Personalie

Oermann setzt sich durch: Freude für Fußballromantiker

Im Dezember sahen die Pläne noch ganz anders aus. Die Verantwortlichen des VfL Bochum wollten Tim Oermann ein weiteres Mal verleihen. Der 20-Jährige sollte bei einem anderen Klub Spielpraxis sammeln. Doch Trainer Thomas Letsch funkte dazwischen. Er wollte, dass der junge Innenverteidiger an der Castroper Straße bleibt. Allerdings in ungewohnter Rolle. „Wir hatten die Fantasie, dass er auch auf der rechten Seite verteidigen könnte“, verrät Letsch. „Das konkretisierte sich dann in den folgenden Wochen. Denn Tim ist schnell und bringt auch fußballerische Qualitäten mit.“ Eine ähnliche Idee war mit dem Brasilianer Bernardo bereits auf der linken Seite der Viererkette aufgegangen. Hinzu kam: Sommerneugang Felix Passlack überzeugte auf der rechte Abwehrseite bislang gar nicht, Cristian Gamboa nur mit Abstrichen.

Gamboas Sperre genutzt

Aus der Theorie wurde in der kurzen Winterpause also ein konkreter Plan. Oermann durfte sich im Testspiel gegen den niederländischen Zweitligisten aus Groningen als Rechtsverteidiger beweisen, Letsch war mit der Darbietung zufrieden. Als Bochums Cheftrainer nur zwei Wochen später einen Vertreter für den gesperrten Gamboa suchte, fiel die Wahl auf das Bochumer Eigengewächs. Mut, der belohnt wurde. Denn Oermann erledigte seinen Job gegen Stuttgarts Chris Führich, einen der Shootingstars dieser Saison, mit Bravour – und blieb im Team. Obwohl Gamboa für das Derby in Dortmund wieder bereitstand, blieb Oermann in der Startelf. Sein Gegenspieler: Jadon Sancho. „Für den Start waren das sicher nicht die einfachsten Aufgaben“, bilanziert Letsch und lobt seinen Schützling: „Tim hat die Sperre von Cristian Gamboa genutzt.“

In Bochum geboren

Vor allem Fußballromantiker dürften sich an der Entwicklung von Oermann erfreuen. Der Defensivspezialist kam in Bochum zur Welt, trägt seit seinem neunten Lebensjahr das Trikot des VfL und ist nun mit einem Profivertrag bis 2026 ausgestattet. „Es freut uns, wenn ein Eigengewächs eine solche Entwicklung nimmt“, sagt Letsch. Damit ist Oermann auf den Spuren von Maxim Leitsch und Armel Bella Kotchap unterwegs, die auch in der eigenen Talentschmiede groß und bei den Profis des VfL erwachsen geworden sind. Wobei Oermann einen kleinen Umweg nahm. In der Rückrunde der vergangenen Saison spielte der Youngster auf Leihbasis für den österreichischen Erstligisten Wolfsberger AC. „Tim kam mit Selbstbewusstsein und Spielpraxis auf hohem Niveau zurück. Dieses halbe Jahr hat ihm extrem gutgetan“, betont Letsch.

Doch keine Leihe

Doch zurück in Bochum, war Oermann wieder nur Reservist. Ende August platzte eine Leihe zum Drittligisten Rot-Weiss Essen. „Mit insgesamt sechs Innenverteidigern war es eine schwierige Konstellation für ihn“, weiß Trainer Letsch, der den Jungprofi zu Saisonbeginn oft gar nicht für den Kader berücksichtigen konnte. „Tim hat aber immer Gas gegeben und sich in der Phase, in der es Ausfälle und Engpässe gab, in die Mannschaft gespielt.“ Meistens jedoch als Joker. Auch deshalb bekräftigten die Verantwortlichen noch im Dezember, ihren zweitjüngsten Spieler erneut verleihen zu wollen. Doch dann kam alles ganz anders. Viermal in Folge gehörte Tim Oermann nun zur Bochumer Startelf – und darf sich am Wochenende erneut auf höchstem Niveau beweisen. Dann wird er es nämlich mit Leroy Sane oder Jamal Musiala zu tun bekommen.


