4:4 in der Nachspielzeit

Endphase vercoacht? Wilde Achterbahnfahrt beim VfL

Frank Goosen sollte Recht behalten. In einem seiner Bücher, das schon vor etlichen Jahren erschienen ist, fasste er pointiert zusammen, was längst alle Fans des VfL Bochum wissen. Damals schrieb er: „Wir sind der einzige Verein, für den es keinen beruhigenden Vorsprung gibt.“ Einen weiteren Beleg dafür lieferte der VfL an diesem Sonntag im Heimspiel gegen den SV Sandhausen. Zwei deutliche Führungen reichten nicht zu drei Punkten, am Ende stand ein 4:4 auf der Anzeigetafel. Ein Entkommen aus der Abstiegszone ist so nicht möglich. Dabei gab der VfL seinen Fans in der Anfangsphase dieser Partie zunächst ein gutes Gefühl.

Frühe Führung…

Denn Danny Blum, der Mann des Tages, traf erst vom Elfmeterpunkt und dann sehenswert per Hacke, nur acht Minuten waren zu diesem Zeitpunkt gespielt. Der VfL erwischte einen Traumstart. Doch der SV Sandhausen, der zuletzt viermal in Folge nicht traf, blieb cool – und drängte die nachlässigen Hausherren immer weiter in die ihre Hälfte. Ein Sonntagsschuss von Julius Biada brachte den schnellen Anschlusstreffer. Die Gäste aus dem Hardtwald provozierten viele einfache Fehler auf Bochumer Seite, auch körperlich war der VfL oft unterlegen. Noch vor der Pause kam Sandhausen zum Ausgleich. Der war keineswegs unverdient, auch wenn der VfL weitere Chancen leichtfertig vergab.

​Nach dem Seitenwechsel starteten die Gastgeber erneut furios. Blum traf zum dritten Mal, Jordi Osei-Tutu erzielte das 4:2. Die beiden Flügelspieler brachten Tempo, Technik und Torgefahr in das Spiel ihrer Mannschaft. Vor allem Osei-Tutu überraschte mit seinem Treffer und einer Vorlage positiv. Die offensivere Rolle liegt dem Leihspieler vom FC Arsenal auch deutlich mehr als eine Position in der Abwehr. Beruhigend war der nächste Zwei-Tore-Vorsprung allerdings nicht. Die zweite Halbzeit wurde zu einer ähnlichen Achterbahnfahrt wie die erste. Denn die Hausherren zogen sich so sehr zurück, dass Sandhausen wieder zurück in die Partie kam.

…später Ausgleich

Gleich zweimal zeigte der Schiedsrichter nach Handaktionen im Bochumer Strafraum auf den Elfmeterpunkt – diskussionswürdig, nach aktueller Regelauslegung aber vertretbar. Die Gäste nutzten das aus und bejubelten in der Nachspielzeit den Ausgleich zum 4:4. Für den VfL war es nicht der erste Rückschlag in einer Schlussphase, aber mit Abstand der bitterste. „Überhaupt kriegen wir zu viele Gegentore in der Schlussphase, das kann kein Zufall mehr sein“, legte Kapitän Anthony Losilla den Finger in die Wunde: „Vier Tore müssen reichen, um ein Heimspiel zu gewinnen.“ Sein Trainer kritisierte später die fehlende Cleverness seiner Spieler, immer wieder kam es zu unnötigen Fouls und gefährlichen Standards.

Der Fußballlehrer wird sich aber auch an die eigene Nase fassen müssen. Nicht zum ersten Mal brachten seine Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg. Liegt der VfL zurück, packt er die Brechstange aus, führt sein Team, wird das Ergebnis nur noch verwaltet. Auch sendete er mit der Herausnahme sämtlicher Angreifer offensichtlich das falsche Signal, verunsicherte das gesamte Team, das die Spielkontrolle hergab. Bis auf den eingewechselten Robert Zulj verteidigten am Ende 10 Spieler, Entlastungsangriffe gab es nicht mehr, weil Konter- oder Wandspieler fehlten. Dieser Ansatz ist beim VfL nicht zum ersten Mal gescheitert.

