Kaum eine Mitgliederversammlung in den vergangenen Jahren verging, ohne dass sich ein Fan des VfL Bochum nach einer möglichen Rückkehr der U23 erkundigt hat. Doch ganz gleich, wer auf dem Podium saß und die Verantwortung trug, die Antwort war immer gleich: Wenn der VfL die im Jahr 2015 vom Spielbetrieb abgemeldete U23 wieder einführen würde, dann müsse das neue Team in der Kreisliga C starten. Doch diese Information ist nicht korrekt. Leser und VfL-Fan Moritz Zipser gab den entscheidenden Hinweis, weiterführende Recherchen von Tief im Westen – Das VfL-Magazin ergaben das gleiche Ergebnis. Der VfL könnte ein Team in der Westfalenliga melden. Dies bestätigte der zuständige Fußball- und Leichtathletik-Verband (FLVW) auf Anfrage.
Demnach hat der FLVW sogar schon im Jahr 2018 eine entsprechende Sonderregelung für den Spielbetrieb von U23-Mannschaften beschlossen. Offensichtlich war der VfL über Jahre hinweg falsch informiert. Denn die Statuten des Verbandes sehen eine Regelung vor, dass die Wiedereingliederung einer U23 nicht in der untersten Spielklasse erfolgen muss. „Eine zurückgezogene U23 wird bei Neuanmeldung immer eine Spielklasse unter der Ausstiegsklasse eingruppiert, höchstens jedoch der Oberliga Westfalen. Als Ausstiegsklasse wird diese zugrunde gelegt, welche die Mannschaft nach Rückzug, inklusive Auf- bzw. Abstieg, in der darauffolgenden Saison belegt hätte“, schreibt der FLVW.
Heißt konkret: Der VfL Bochum hatte für die Saison 15/16 keine U23 mehr gemeldet und beendete die Saison 14/15 in der Regionalliga West auf einem Abstiegsplatz. Somit ist die Ausstiegsklasse die Oberliga Westfalen und die mögliche Wiedereinstiegsklasse die sechstklassige Westfalenliga. Der Antrag auf Wiedereingliederung muss dem Verband bis zum 15. April eines Jahres vorliegen. Veränderte Vorzeichen also, von denen die Klubführung mittlerweile weiß. Wobei es nach Informationen von Tief im Westen – Das VfL-Magazin zumindest aktuell keine konkreten Pläne gibt, eine Bochumer U23 wieder einzuführen.
Wenige Talente brauchten Zwischenschritt
Die Lage ist schließlich komplex. Was dafür spräche: Talente könnten in Ruhe und auf Wettkampfniveau an den Profifußball herangeführt werden, Reservisten der Bundesliga-Mannschaft zudem Spielpraxis erhalten. Die allermeisten Spieler haben den VfL Bochum in den vergangenen Jahren nach der U19 verlassen, auch weil dem Verein ein Zwischenbau fehlte. Womöglich haben sich sogar schon in früheren Altersklassen Talente gegen den VfL entschieden, weil er im Gegensatz zu den umliegenden Klubs keine U23 hat. Bis auf Bayer Leverkusen haben alle Profi-Klubs aus NRW ihre U23 behalten. Eintracht Frankfurt aus Hessen mit Ex-VfL-Nachwuchsleiter Alexander Richter hat das Team sogar wiedereingeführt.
Allerdings: Die Liste derer, die in den vergangenen Jahren womöglich von einer U23 profitiert hätten, ist beim VfL ziemlich kurz. Im Grunde sind es nur drei Spieler, die bei einem anderen Klub durchgestartet sind und das Potenzial hätten, dem VfL derzeit auch in der Bundesliga zu helfen: Evangelos Pavlidis, der mittlerweile in der niederländischen Eredivisie glänzt, Atakan Karazor, derzeit Stammspieler beim VfB Stuttgart, und Tjark Ernst, der sich mangels U23 für einen Wechsel zu Hertha BSC entschieden hat, und beim Hauptstadtklub nun das Zweitliga-Tor hütet. Mit Abstrichen ist auch Niclas Thiede zu nennen, der nach Zwischenstationen in der 3. Liga nun nach Bochum zurückgekehrt ist.