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(Foto: Marc Niemeyer)

Fußball & Business

Mit Ono und Asano: VfL nimmt japanischen Markt ins Visier

Wenn sich die Vermarktungsabteilung des VfL in den kommenden Wochen eine Vertragsverlängerung mit einem Spieler wünschen dürfte, dann fiele die Wahl wahrscheinlich auf Takuma Asano. Der japanische Nationalspieler ist nicht nur bei den Fans in Bochum sehr beliebt, sondern auch und ganz besonders in seiner Heimat.

Umso passender, dass der VfL und die DFL Japan als Zielmarkt definiert haben. Das Land mit seinen mehr als 125 Millionen Einwohnern biete die Chance, „gemeinsam mit der Liga zu wachsen“, sagt Tim Jost, Direktor für Marketing und Vertrieb beim VfL Bochum und zugleich Mitglied der Geschäftsleitung. Nicht nur der VfL, auch die DFL strebt eine Erschließung neuer Märkte an, um die Erträge zu steigern. Die Klubs sind dazu verpflichtet, ihren Beitrag zu leisten. „In Japan haben wir mit einer transparenten Darstellung unseres Ansatzes eine größere Chance als in anderen Ländern, in denen sich zudem deutlich mehr Konkurrenten bewegen“, erklärt Jost.

Dass mit Takuma Asano ein japanischer Nationalspieler und WM-Held aktuell das Trikot des VfL Bochum trägt, sei dabei natürlich hilfreich. „Die Relevanz unseres Klubs wird durch Takuma Asano auf ein anderes Level gehoben. Ohne ihn könnten wir uns dort auch behaupten, aber es wäre sicher etwas schwieriger“, gibt Jost unumwunden zu. Ein weiterer Vorteil: „Er ist ja nicht der erste Japaner bei uns.“ Auch der in Japan überaus beliebte und bekannte Shinji Ono, Takashi Inui oder Yusuke Tasaka haben bereits zur Bekanntheit des VfL in Fernost beigetragen. Im Jahr 2008 waren die Bochumer sogar mit Ono und der damaligen Mannschaft für einige Tage in Yokohama. Ono soll seinen Ex-Klub in Zukunft als Markenbotschafter in Japan unterstützen.

Fußballschule in Tokio

Denn der VfL möchte das Interesse an seiner Marke weiter ausbauen. Deshalb sind Tim Jost und sein Kollege Andreas Kluy im November für anderthalb Wochen nach Tokio, Osaka, Tsukuba und Shizuoka gereist. Dort haben sie sich mit Vertretern von Politik und Wirtschaft genauso wie mit Professoren und potenziellen Businesspartnern getroffen. „Wir waren auch bei der Außenhandelskammer, in der deutschen Botschaft und beim TV-Partner der Bundesliga“, berichtet Jost, der seit Anfang 2023 für den VfL Bochum arbeitet und zuvor in einer ähnlichen Position für Holstein Kiel tätig war. „Wir haben auf unserer Reise viele neue Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, eine andere Kultur und einen anderen Businessalltag kennengelernt. Genau darum ging es uns. Wir möchten und müssen den Markt verstehen, bevor wir dort aktiv werden.“ Knapp 40 Termine hat die kleine Delegation aus Bochum in gut zehn Tagen abgearbeitet.


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Dabei haben Jost und Kluy Potenziale in verschiedenen Bereichen erkannt. So plant der VfL schon in absehbarer Zeit, einmal pro Woche eine Fußballschule in Tokio anzubieten, perspektivisch auch in Tsukuba, der Partnerstadt von Bochum. „Überall dort wollen wir VfL-Inhalte vermitteln, um authentisch zu sein“, betont Jost. Ein Übungsleiter aus Bochum soll den Anfang machen. Er soll die Übungseinheiten leiten und weitere Trainer vor Ort ausbildet. Zugleich möchte der VfL die Kontakte nutzen und talentierten Fußballern im besten Fall den Weg in die Bochumer Nachwuchsmannschaften ermöglichen.