(Foto: Sportfotos Gerd Krause)

2:1-Sieg gegen Dresden

Bochumer Jubel: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Wenn Manuel Riemann lacht, ist das ein gutes Zeichen. Der Bochumer Torhüter steht während eines Spiels stets unter Volldampf, noch mehr als jeder andere. Doch mit dem Last-Minute-Treffer in Dresden fiel auch bei Riemann die Anspannung ab. Der Keeper rannte quer über das Spielfeld, um mit seinen Teamkollegen zu jubeln. Zuvor hatte Vitaly Janelt eine Maßflanke von Danny Blum zum 2:1 verwertet und seiner Mannschaft mit dem Schlusspfiff drei ganz wichtige Punkte im Kampf um den Klassenerhalt beschert.

Ganvoula als Joker

Der Weg dahin war steinig und alles andere als schön. Ein besonders ansehnliches Zweitligaspiel war es lange Zeit nicht. Die Hausherren, immer noch Tabellenletzter, fanden keine Ideen, das Bochumer Abwehrbollwerk zu knacken. Der VfL spielte diszipliniert und nahm jeglichen Schwung aus dem ohnehin schon harmlosen Spiel der Dresdner. Thomas Reis hatte sich erneut für eine Tannenbaum-Formation, also für drei defensive Mittelfeldspieler, entschieden. Allerdings lief seine Mannschaft den Gegner deutlich früher an als zuletzt, zeitweise war also eher ein 4-1-4-1-System zu erkennen, mit Manuel Wintzheimer für Silvere Ganvoula in der Spitze.

Im eigenen Ballbesitz fehlten dem VfL aber ebenso die Lösungen. Lediglich über die Außenbahn, über Simon Zoller und den starken Danny Blum, wurde Bochum gefährlich, viele Chancen gab es nicht. „Keine Mannschaft wollte einen Fehler machen“, fand Kapitän Anthony Losilla später einen Erklärungsansatz. Erst im zweiten Durchgang, als Thomas Reis mit Silvere Ganvoula seinen Top-Torjäger brachte, strahlte der VfL im entscheidenden Moment Gefahr aus. Ein schnell vorgetragener Angriff, eine Koproduktion von Blum und Ganvoula, brachte die glückliche, aber nicht unverdiente Führung.

Lediglich bei Standardsituationen brannte es im Bochumer Strafraum – mal wieder – lichterloh. So resultierte auch der schnelle Ausgleich aus einer Ecke, die schlecht verteidigt wurde. Vieles deutete danach auf ein 1:1 hin, als der VfL doch noch einmal Mut bewies. „Ich habe nur gesehen, dass Danny den Ball hat, da dachte ich mir: Wenn nicht jetzt, wann dann?“, erklärte Matchwinner Janelt hinterher seinen Laufweg vor dem Siegtreffer. Sein Gedanke und die perfekte Ausführung waren schließlich drei Punkte wert. Lob dafür gab es natürlich auch von den Mitspielern, etwa von Anthony Losilla: „Dieser Lucky Punch kam genau zum richtigen Moment.“

Losilla als Mahner

Doch der Franzose ist nicht ohne Grund der Spielführer dieser Mannschaft. Also mahnt er zur Vorsicht, weiß, dass der zweite Sieg im fünften Spiel nach der Winterpause noch kein Grund ist, sich zurückzulehnen. Immerhin: Gegen Wiesbaden und Dresden hat der VfL binnen zwei Wochen gegen zwei direkte Konkurrenten im Abstiegskampf gewonnen. „Dieser Schritt war für die Mannschaft und den Verein ganz wichtig“, sagte Losilla vor der langen Heimfahrt nach Bochum und dachte sofort an das nächste Spiel: „Nächsten Sonntag müssen wir nachlegen.“ Dann empfängt der VfL den SV Sandhausen. Zwei Siege in Folge sind in dieser Saison noch nicht gelungen.

(Foto: Imago / Picture Point LE)

Ganvoula, Blum & Soares

Für den Unterschied: Auf dieses Trio setzt der VfL

Bei Fans wie Profis sind die Noten des kicker-Sportmagazins manchmal umstritten. Schließlich sind sie in der Branche ein nicht unbedeutender Leistungsindikator. Und sie bieten, bei aller Kritik, eine grobe Orientierung, wie gut ein Spieler in Form ist – auch beim VfL Bochum.

