14. Dezember 2024 von
Philipp Rentsch
Vielleicht war es nur Anstand, vielleicht aber auch die Erkenntnis, dass der Platzverweis regeltechnisch korrekt war. Bereits nach 13 Minuten sah Koji Miyoshi nach einem rüden Foulspiel zurecht die Rote Karte. Der VfL Bochum musste bei Union Berlin fortan und damit fast das ganze Spiel in Unterzahl absolvieren. Die Herausforderung, nach drei torlosen Partien wieder zu treffen und den ersten Saisonsieg einzufahren, wurde damit noch größer. Doch anstatt zu verzweifeln, wehrte sich das Team von Dieter Hecking mit Leidenschaft und kluger Taktik – und verdiente sich am Ende einen Punkt. „Die Reaktion auf die Rote Karte war gut“, lobte der Trainer seine Spieler. Ibrahima Sissoko hatte den VfL zehn Minuten nach dem Platzverweis sogar in Führung gebracht, doch weitere zehn Minuten später erzielte Union den Ausgleich zum 1:1-Endstand.
Erster Auswärtspunkt
Die Bochumer verteidigten ihren Strafraum im Stile einer Handballmannschaft, sorgten aber immer wieder für Entlastung und hatten sogar Chancen zu gewinnen. Die Unterzahl machte sich kaum bemerkbar. „Die Führung hat uns wieder an ein erfolgreiches Spiel glauben lassen. Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie nie aufgibt. Das zeichnet sie aus“, sagte Hecking, der Glückwünsche für das dritte Unentschieden der Saison und den ersten Punkt in der Fremde entgegennahm. Womöglich kann er nachträglich sogar den ersten Saisonsieg feiern. Denn das sportliche Geschehen rückte in der Nachspielzeit weit in den Hintergrund. VfL-Keeper Patrick Drewes hatte für sein wiederholtes Zeitspiel die Gelbe Karte gesehen, wollte den Ball zurück ins Spiel bringen und wurde plötzlich von einem Feuerzeug am Kopf getroffen.
Feuerzeug trifft Drewes
Drewes sackte benommen zu Boden und wurde ärztlich behandelt, nach Vereinsangaben später sogar mit Übelkeit und Kopfschmerzen in ein Krankenhaus gebracht, wo allerdings keine Gehirnerschütterung festgestellt werden konnte. VfL-Profi Matus Bero schnappte sich das Feuerzeug kurz nach dem Wurf und zeigte es den aufgebrachten Fans aus Berlin, die trotz des offensichtlichen Vergehens der Meinung waren, dass Drewes nur simulieren würde. „Steh‘ auf, Du Sau“, sangen etliche Fans auf der Heimtribüne, während die Bochumer einen Spielabbruch forderten. Schiedsrichter Martin Petersen schickte die Mannschaften zunächst in die Katakomben. „Wir haben uns warm gehalten. Unser Trainer hat mit dem Schiedsrichter geredet und dann war klar, dass wir wieder rausgehen und unter Protest weiterspielen.“ Weil Drewes nicht mehr mitwirken konnte, stellte sich Hofmann ins Bochumer Tor.
Kein Spielabbruch
Doch einen Schuss musste der Mittelstürmer nicht mehr abwehren. Die Mannschaften einigten sich auf einen Nicht-Angriffspakt, weil der VfL schon alle Wechselphasen ausgeschöpft hatte und nur noch zu neunt auf dem Rasen stand. Dir Bochumer plädierten für einen Spielabbruch, doch Schiedsrichter Petersen entschied anders. Dieser hielt vorher Rücksprache mit seinen Verantwortlichen beim DFB. Wird ein Spieler oder ein Unparteiischer von einem Gegenstand verletzt – wie der Linienrichter beim Becherwurf in Bochum anno 2022 – ist ein Abbruch möglich, aber nicht zwingend erforderlich. Petersen war vor einigen Jahren sogar schon selbst betroffen und beendete daraufhin die Partie. An diesem Samstag entschied er anders. „Nur der Schiedsrichter kann ein Spiel abbrechen. Das hätte er aus unserer Sicht tun müssen“, erklärte VfL-Geschäftsführer Ilja Kaenzig, der ankündigte: „Wir werden gegen die Spielwertung Einspruch einlegen.“
Sportgericht muss entscheiden
Die Entscheidung darüber, wie die Partie gewertet wird, liegt beim DFB-Sportgericht. Im Erfolgsfall wird das Spiel mit 2:0 und drei Punkten für den VfL gewertet. Auch ein Wiederholungsspiel an gleicher Stelle wäre theoretisch denkbar, ist aber sehr unwahrscheinlich. Wie gut die Chancen auf eine Wertung im Sinne des VfL stehen, ist unklar; in der jüngeren Vergangenheit gab es keinen vergleichbaren Fall. „Uns ist ein sportlicher Nachteil entstanden“, begründet Kaenzig die Entscheidung. So steht es auch im Regelwerk des DFB. Die „Schwächung der eigenen Mannschaft durch einen während des Spiels eingetretenen Umstand, der unabwendbar war und nicht mit dem Spiel und einer dabei erlittenen Verletzung im Zusammenhang steht“ rechtfertigt einen Einspruch. Auch wenn nur noch drei Minuten zu spielen waren, wurde der VfL um eine Siegchance gebracht.
Wütende Berliner Fans
Wobei es sogar Bochums Trainer Hecking war, der nach dem um 28 Minuten verzögerten Schlusspfiff beschwichtigte und relativierte. Er wies darauf hin, dass sich die eigenen Fans auch nicht immer korrekt verhalten. Schließlich flogen im Bochumer Ruhrstadion zuletzt ebenfalls einige Gegenstände auf den Rasen, sie trafen nur keinen Spieler. Und: Der mutmaßliche Täter wurde nach Angaben der Unioner schnell ermittelt. Berlins Manager Horst Heldt verurteilte das Fehlverhalten „eines Einzelnen“, wobei er verschwieg, dass zahlreiche Fans den am Boden liegenden Drewes beschimpften und sogar wütend der Schauspielerei bezichtigten. Den Anstand und die Erkenntnis, dass ihr Verhalten unsportlich und damit inakzeptabel ist, unabhängig davon, wie hart Drewes getroffen und verletzt wurde, hatten sie jedenfalls nicht.
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(Foto: Imago / Matthias Koch)