungslos verpufft.

Dass Thomas Reis seine Elf auf drei Positionen verändert hatte, war zu erkennen, aber nicht im positiven Sinne. Die Hereinnahme von Stefano Celozzi erfolgte gezwungenermaßen, weil sich Cristian Gamboa beim Aufwärmen verletzt hatte. Doch mit der bewussten Entscheidung, auf Thomas Eisfeld und Tom Weilandt zu setzen, hat sich der Fußballlehrer keinen Gefallen getan. Das ohnehin schon instabile Mittelfeld durch Spieler zu schwächen, die Zweikämpfe eher scheuen oder nur selten gewinnen, war nicht die richtige Maßnahme, auch wenn Eisfeld noch etwas wirkungsvoller war als sein Teamkollege.

„So kann man in der zweiten Liga nicht bestehen“, sagte Reis später in der Pressekonferenz, bezogen auf das Kollektiv und das Zweikampfverhalten. Denn die Kritik trifft nicht nur auf einzelne Spieler zu. Kiel war in allen Belangen einen Schritt schneller, der VfL lief nur hinterher und konnte mangels Körperlichkeit keine Gegenwehr leisten. Selbst in der Offensive, zuletzt ja noch eine Stärke der Bochumer, fehlten die Ideen. Das Aufbauspiel wirkte lethargisch und inkonsequent. Beunruhigend ist vor allem die Tatsache, dass der VfL quasi in Bestbesetzung nach Kiel gereist ist. Kein potenzieller Stammspieler oder Leistungsträger hat gefehlt – und trotzdem hat es nicht gereicht.

Aufgebrachte Anhänger

Immerhin stellten sich die Spieler nach der Partie den aufgebrachten Fans. Gemeinsam platzierten sie sich vor dem Gästeblock. Kapitän Anthony Losilla und Manuel Riemann diskutierten mit den wütenden Anhängern, obwohl es teils wüste Beschimpfungen gab. Der Geduldsfaden ist längst gerissen, Mannschaft und Zuschauer bilden keine Einheit mehr. Auch Thomas Reis ließ sich noch blicken. Augenzeugen berichten davon, dass der Trainer fast Tränen in den Augen hatte. Allein das sagt viel über die bedrohliche Lage des VfL Bochum aus.

(Foto: Imago / Molter)

Kein Team, keine Disziplin

Kommentar: Intern liegt beim VfL vieles im Argen

Wie kann es eigentlich sein, dass im Profifußball immer wieder eine Diskussion über Einstellung oder Mentalität aufkeimt? Nicht einmal von Fans oder Journalisten losgetreten, sondern – wie derzeit in Bochum – direkt von Teilen der Mannschaft? Nicht anders ist es zu verstehen, wenn etablierte Spieler wie Saulo Decarli und Anthony Losilla öffentlich die „Bereitschaft“ bemängeln, über 90 Minuten konzentriert zu bleiben und alles zu geben.

Bleibt es bei dieser Haltung, bei zu wenig Gier und schneller Selbstzufriedenheit, dann könnte diese Saison böse enden. Denn der VfL schickt derzeit kein funktionierendes Team, keine Einheit ins Rennen. Nur, weil jeder an sich denkt, ist nicht automatisch an alle gedacht. Erste Indizien dafür gab es schon in der Saisonvorbereitung, speziell im Trainingslager. Und es verstärkt sich von Mal zu Mal, wenn man Verhaltensweisen im Kabinentrakt oder auf dem Platz beobachtet, wenn sich Spieler gegenseitig die Schuld zuschieben.

Wenig Zusammenhalt

Die Probleme, die Torhüter Manuel Riemann schon nach dem vierten Spieltag öffentlich gemacht hat, sind bis heute nicht gelöst. Mehr als deutlich hatte er schon Ende August die Einstellung einiger Mitspieler kritisiert. Genau diese Nachlässigkeiten sind es, die dem VfL Woche für Woche wichtige Punkte kosten. Auch Trainer Thomas Reis ist es bislang nicht gelungen, altbekannte Muster zu durchbrechen, die schon Vorgänger Robin Dutt deutlich kritisiert hatte.