Scorerpunkte gegen Dresden

Ob Silvere Ganvoula und Danny Blum tatsächlich Zeitung lesen, ist nicht überliefert. Oft sickern die Einschätzungen der Reporter aber trotzdem durch. Und mit der Bewertung dürften beiden Top-Scorer zuletzt nicht immer zufrieden gewesen sein. Gab es im Sommer und Herbst meist noch Bestnoten für das Offensivduo, hagelte es vor und nach der Winterpause oft Vieren oder gar Fünfen. Harte Fakten unterstreichen die subjektiven Eindrücke: In den vergangenen drei Monaten haben sie nur noch wenige Scorerpunkte gesammelt. Silvere Ganvoula traf bis Ende Oktober achtmal, anschließend bis zum Dresden-Spiel nur noch zweimal. Teamkollege Danny Blum trat oft als Vorlagengeber in Erscheinung – auch seine Quote ist zurückgegangen.  

Die große Bochumer Hoffnung ist nun, dass der 2:1-Auswärtssieg in Dresden die Wende eingeläutet hat. Ganvoula traf zur ersten Führung, Blum bereitete beide Tore vor. Pünktlich zum letzten Saisondrittel sollen die beiden wieder ihre Bestform erreichen. Lob für ihre Leistung gab es auch vom Manager. „In der Offensive hatten wir bis zum Schluss Geschwindigkeit und Power. Beide haben dazu beigetragen, dass wir die drei Punkte mitgenommen haben“, ließ sich Sebastian Schindzielorz auf der Vereinshomepage zitieren. Dabei nahm er seine Schützlinge nach schwierigen Wochen in Schutz: „Es ist innerhalb einer langen Saison normal, dass man mal kein Tor macht. Silvere Ganvoula und Danny Blum sind bei uns intern nie in die Kritik geraten.“

Nachlässigkeiten im Winter

Wobei das bei genauerer Betrachtung nicht ganz stimmt. Ganvoula saß in Dresden erstmals in dieser Saison nur auf der Ersatzbank. Und Blum kehrte nach zweiwöchiger Schaffenspause erst wieder in die Startformation zurück. Diese Idee, auf seine Top-Scorer freiwillig zu verzichten, wäre Trainer Thomas Reis in der Hinrunde wohl nicht in den Sinn gekommen – da waren sie noch unverzichtbar. Schon im Trainingslager Mitte Januar hatte Bochums Fußballlehrer auf Nachlässigkeiten reagiert und das Trio, zu dem auch Linksverteidiger Danilo Soares gehörte, ermahnt. Der Brasilianer, der den Verein im Sommer mit hoher Wahrscheinlichkeit verlassen wird, befand sich ebenfalls in einem Formtief. Zuletzt überzeugte er wieder.

Im Abstiegskampf ist der VfL auf die Stärke von Ganvoula, Blum und Soares auch dringend angewiesen. In engen Spielen können sie für den Unterschied sorgen. Und sie bekräftigen, dass sie die Botschaft des Trainers verstanden haben. „Ich war etwas überrascht, dass ich nicht von Beginn an gespielt habe. Als ich eingewechselt wurde, wollte ich es besser machen als zuletzt“, sagte Silvere Ganvoula nach dem Sieg in Dresden. Und Danny Blum gab unumwunden zu, dass „es ein paar Spiele gedauert hat, bis ich endlich wieder ein persönliches Erfolgserlebnis feiern konnte.“ Für Blum gab es am Ende sogar noch eine Auszeichnung: Das Fachmagazin kicker benotete seinen Auftritt mit einer 1,5 – die beste Bewertung in dieser Saison.

(Foto: Imago / Beautiful Sports)

Decarli, Leitsch & Co.

Warum…? Viele offene Fragen in der VfL-Abwehr

Ein neues Abwehrduo schien eigentlich gefunden. Schon gegen Hamburg und Wiesbaden überzeugten Saulo Decarli und Maxim Leitsch gemeinsam im Zentrum der Bochumer Viererkette. Auch gegen Stuttgart sah es lange Zeit gut aus, bis Decarli knapp zehn Minuten vor Schluss einen folgenschweren Fehler machte – und der VfL mit 0:1 verlor.