Ausrüster aus Japan

Auch abseits des Sportlichen sieht der VfL Bochum zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten im Land der aufgehenden Sonne. „Sport, Bildung und Business – das sind unsere Schwerpunkte vor Ort“, fasst Jost die Strategie des Klubs zusammen. Bei seiner Reise im November standen bereits Gespräche mit interessierten Unternehmen auf dem Programm, mit denen der VfL ins Geschäft kommen könnte. Neuland würden die Bochumer damit aber nicht betreten. Mit einem japanischen Konzern gibt es schon eine Zusammenarbeit: Ausrüster Mizuno hat seinen Hauptsitz in Osaka. „Es gibt bereits zahlreiche Verbindungen nach Japan“, weiß Tim Jost, der auch die Universität in Tsukuba besucht hat. Die wiederum arbeitet eng mit der Bochumer Ruhr-Universität zusammen. Auch diese Kontakte möchte der VfL in seinem Interesse nutzen.

Nicht zuletzt sollen die Fußballliebhaber rund um Tokio auch stets über die Entwicklungen an der Castroper Straße informiert bleiben. Der VfL plant deshalb den Aufbau von Social-Media-Kanälen in japanischer Sprache, vorrangig über Instagram und die Plattform X (ehemals Twitter). Neben Takuma Asano kann dabei noch ein weiterer Bochumer ein Türöffner sein. Auch Maskottchen Bobbi Bolzer erfreute sich bei der Delegationsreise besonderer Beliebtheit. Im Land der Animes gar nicht so verwunderlich. 

Dieser Text ist zuerst im VfL-Heft des Bochumer 3Satz-Verlags erschienen. Auf mehr als 100 Seiten bietet das Magazin ausführliche Interviews, viele Porträts und interessante Hintergrundgeschichten. Gedruckte Exemplare sind kostenlos an vielen Stellen im Bochumer Stadtgebiet oder direkt beim 3Satz-Verlag (Alte Hattinger Str. 29) zu bekommen. Nachfolgend steht das Magazin auch als PDF-Download bereit.

Debatte

VfL-Kolumne: Das war ganz großes Tennis!

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Die anhaltenden Fanproteste.

Wer vor 30 Jahren auf die Welt gekommen ist, hat genau drei Siege des VfL Bochum gegen den FC Bayern miterlebt: 2004, als Peter Madsen Oliver Kahn umkurvte. 2022, als vier Tore in einer Halbzeit gelangen. Und nun 2024, als das Team von Thomas Letsch den Rekordmeister leidenschaftlich niederrang. Das war ganz großes Tennis!

Gefühlt war der Erfolg an diesem Sonntagabend allerdings nicht ganz so überraschend wie der vor zwei Jahren. Seinerzeit war der VfL frisch in die Bundesliga zurückgekehrt, ein Erfolg gegen den großen Favoriten schien quasi unmöglich. Und nun? Ja, Bochum war erneut klarer Außenseiter. Angesichts der eigenen Heimstärke und der Krise in München dachten sich viele Fans aber schon im Vorfeld: Wenn nicht jetzt die Bayern schlagen, wann dann?

Leider wird der emotional so besondere und tabellarisch so wichtige Erfolg von den Fanprotesten gegen die Investorenpläne der DFL überschattet. Die Ultras und ihre Unterstützer zeigen weiter eine bemerkenswerte Kreativität und Konsequenz. Selbst wer ihr Ansinnen nicht teilt, wird zugeben müssen, dass die Proteste bestens durchdacht sind, weil sie für maximale Aufmerksamkeit sorgen. Ganz geschickt werden die Grenzen des Erlaubten ausgereizt.

Ein generelles Ende der Proteste ist aktuell nicht in Sicht. Gelöst werden muss das Problem ohnehin ligaweit. Im Grunde gibt es nur zwei Optionen: Entweder einigen sich die Klubs der DFL auf eine Neuabstimmung, also auf das, was die Kritiker gerade fordern. Oder die Vereine verbannen die Störer aus den Stadien, was am Sonntag bereits einige Zuschauer lautstark gefordert haben. Wobei es noch nie eine gute Idee war, unliebsame Stimmen mundtot zu machen, zumal die Ultras im Kern für eine gute Sache kämpfen – gegen die fortschreitende Kommerzialisierung. Also eine Neuabstimmung mit voller Transparenz? Ungewiss, ob alle Fangruppen das neue Ergebnis dann automatisch akzeptieren würden.