Beim VfL liegt vieles im Argen. Diese Mannschaft wurde nicht nur sportlich schlecht zusammengestellt, es fehlen auch passende Charaktere – Führungsspieler, die intern Gehör finden und nicht belächelt werden, Mentalitätsspieler, die auf dem Platz vorangehen und andere in ihren Bann ziehen. Bis auf Kapitän Anthony Losilla, vom Wesen her aber kein Lautsprecher, und Torhüter Manuel Riemann, der den Bogen gerne mal überspannt, ist kaum noch jemand da.

Hinzu kommt, dass es speziell jüngere Spieler gibt, denen eine professionelle Spielvorbereitung nicht so wichtig ist. Es sind Kleinigkeiten, die zeigen, dass sie keine Disziplin an den Tag legen. Wenn sogenannte Profis meinen, am Vorabend eines Pflichtspiels Grenzen austesten zu müssen, indem sie Bestellungen auf ihr Zimmer tätigen, die der Trainer aus guten Gründen abfangen muss – und so einen Vorfall hat es in dieser Saison schon gegeben – dann ist das nur der erste Teil der Geschichte.

Der zweite Teil ist nämlich, dass der erhöhte Betreuungsbedarf von den Verantwortlichen offensichtlich nicht erkannt wurde. Tatsächlich ist es so, dass die Spieler den Nachmittag und Abend vor dem Heimspiel gegen Karlsruhe nicht etwa gemeinsam im Hotel verbracht haben, sondern ganz individuell. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass ein Jungprofi, der am nächsten Tag zum Bochumer Kader gehört, am Vorabend in einem Fanblock bei Borussia Dortmund steht – und ein Video vom Torjubel auf Instagram postet. In anderen Städten würde das medial ein mittelschweres Erdbeben auslösen.

Kaum Professionalität

Um es deutlich zu sagen: Da hilft auch kein Social-Media-Kurs, das ist eine Frage der inneren Haltung. Mit Profis, die so ticken, wird der VfL nicht erfolgreich sein. Die Krönung des Ganzen ist ja, dass genau dieser Akteur sogar aus dem eigenen Nachwuchs stammt und über die Vereinsmedien als „Spieler Bochumer Prägung“ angepriesen wird. Doch wer soll sich mit solchen Spielern identifizieren? Und warum gibt es niemanden im Verein, der endlich an maximaler Professionalität und Disziplin arbeitet? All das muss von oben vorgelebt werden.

Einzelfälle gibt es in jedem Klub. Doch beim VfL kommt es viel zu oft vor, dass Spieler am längeren Hebel sitzen. Wenn einer von ihnen davon erzählt, dass er in seinem ersten Jahr in Bochum gar keinen Sprachkurs besucht hat, dieser aber auch nicht verpflichtend war, und es Teamkollegen gibt, die sich das Spiel ihrer Mannschaft gar nicht anschauen, wenn sie nicht selbst zum Kader gehören, lässt das ziemlich tief blicken. Auf den ersten Blick sind es nur Kleinigkeiten. Aber genau diese Einstellung hat Einfluss auf den sportlichen Erfolg. Ändert sich daran nichts, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.

(Foto: Imago / Team 2)

3:3 gegen Karlsruhe

Viel Frust beim VfL: Reis kritisiert die „Bereitschaft“

Vor dem Heimspiel gegen Karlsruher SC stellte der VfL seine neue Umweltkampagne vor. Und er könnte Unterstützung durch die heimischen Journalisten erhalten. Nach dem 3:3 gegen Karlsruhe überlegten einige Berichterstatter scherzhaft, ob sie ihre Texte aus den vergangenen Wochen nicht einfach recyceln könnten. Denn der Spielverlauf an diesem Sonntag kam nicht nur ihnen bekannt vor und wurde in ähnlicher Form schon mehrfach niedergeschrieben.