Dieser spielentscheidende Schnitzer führt plötzlich zu Diskussionen, ausgerechnet vor dem Kellerkrimi beim Tabellenletzten Dynamo Dresden am Samstag. Ein Spiel, das der VfL unbedingt gewinnen muss. Oder zumindest nicht verlieren darf. Klar ist: Einen Freifahrtschein gibt Trainer Thomas Reis nicht aus. Decarli muss um seinen Stammplatz kämpfen. Zumal es einige Alternativen gibt. Gleich sechs Spieler stehen für zwei Startelfplätze in der Innenverteidigung zur Verfügung. Fragen und Antworten zum Thema der Woche…

Warum gibt es Zweifel an Saulo Decarli?

Fans und Mitspieler haben alles dafür getan, den Innenverteidiger nach seinem Fehlpass am Montag schnell aufzubauen. Wie der Schweizer die Situation weggesteckt hat, ist nicht überliefert. Eigentlich hatte er sich nach der Winterpause gefangen, überzeugte gegen Wiesbaden und über weite Strecken auch gegen Stuttgart. Gegenwärtige Zweifel an Decarli gibt es wohl nur deshalb, weil er schon in der Hinrunde nicht fehlerlos blieb. Dass Reis aber auf seinen vermeintlichen Abwehrchef verzichtet, ist eher unwahrscheinlich. Im Training am Donnerstag gehörte Decarli auch zur A-Elf.

Warum ist Maxim Leitsch plötzlich gesetzt?

Mit dem Bochumer Eigengewächs hat noch vor wenigen Wochen keiner gerechnet. 492 Tage hatte der 21-Jährige kein Pflichtspiel absolviert, lange war er verletzt, niemand konnte fest mit ihm planen. Doch gegen den HSV stand Leitsch plötzlich in der Startelf. Nach drei Pflichtspielen ist klar: Der Linksfuß hat nichts verlernt, überzeugt mit Beweglichkeit und erstaunlicher Ruhe. Seine Aufgaben löst er mit Bravour. Leitsch hat die Personalpläne ordentlich durcheinandergewirbelt – und hofft, dass er gesund bleibt: „Ich habe keine Wehwehchen, fühle mich von Tag zu Tag besser.“

Warum spielt Armel Bella Kotchap nur noch für die U19?

Viele Fans sind verwundert. Warum spielt der 18-Jährige, der als Juwel gilt, plötzlich keine Rolle mehr? In der Hinrunde gehörte Bella Kotchap noch regelmäßig zur Startelf, unter anderem beim Pokalspiel gegen die Bayern. Am vergangenen Wochenende kam er bei den A-Junioren zum Einsatz. „Das ist keine Bestrafung“, erklärt Trainer Reis, „Spielpraxis ist wichtig.“ Warum er die bei den Profis nicht bekommt? „Armel ist sehr talentiert. Aber er macht noch zu viele Fehler.“ Außerdem fehlt die Reife, vor allem im Abstiegskampf. Für ihn saß zuletzt Simon Lorenz auf der Bank, ebenso wie Patrick Fabian.

Warum spielt Neuzugang Vasilios Lampropoulos keine Rolle?

Bei mindestens vier anderen Verteidigern hatte der VfL im Winter vorgefühlt, am Ende kam der Grieche als große Überraschung – und Notlösung? Die Idee hinter dem Transfer bleibt weiter unklar. Offensichtlich ist Lampropoulos keine so große Soforthilfe, dass er unbedingt spielen muss. Bislang saß er nicht einmal auf der Bank. „Er drängt in den Kader, musste unsere Abläufe aber erst noch kennenlernen“, sagt Thomas Reis dazu. Viel Zeit bleibt nicht. Denn eine Verpflichtung mit Perspektive ist der 29-Jährige auch nicht – der Leihvertrag endet schon im Sommer.