Was völlig untergeht in der Debatte, ist die Position der übrigen Stadionbesucher. „Fußball gehört den Fans“, stand am Sonntag auf einem Banner in der Ostkurve. Doch welchen Fußball die Mehrheit bevorzugt, mit oder ohne Investoren, darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.

(Die nachfolgende Umfrage erhebt nicht den Anspruch auf ein repräsentatives Meinungsbild.)

Ich finde die Proteste gegen die Investorenpläne der DFL...

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(Foto: Imago / Nordphoto)

Debatte

VfL-Kolumne: Warum es am Sonntag kein 0:7 geben wird

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Das Heimspiel gegen die Bayern.

Die Quoten der Buchmacher überraschen. Wer auf ein Unentschieden beim Duell zwischen dem VfL Bochum und dem FC Bayern München am kommenden Sonntag setzt, kann seinen Einsatz mehr als verfünffachen. Wohlgemerkt: Der Revierklub hat in dieser Saison fast jedes zweite Spiel mit einer Punkteteilung abgeschlossen.

Der VfL ist berechenbarer geworden – was eindeutig positiv gemeint ist. Die teils extremen Ausschläge nach unten, die es in der vergangenen Saison noch häufiger und regelmäßig auch gegen Tabellennachbarn gab, haben sich auf ein Minimum reduziert. Nur zu Saisonbeginn gab es sie noch, beim 0:5 in Stuttgart, beim 1:3 gegen Mönchengladbach – und natürlich beim 0:7 in München. Gleich dreimal hat der VfL seit dem Wiederaufstieg in genau dieser Höhe gegen den Rekordmeister verloren. Die Furcht davor, dass sich ein solches Ergebnis wiederholt, lässt sich nicht leugnen.

Allerdings deutet derzeit nichts auf ein neuerliches Debakel hin. Zum einen: Die Bayern schwächeln gerade, sind in der Bundesliga nur noch Zweiter, haben nicht nur gegen Leverkusen, sondern zu Jahresbeginn auch gegen Bremen verloren – ein Team, das sich fast auf Augenhöhe mit dem VfL befindet. Zum anderen: Die Bochumer haben sich deutlich stabilisiert. Nur vier der letzten 15 Begegnungen gingen verloren, selbst gegen Top-Klubs wie Dortmund, Stuttgart oder Frankfurt gab es längere Spielphasen auf Augenhöhe, sogar Phasen der Überlegenheit. Nimmt man die Ergebnisse seit Oktober als Grundlage, dann haben nur drei Mannschaften weniger Gegentore kassiert als das Team von Trainer Thomas Letsch. Spiele, die viele Fans aus der Fassung brachten und an der grundsätzlichen Leistungsfähigkeit dieser Mannschaft zweifeln ließen, liegen schon länger zurück.

Wenn der VfL gegen die Bayern nicht so blind ins Verderben rennt wie noch im Hinspiel, dann wird er sich gegen das Starensemble mindestens achtbar schlagen, an einem sehr guten Tag vielleicht sogar etwas Zählbares mitnehmen. Mit dem elften Unentschieden der Saison könnte in Bochum sicher jeder gut leben.


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(Foto: Marc Niemeyer)

1:1 in Frankfurt

Remis-Könige aus Bochum: Fürchterlich und faszinierend

Wenn die Heimfans bei einem Auswärtsspiel des VfL ihre eigene Mannschaft auspfeifen, dann haben die Bochumer offensichtlich etwas richtig gemacht. Beim 1:1 am Samstagnachmittag waren die Gäste phasenweise die stärkere Mannschaft, hatten insbesondere in der ersten Halbzeit die besseren Chancen. Doch erneut trat die Bochumer Abschlussschwäche zutage, insbesondere bei Matus Bero. Der Slowake vergab schon früh in der Partie aus aussichtsreicher Position, in der zweiten Halbzeit scheiterte Takuma Asano gleich doppelt an Frankfurts Ersatzkeeper Jens Grahl. Fünf Spiele hat der VfL in diesem Kalenderjahr nun absolviert, fünfmal gab es exakt einen Treffer, dreimal ein 1:1. Mit zehn Unentschieden nach 21 Spielen kommen die Remis-Könige der Liga aus Bochum. „Fürchterlich“ findet Trainer Thomas Letsch diese Punkteteilungen, zitierte ihn WAZ am Sonntag.