Top-Talente wie Armel Bella Kotchap und Maxim Leitsch hingegen haben den Sprung in die Profimannschaft auf direktem Wege erreicht. Andere wiederum – wie zum Beispiel Tom Baack, Görkem Saglam oder Lars Holtkamp, die einst als Hoffnungsträger gehandelt wurden – schafften den Durchbruch auch woanders nicht. Das war schließlich auch der Erklärungsansatz von Christian Hochstätter, damals Sportvorstand des VfL Bochum und maßgeblich für die Abmeldung der U23 verantwortlich: „In den vergangenen Jahren (also vor 2015, Anm. d. Red.) hat sich gezeigt, dass aus unserer Zweiten Mannschaft – mit Ausnahme der Torhüter – zu wenige Talente den Sprung in den Profikader geschafft haben, wohingegen die talentiertesten Spieler aus der U19 den direkten Weg zu den Lizenzspielern gegangen sind.“
Regionalliga frühestens im vierten Jahr
Würde sich die Wiedereinführung einer neuen U23 also überhaupt lohnen? Damit der Abstand zwischen Profimannschaft und Reserve nicht zu groß wäre, müsste der VfL perspektivisch mindestens in der Regionalliga spielen. Der finanzielle Aufwand läge klar im siebenstelligen Bereich. Das Geld wäre heute eher vorhanden als vor acht Jahren, als die U23 aus wirtschaftlichen Gründen eingestampft wurde. Allerdings müsste der VfL wie auch damals einen kompletten Kader inklusive Trainer- und Betreuerstab beschäftigen, obwohl klar ist, dass allerhöchstens ein kleiner Teil des Teams das Potenzial hätte, eines Tages auch den Profis zu helfen.
Erschwerend käme hinzu, dass im ersten Jahr der Wiedereingliederung laut Statuten kein Aufstieg möglich wäre. Der VfL müsste somit mindestens zwei Jahre in der Westfalenliga und mindestens ein weiteres Jahr in der Oberliga spielen, bevor die Bochumer in der Regionalliga angekommen wären – vorausgesetzt, sportlich läuft alles nach Plan und der Doppel-Aufstieg gelingt im ersten Anlauf. Ein Team zusammenzustellen, das bereit ist, diesen Weg mitzugehen, dürfte eine Herausforderung werden. Wegen der Altersgrenze würden nämlich diejenigen, die in der neuen U23 starten, nicht mehr selbst von einer späteren Regionalliga-Rückkehr profitieren.
VfL setzt auf neues Perspektivteam
Die Verantwortlichen haben ohnehin schon andere Wege identifiziert, um die Talentförderung zu stärken. Eigengewächse mit Profivertrag, die nicht auf Anhieb in der Bundesliga durchstarten, können sich entweder für eine Leihe zu einem anderen Klub oder aber für Spielpraxis in der neuen U21-Testspielmannschaft entscheiden. Auf Leihbasis hat Paul Grave den VfL Bochum in diesem Sommer verlassen, im vergangenen Jahr waren es Moritz Römling, Tim Oermann und Luis Hartwig. Der Nachteil: Der VfL hat die Entwicklung vorübergehend nicht mehr in der eigenen Hand, der Vorteil: Sie können oft höher als in der Regionalliga spielen.
Bleiben Jungprofis indes beim VfL, finden sie im neuen Perspektivteam einen Platz, das aus den Top-Talenten der U19, U17 und U16 sowie aus Jungprofis der Bundesliga-Mannschaft besteht. Diese U21 wird durch zusätzliche Trainingseinheiten gefördert, zudem soll sie Testspiele gegen Mannschaften aus dem Herrenbereich absolvieren. Zwei Partien gab es zuletzt schon: Gegen den Oberligisten Türkspor Dortmund, das der VfL überraschend hoch mit 12:1 gewann, und gegen die ebenfalls fünftklassige U23 von Preußen Münster, Endstand 5:1.
„Wir haben intensiv darüber nachgedacht, wie wir unseren Ausbildungsgedanken optimieren können“, erläutert Sport-Geschäftsführer Patrick Fabian die Strategie. „Ziel ist es, unsere Top-Talente sowie die Jungprofis durch Spiel- und Wettkampfpraxis auf ein höheres Leistungslevel zu heben. Die zusätzlichen Trainingseinheiten unter Profibedingungen an der Schnittstelle zur Lizenzmannschaft sollen den Spielern aus dem Talentwerk einen Anreiz bieten, dem Profitraum näher zu kommen. Die Spiele sollen zudem bei unseren Talenten ein Bewusstsein dafür schaffen, was Intensität, Körperlichkeit und Zweikampfverhalten im Herrenbereich bedeuten.“ Die Leitung des Projekts haben David Siebers (Trainer U17), Marc-Andre Kruska (Co-Trainer U19) sowie Frank Heinemann (Co-Trainer Profis) übernommen.
Ihr wollt das VfL-Magazin einmalig oder dauerhaft unterstützen? Nutzt dafür gerne die unkomplizierte Zahlungsoption via PayPal. Danke, dass ihr Berichterstattung dieser Art auch in Zukunft möglich macht.
(Foto: Imago / RHR-Foto)