(Foto: Pressefoto Eibner)

0:1 gegen Stuttgart

VfL ohne Ideen: Wenn Kampf allein nicht reicht

Eigentlich wollte er nur noch verschwinden. Bochums Innenverteidiger Saulo Decarli war nach der 0:1-Heimniederlage gegen den VfB Stuttgart am Montagabend untröstlich. Mit Mühe hielten ihn die Mitspieler davon ab, in die Kabine zu flüchten. Stattdessen trat auch Decarli noch kurz vor die Bochumer Fankurve. Es gab aufmunternde Worte – obwohl der Schweizer in der 80. Spielminute den entscheidenden Fehler machte. Ein Pass in die Füße seines Gegenspielers, und die Gäste hatten leichtes Spiel. Hamadi Al Ghaddioui profitierte davon und schoss den Aufstiegsfavoriten zum Auswärtssieg.

Offensiv ohne erkennbaren Plan

Unterstützung für Decarli gab es nicht nur von den Rängen, sondern auch von den eigenen Mitspielern. „Er hat in Wiesbaden und gegen Stuttgart ansonsten richtig gut gespielt. Fehler gehören leider dazu“, sagte Torhüter Manuel Riemann, der während des Spiels der erste war, der seinen Vordermann aufrichtete. Decarli für die Niederlage verantwortlich zu machen, würde ohnehin deutlich zu weit führen. Schließlich ist es der gesamten Mannschaft nicht gelungen, neben einer kämpferisch guten Vorstellung auch spielerische Akzente zu setzen. Für einen Punktgewinn war der VfL also auf eine fehlerfreie Defensive angewiesen.

Dass vorbildlicher Einsatz allein nicht reichen wird, um im Abstiegskampf zu bestehen, wurde gegen Stuttgart besonders deutlich – auch wenn die Schwaben nicht in allen Belangen ein Maßstab sein können. Stellte der VfL in der Hinrunde noch die drittbeste Offensive der Liga, gab es nach dem Jahreswechsel in vier Partien nur zwei eigene Treffer. Auch gegen Stuttgart basierte das Angriffsspiel oft auf langen Bällen und einigen glücklichen Zufällen. Hinzu kam das, was Cheftrainer Thomas Reis nach der Partie „als größten Kritikpunkt“ anführte: eklatante technische Mängel. Viele Pässe fanden keinen Abnehmer, Abschlüsse waren ungenau oder überhastet.

Außenverteidiger überzeugen

Vor allem Silvere Ganvoula, oft Einzelkämpfer im Bochumer Angriff, versuchte es aus allen Lagen, teilweise ohne Sinn und Verstand. Danny Blum, der für Robert Zulj in die Startformation gerückt war, blieb glücklos, Tom Weilandt unauffällig. Das Problem: Einen Spielgestalter, der das Umschaltspiel beherrscht, damit Ganvoula oder Blum ihre Schnelligkeit hätten ausspielen können, gab es nicht. Insgesamt wählte Thomas Reis eine eher vorsichtige Taktik, was die Defensive stärken sollte, die Offensive aber schwächte. Auch Reis analysierte später, dass sein Team in der ersten Halbzeit zu passiv blieb, die hochstehende Stuttgarter Dreierkette nur halbherzig anlief.

Erst nach dem Seitenwechsel trauten sich die Gastgeber etwas mehr. Strukturierte Angriffsversuche gab es für die 18.090 Zuschauer trotzdem nicht zu sehen. Der VfB, der den ersten Durchgang klar dominierte und beste Chancen leichtfertig vergab, war plötzlich aber auch abgemeldet. Bestnoten verdienten sich vor allem die Bochumer Außenverteidiger. Sowohl Cristian Gamboa und Danilo Soares überzeugten mit einer engagierten Vorstellung und starken Zweikämpfen. Erst der individuelle Fehler ihres Abwehrkollegen sorgte für den späten Rückschlag und die dritte Niederlage im neuen Jahr.

Kellerkrimi in Dresden

Die Ausgangslage vor dem Gastspiel beim Tabellenletzten in Dresden am Samstag hat sich somit nicht verändert und bleibt äußerst prekär. Konkret bedeutet das: Nur zwei Punkte trennen den Revierklub vom ersten Abstiegsplatz. Doch beim VfL schöpfen Spieler wie Verantwortliche sogar Mut aus der Partie gegen Stuttgart. Dabei müssen sie allerdings aufpassen, den Auftritt nicht besser zu machen als er war. Trainer Thomas Reis klammert sich vor allem an die zuletzt erkennbare „Bereitschaft“. Die aber gehört zum selbstverständlichen Teil eines jeden Fußballspiels – und wird allein nicht reichen, um im Kellerduell dreifach zu punkten.