Verhalten auf dem Platz

Auch Fans und Verantwortlichen können längst die Uhr danach stellen, dass in den Schlussminuten ziemlich sicher noch ein Gegentreffer fällt. Schon zum vierten Mal hat der VfL in dieser Saison einen Sieg spät aus der Hand gegeben. Und das kam – wie so oft – mit Ansage. 75 Minuten lang spielte Bochum in Überzahl, doch im Duell gegen leidenschaftliche Karlsruher war davon wenig zu sehen. Nach der 3:2-Pausenführung schalteten die Hausherren wieder einmal in den Verwaltungsmodus, ohne Struktur im Angriffsspiel, ohne Ruhe und Souveränität und wenig Gier auf das vierte, vielleicht entscheidende Tor.

Doch das fünfte Unentschieden im fünften Heimspiel liegt ganz sicher nicht in der Offensivleistung begründet. Ligaweit stellt der VfL sogar den drittbesten Sturm, nur Hamburg und Bielefeld treffen häufiger. Eher sind es eklatante Mängel in der Defensive, die in dieser Saison immer wieder Punkte kosten. Gegen Karlsruhe waren es Nachlässigkeiten bei Standardsituationen, Umschaltaktionen und zum Schluss bei einem langen Ball aus der gegnerischen Hälfte. „Wir können doch nicht jedes Spiel drei Tore erzielen, um dann nur einen Punkt mitzunehmen“, stellte Torschütze Danny Blum im Kabinentrakt fest.

Teamkollege Saulo Decarli, der ebenfalls traf, wurde noch deutlicher. „Was wir machen, ist doch der Wahnsinn“, sagte der Innenverteidiger und nahm kein Blatt vor den Mund. „Das hat alles mit unserer Bereitschaft zu tun. Wenn wir nicht bereit sind, von Anfang bis Ende alles zu geben, dann werden wir eben bestraft.“ Auch Trainer Thomas Reis bemängelte in der Pressekonferenz die „Bereitschaft“, etwa in Umschaltsituation. Die Botschaft ist klar: Seine Spieler setzen Vorgaben nicht um und haben möglicherweise ein Mentalitätsproblem.

Verhalten vor der Kurve

Diese Erkenntnis ist umso besorgniserregender, weil die nominell beste Mannschaft ja schon längst auf dem Platz steht. Kein Leistungsträger fehlt verletzt, die sportlichen Probleme sind hausgemacht. Nicht einmal die gütige Mithilfe des Schiedsrichters kann der VfL dankend annehmen. Sowohl beim frühen Platzverweis gegen Karlsruhes Lukas Fröde, der vom Unparteiischen wohl missverstanden wurde, als auch beim Elfmeter zum 2:2, dem eigentlich eine Abseitsposition vorausging, hatten die Bochumer Spielglück.

Wer solche Geschenke nicht für sich nutzt, landet zwangsläufig im Abstiegskampf. Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Bochumer Publikum, das sich trotz der bedrohlichen Lage lange sehr nachsichtig zeigte, nach diesem Wochenende ziemlich frustriert ist. Mit dem Schlusspfiff gab es viele Pfiffe. Dass einige Spieler schnell in den Katakomben verschwanden, ohne sich für die Unterstützung bis zum späten Ausgleich zu bedanken, passte zum Auftritt zuvor.

Anthony Losilla war nach der Partie einer der wenigen, der die Situation erfasste und sich entschuldigte. „Wer jede Woche gefühlt das gleiche Spiel sieht, verliert irgendwann die Geduld“, zeigte der Kapitän Verständnis für die Reaktionen der Fans. „Aber auch dann müssen wir alle vor die Kurve. Das gehört sich einfach so.“ Nicht nur sportlich muss der VfL seine Verhaltensweisen offensichtlich noch einmal überdenken.

(Foto: Imago / eu-images)