Angreifer Broschinski trifft erneut

Obgleich er mit dem Unentschieden in Frankfurt besser leben konnte als mit dem 1:1 daheim gegen Bremen oder Augsburg. „Direkt nach dem Spiel hat es sich so angefühlt, als ob noch mehr drin gewesen wäre“, sagte Letsch in der Pressekonferenz. „Wenn ich es mit etwas Abstand betrachte, war es eine sehr wilde zweite Halbzeit, die in beide Richtungen hätte kippen können.“ Faszinierend für die Zuschauer, für den Trainer jedoch weniger. Zumal die Gastgeber nach dem Seitenwechsel die besseren Chancen hatten, die Bochumer wankten. In den ersten 45 Minuten sowie am Ende war hingegen der VfL das stärkere Team. Trotzdem ging die Eintracht zunächst in Führung, Moritz Broschinski sorgte im direkten Gegenzug aber für den Ausgleich. Bochums jüngster Mittelstürmer traf schon zuletzt gegen Augsburg; Goncalo Paciencia und Philipp Hofmann hat er vorerst verdrängt.

Letsch hadert mit Chancenverwertung

Broschinski stürmte in Frankfurt gemeinsam mit Rückkehrer Takuma Asano anstelle von Christopher Antwi-Adjei, in der Abwehr erhielt Keven Schlotterbeck den Vorzug vor Erhan Masovic. Weil beim VfL nur Ersatzkeeper Michael Esser und Jungprofi Mohammed Tolba fehlten, konnte Thomas Letsch seine vermeintlich beste Elf ins Rennen schicken. Dass er nur eine von fünf Wechseloptionen nutzte, erklärte der Trainer später wie folgt: „Ich hatte das Gefühl, dass es schwer gewesen wäre in dieses intensive Spiel reinzukommen.“ Zuletzt hatte Letsch deutliche Selbstkritik an seinen defensiven Wechseln im Heimspiel gegen Augsburg geübt. Diesmal behielt er die Spielstruktur bei. In dieser Konstellation setzte der VfL sogar noch zur Schlussoffensive an – jedoch ohne Torerfolg. „Da muss auch mal einer über die Linie gehen“, haderte Letsch erneut mit der Chancenverwertung.

Ohne Bero gegen Bayern München

Ansonsten konnten die Bochumer zufrieden sein. Mit ihrer mutigen, aggressiven und sehr mannorientierten Art zu verteidigen, nahmen sie dem Europapokal-Teilnehmer aus Hessen die Spielfreude, sorgten für ein lebendiges und spannendes Duell, das leistungsgerecht keinen Sieger mehr fand. Den Trend hat der Revierklub damit bestätigt: 19 Gegentore kassierte der VfL in den ersten sechs Spielen dieser Saison, 20 in den nachfolgenden 15 Partien. Die Defensive hat sich deutlich stabilisiert und dürfte sich auch nicht mehr vor der Offensive des FC Bayern fürchten. Der frustrierte und angeschlagene Tabellenzweite ist am kommenden Sonntag in Bochum zu Gast. Nach dem 0:7 im Hinspiel brennt der VfL gegen die Münchner auf eine Revanche. Auf einen seiner Stammspieler muss Thomas Letsch dann aber verzichten. Matus Bero sah in Frankfurt die fünfte Gelbe Karte.


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(Foto: Imago / Kessler-Sportfotografie)

Personalie

Der Königstransfer: Brasilianer Bernardo begeistert Bochum

Thomas Letsch ist Realist. Bochums Coach weiß, dass er seinen Spieler Bernardo wahrscheinlich gar nicht trainieren würde, wenn dieser in seiner Karriere nicht von Verletzungen ausgebremst worden wäre. „Er hatte immer wieder Pech. Sonst glaube ich nicht, dass er für Bochum spielen würde“, sagte der Fußballlehrer vor einigen Monaten über den Defensivspezialisten aus Brasilien, der nicht nur seinen Chef begeistert. Auch im Umfeld und bei den übrigen Verantwortlichen herrscht Einigkeit: Bernardo ist der Königstransfer in diesem Jahr. „Bernardo ist ein Zweikampfmonster“, lobt Letsch. „Es ist für seine Gegenspieler extrem unangenehm gegen ihn zu spielen. Wenn du glaubst, du bist an ihm vorbei, steht er plötzlich wieder vor dir.“ Die Statistik gibt dem Trainer Recht: Mit 263 gewonnenen Zweikämpfen belegt Bernardo ligaweit Platz eins in dieser Statistik.