(Foto: Sportfotos Gerd Krause)

VfL empfängt VfB

Im Zweifel defensiv: Wie Reis seine Startelf formt

Schon am Samstag gegen 11 Uhr haben die Profis des VfL den Rasen im Ruhrstadion betreten. Das Spiel gegen den VfB Stuttgart steigt aber erst zwei Tag später. Trainer Thomas Reis wählte eine in Bochum ungewöhnliche Maßnahme. Der zweite Teil einer Trainingseinheit fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. System, Taktik und Personal sollen bis zum Anpfiff am Montagabend ein Geheimnis bleiben. Wobei fraglich ist, wie sehr Bochums Fußballlehrer den Tabellendritten wirklich überraschen kann.

Tesche soll seine Stärken einbringen

Denn großartige Änderungen im Vergleich zum 1:0-Erfolg in Wiesbaden sind nicht zu erwarten. So dürfte die Abwehrreihe, bestehend aus Cristian Gamboa, Saulo Decarli, Maxim Leitsch und Danilo Soares, ins dritte gemeinsame Spiel gehen. Auch an Torhüter Manuel Riemann, Simon Zoller und Silvere Ganvoula rüttelt derzeit niemand. Offen ist lediglich, wie Thomas Reis im Mittelfeld aufstellt. Seine Aussagen in der Pressekonferenz am Freitag lassen vermuten: Im Zweifel eher defensiv. Dass Robert Tesche wohl zur Startelf gehören wird, ist nicht der einzige Beleg dafür.

In der Vorwoche saß der Routinier zunächst auf der Ersatzbank, wurde aber schon nach einer halben Stunde für Vitaly Janelt eingewechselt. „Ab der 30. Minute wurden wir stabiler“, analysiert Reis. Ein kausaler Zusammenhang lässt sich nicht leugnen. Janelt, der immer etwas mutiger agiert, aber auch früh mit Gelb vorbelastet war, machte im Aufbau zu viele Fehler, ebenso wie Teamkollege Anthony Losilla. „Grundsätzlich“, erklärt Reis auf Nachfrage, „haben auf dieser Position alle vier Spieler ein ähnliches Niveau.“ Als Beispiel nannte er die Geschwindigkeit. Böse Zungen würden behaupten: Keiner von ihnen ist schnell.

Losilla darf auch weniger laufen

Auch nicht Thomas Eisfeld, der in Wiesbaden gar nicht erst im Kader war. Ein möglicher Grund: Der 27-Jährige spielt noch offensiver als Janelt. Außerdem fehlt ihm die Wucht in vielen Zweikämpfen. Die bringt Anthony Losilla zweifellos mit, weshalb der Franzose neben Robert Tesche auch gesetzt ist. „Er hat sich als Kapitän einen gewissen Status erarbeitet“, bestätigt Reis und lobt ausdrücklich dessen Laufstärke: „Wobei wir noch schauen müssen, welche Wege wirklich nötig sind.“ Dass Losilla oft meint, vorne wie hinten, links wie rechts aushelfen zu müssen, versucht Reis schon seit Monaten zu korrigieren. Bislang nur mit mäßigem Erfolg.

Damit der Publikumsliebling nicht glaubt, für alles zuständig zu sein, ist eine Systemumstellung für das Stuttgart-Spiel nicht auszuschließen. Das würde bedeuten, dass Vitaly Janelt doch in der Startformation bleiben darf, nämlich als dritter defensiver Mittelfeldspieler – so wie schon gegen Bielefeld und Hamburg Anfang des Jahres. In diesem Fall müsste Winterneuzugang Robert Zulj weichen. Ihn lobte Bochums Chefcoach nach dem Spiel in Wiesbaden für seine Ballsicherheit, seine Übersicht und Präsenz, erwartet aber auch, „dass er sich defensiv noch steigert.“

Blum muss an Schwächen arbeiten

Dieses Qualitätsmerkmal ist Thomas Reis im Abstiegskampf besonders wichtig, weshalb auch Danny Blum derzeit nur die Rolle als Joker bleibt und Tom Weilandt erste Wahl ist. „Er ist mit seinen Offensivqualitäten unheimlich wichtig für uns, das steht außer Frage“, sagt Reis über Blum, der immerhin schon sechs Tore und neun Vorlagen beigesteuert hat. Doch die Bereitschaft, auch nach hinten fleißig mitzuarbeiten, lässt der Ex-Frankfurter mitunter vermissen. Das weiß auch Thomas Reis, der kein Problem damit hat, das offen anzusprechen: „Danny ist defensiv nicht der stärkste. Aber er weiß, woran er arbeiten muss. Und das macht er auch.“

(Foto: Pressefoto Eibner)

Torschütze & Teamplayer

Mann der Stunde: Warum Zoller so wertvoll ist

Sein Torjubel am vergangenen Wochenende galt einem ganz besonderen Mitspieler. Als Simon Zoller in der 39. Minute das 1:0 gegen Wiesbaden erzielt hatte, rannte er zur Trainer- und Ersatzbank. Er wusste genau, wen er herzen wollte: VfL-Urgestein Patrick Fabian. Für wenige Augenblicke lagen sich die beiden in den Armen. Was fast schon romantisch klingt, war von Zoller natürlich so gewollt. „Ich weiß, wie sehr Patti in dieser Situation mitfühlt“, sagte Bochums Angreifer später. „Er ist schon fast 20 Jahre im Verein. Allein für ihn muss man sich auf dem Platz zerreißen.“ Zoller lebt den Zusammenhalt vor, den sich viele innerhalb des Klubs wünschen.

Einziger Torschütze

Die Beziehung zwischen Zoller und dem VfL ist recht schnell gewachsen. Vor knapp einem Jahr ist der 28-Jährige vom 1. FC Köln nach Bochum gewechselt. Schon im Sommer davor hatte es Gespräche und Verhandlungen gegeben, doch ein Wechsel kam erst im Winter zustande. Die Rückrunde unter Trainer Robin Dutt verlief nicht ganz nach den Vorstellungen des Offensivspielers – denn Zoller verletzte sich und fiel wochenlang aus. Unter Thomas Reis verpasste er bislang noch kein einziges Pflichtspiel. Insgesamt stehen in dieser Saison sechs Tore und drei Vorlagen auf der Habenseite – nur Silvere Ganvoula und Danny Blum sind, was diese Werte betrifft, wertvoller für das Team.

Doch während die beiden Kollegen nach der Winterpause noch gar nicht getroffen haben, ist Zoller besonders gut ins neue Jahr gestartet. Beim Auftakt in Bielefeld war er zunächst außen vor. Doch gegen Hamburg kehrte der Angreifer in die Startformation zurück, überzeugte mit großem Engagement und erzielte prompt das Führungstor. Zum Sieg reichte es nicht. Eine Woche später traf er in Wiesbaden erneut – und bescherte dem VfL drei ganz wichtige Punkte im Abstiegskampf. „Es ist eine meiner Stärken, auf den zweiten Ball zu lauern und dahin zu gehen, wo es gefährlich wird“, sagt Zoller selbstbewusst. Im Abstiegskampf möchte er vorangehen, mahnt und motiviert zugleich: „Das ist kein Kindergeburtstag hier. Nur wenn wir fighten, haben wir eine Chance.“

Wichtiger Teamplayer

Seinen Stammplatz dürfte der Mann der Stunde vorerst sicher haben. Doch auch dann, wenn er nicht auf dem Rasen steht, ist Zoller wichtig für das Team. Mittlerweile zählt der Ex-Kölner zu den wenigen Führungsspielern. Innerhalb des Klubs genießt er ein hohes Ansehen. Seit einiger Zeit ist er das Gesicht einer Kampagne für Kinderschutz. Und als er 2019 neu zum VfL kam, stellte sich Zoller persönlich bei allen Mitarbeitern vor. „Ich will den Verein als Ganzes kennenlernen“, sagte er damals. „Zum Verein gehören nicht nur wir Spieler, sondern auch diejenigen, die in den Büros arbeiten oder unsere Trikots beflocken.“ Seines ist übrigens besonders begehrt. Das war schon zu Saisonbeginn so, und dürfte sich durch seine beiden Treffer auch nicht geändert haben.

(Foto: Imago / Nordphoto)