Noch kein Pflichtspiel verpasst

Damit ist der 28-Jährige logischerweise unumstrittener Stammspieler in Bochum. Nach seiner Verpflichtung Anfang August rückte der erfahrene Verteidiger prompt in die Startelf und verpasste bislang nur einziges Pflichtspiel – zuletzt in Dortmund wegen einer Gelbsperre. Von allen Feldspielern ist er derjenige mit den meisten Einsatzminuten, dahinter folgen Anthony Losilla, Kevin Stöger und Erhan Masovic. Bernardo Fernandes da Silva Junior „hat von Anfang an gezeigt, dass er mit seiner internationalen Erfahrung eine große Verstärkung für uns ist“, betont Thomas Letsch. Enttäuscht habe sein Schützling nur beim Auswärtsspiel in München, „aber da waren alle schlecht.“ Diese Konstanz sei der Grund dafür, „warum Bernardo immer gespielt hat.“ Anfang Dezember im Heimspiel gegen Wolfsburg gelang ihm sogar sein erstes Tor im VfL-Trikot.

Sein Vater spielte für den FC Bayern

Seinen ersten Bundesliga-Treffer erzielte Bernardo bereits sechs Jahre zuvor im Trikot von RB Leipzig. Für den finanzstarken Emporkömmling spielte der Linksfuß zwischen 2016 und 2018 in Deutschlands Eliteklasse; bis heute der Höhepunkt in Bernardos Karriere, die in Brasiliens Millionenmetropole Sao Paolo begann. Das fußballerische Gen bekam er in die Wiege gelegt, bereits sein Vater war Profi und spielte unter anderem für den FC Bayern München, allerdings nur kurz Anfang der 90er-Jahre.


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Bernardo Junior hingegen landete im Alter von 21 Jahren bei RB Salzburg. In Österreich gewann er mehrere nationale Titel und wechselte innerhalb der RB-Welt zum damaligen Bundesliga-Aufsteiger Leipzig. Nach 40 Spielen dort zog er weiter zu Brighton & Hove Albion in die englische Premier League, wo er zwar regelmäßig spielte, aber auch häufiger verletzt war. 2021 ging es zurück nach Salzburg. Dort wie auch in Leipzig spielte Bernardo sogar in der Champions League. In Salzburg lernte er bereits Thomas Letsch kennen, der seinerzeit das Farmteam in Liefering trainierte. Dort musste sich Bernardo auch vor seinem Wechsel nach Bochum fithalten, nachdem er einer Verjüngungskur zum Opfer fiel und seinen Kaderplatz verlor. Der VfL freute sich darüber, legte dem Verteidiger Anfang August einen Zweijahresvertrag inklusive Verlängerungsoption vor und musste den Salzburgern lediglich eine Ablöse im mittleren sechsstelligen Bereich überweisen.

Defensivallrounder ohne Starallüren

Trotz fehlender Spielpraxis erkämpfte sich der Brasilianer sofort einen Platz in der Bochumer Mannschaft. Zunächst überzeugte Bernardo als linker Innenverteidiger in der Dreierkette. Mit der Systemumstellung Anfang November glänzte er aber auch als linker Außenverteidiger in der Viererkette. „Wir haben ein bisschen Zeit gebraucht, die richtige Formation zu finden“, gibt der Routinier freimütig zu. „Vor der Winterpause sind wir deutlich stabiler geworden und können zufrieden sein.“ Seinen Wechsel nach Bochum in den Abstiegskampf der Bundesliga bereut er keineswegs, im Gegenteil: „Ich fühle mich sehr wohl in Bochum. Wir haben eine sehr gute Mannschaft mit super Fans“, erzählt Bernardo, der die deutsche Sprache gut beherrscht, nicht mit Starallüren auffällt und generell ein freundlicher Zeitgenosse ist. „Ich bin glücklich, wieder in der Bundesliga zu sein. Hier kann in jedem Spiel alles passieren, vielleicht mit Ausnahme der Spitzenteams.“

Was der VfL in dieser Saison bereits schmerzlich erfahren musste. Die höchsten Niederlagen gab es in Leverkusen, München und Stuttgart. Bernardo ist trotzdem begeistert: „Die Bundesliga zählt zu den drei besten Ligen der Welt. Das Besondere ist die Stimmung in den Stadien. Die Fans sind einfach verrückt, positiv gemeint. Das gibt mir immer noch mehr Energie auf dem Platz.“ Seine Leistungen bestätigen das.

Dieser Text ist zuerst im VfL-Heft des Bochumer 3Satz-Verlags erschienen. Auf 116 Seiten bietet das Magazin mehrere Interviews, viele Porträts und interessante Hintergrundgeschichten. Gedruckte Exemplare sind kostenlos an vielen Stellen im Bochumer Stadtgebiet oder direkt beim 3Satz-Verlag (Alte Hattinger Str. 29) zu bekommen.

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Debatte

VfL-Kolumne: Ein Fußballspiel dauert länger als 90 Minuten

Die VfL-Kolumne ist ein Format auf Tief im Westen – Das VfL-Magazin. Immer zu Wochenbeginn gibt es einen kurzen Kommentar zu einem ausgewählten Thema – zum sportlichen Geschehen an der Castroper Straße oder zum Drumherum. Die Regel: Maximal 1.848 Buchstaben. Das Ziel: Diskussionen anzustoßen. Das Thema heute: Lange Spielunterbrechungen.

Um 17.30 Uhr entspannt im Zug oder der Kneipe sitzen? Oder um 18 Uhr bereits daheim bei den Kindern sein? Wird schwierig. Denn Bundesliga-Spiele, die samstags um 15.30 Uhr angepfiffen werden, enden keinesfalls um 17.15 Uhr. Für die Überlänge gibt es gleich mehrere Gründe.

Grund eins: Eine immer längere Nachspielzeit. Unter anderem deshalb, weil die Schiedsrichter strittige Szenen am Monitor überprüfen. Das wäre grundsätzlich vertretbar, wenn es den Fußball gerechter machen würde. Aber ist das wirklich der Fall? Auch der VfL fühlte sich in dieser Saison trotz vorhandener Hilfsmittel schon ungerecht behandelt, weil glasklare Fehlentscheidungen nicht korrigiert wurden.

Grund zwei: Der Streit um die Zaunfahnen. Gegen Stuttgart dauerte die Halbzeitpause fast eine Stunde. Und auch gegen Augsburg gab es wieder Stress vor der Gästekurve. Trotz verschärfter Ansagen seitens der Stadt und des VfL hing eine Zaunfahne der Augsburger zunächst zu niedrig. Das bemerkten die zuständigen Mitarbeiter dieses Mal aber halbwegs rechtzeitig und fanden im Gespräch mit den Ultras aus Augsburg noch vor dem Anpfiff einen Kompromiss. Allerdings: Weil sie während des Spiels ein weiteres Banner ausrollten, war das Fluchttor wieder verdeckt. Ordner eilten zum Gästeblock, die Fanbeauftragten diskutierten, der Bochumer Sicherheitsbeauftragte informierte bereits den Vierten Offiziellen. Hätten die Augsburger zur Pause keine Einsicht gezeigt, hätte die zweite Halbzeit sicher nicht begonnen. Es ist anzunehmen, dass dies nicht der letzte Streit um ein bemaltes Stück Stoff war.

Grund drei: Die Fanproteste gegen die Investorenpläne der DFL. In Bochum flogen am Wochenende mehrfach Tennisbälle aufs Spielfeld, in den Wochen zuvor Flummis oder Schokomünzen. Auch das führt zu Verzögerungen, bei der Hertha in Berlin waren es sogar fast 30 Minuten. Und ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht.

Die Quintessenz lautet also: Ein Fußballspiel dauert länger als 90 Minuten. Das ist übrigens nicht nur ein guter Hinweis für alle Fans – sondern auch für die Bochumer Mannschaft.


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