Stürmer ist begehrt

Ganvoula zu Ajax? Gerüchte treiben den Preis nach oben

Genüsslich dürfte sich VfL-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz jeden Morgen entspannt zurücklehnen, wenn er den Pressespiegel des Vereins oder einfach nur den Messenger-Dienst auf seinem Smartphone öffnet. Praktisch täglich wird er über neue Transfergerüchte informiert. Im Mittelpunkt des Interesses: Angreifer Silvere Ganvoula. Der 23-Jährige soll bei mehreren Klubs im In- und Ausland auf dem Wunschzettel stehen.

Was davon wirklich stimmt, lässt sich in den meisten Fällen kaum überprüfen. Transfergerüchte verselbstständigen sich oft binnen weniger Stunden – vor allem dann, wenn ihr Ursprung in anderen Ländern oder gar auf anderen Kontinenten liegt. Doch das ist für Schindzielorz und den VfL gar nicht so entscheidend. Zwar bringt jede Meldung auch ein bisschen Unruhe in den Klub, doch der Manager weiß: Es treibt den Preis für einen möglichen Verkauf nach oben.

26 Spiele, 13 Treffer

Zumal die Liste mit den Vereinen, die an einer Verpflichtung von Silvere Ganvoula interessiert sein sollen, immer länger wird. Im Winter wurde noch über einen Transfer zum VfB Stuttgart spekuliert, in der Corona-Pause war Hannover 96 im Gespräch. Vor wenigen Tagen wurde auch Bundesligist Mainz 05 in den illustren Kreis möglicher Interessenten aufgenommen. Zu denen zählen jetzt auch Fortuna Düsseldorf, Schalke 04 und aus dem Ausland der FC Villarreal, Besiktas Istanbul und Ajax Amsterdam, wie verschiedenen Medien berichten.

Doch will der VfL seinen Top-Torjäger und einzigen echten Mittelstürmer überhaupt verkaufen? Nach 26 Ligaspielen stehen 13 Treffer und sechs direkte Torvorlagen in der Bilanz. Ganvoula überzeugt mit seiner Gefahr im gegnerischen Strafraum, mit seiner Schnelligkeit, Kopfballstärke und körperlichen Wucht. Schwächen zeigt er bisweilen im Umgang mit dem Ball und bei der Umsetzung aller Defensivaufgaben. Hinzu kommt, dass Ganvoula mitunter etwas kopflos agiert, nicht immer ist er voll bei der Sache. Das gilt nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz.

Vertrag bis 2023

Trotz dessen überwiegen für den VfL derzeit die Vorzüge. Und die Verhandlungsposition könnte komfortabler kaum sein: Ganvoula, der zunächst für ein Jahr ausgeliehen war und dann fest verpflichtet wurde, besitzt in Bochum noch einen Vertrag bis zum Sommer 2023 – ohne Ausstiegsklausel Manager Schindzielorz ist also nicht dazu gezwungen, seinen Stürmer schon in diesem Jahr zu verkaufen – und wenn, dann nur gegen eine hohe Ablöse.  

Dass diese jedoch im zweistelligen Millionenbereich liegen könnte, wie hier und da kolportiert wird, ist trotz der zahlreichen Bewerber eher unwahrscheinlich – zumal die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise für viele Klubs noch nicht abzusehen sind. Außerdem dürfte der VfL nicht die gesamte Summe für sich behalten. Der RSC Anderlecht, wo Ganvoula vor dem Wechsel nach Bochum gespielt hat, soll im geringen Maße an einem Weiterverkauf beteiligt sein.  

(Foto: Imago / eu-images)

Losilla und Tesche

Bochums Doppelsechs: Noch ein Jahr – und dann?

17 Saisoneinsätze haben gereicht, um ein weiteres Jahr dranzuhängen: Robert Tesche wird dem VfL Bochum auch über den Sommer hinaus erhalten bleiben. Sein Vertrag hat sich automatisch bis zum Juni 2021 verlängert. Der defensive Mittelfeldspieler gilt als Musterprofi – als pflegeleichter Teamplayer, wenn er nicht spielen darf und als zuverlässiger Ruhepol, wenn er auf dem Feld steht. Tesche zählt unter Trainer Thomas Reis zum Stammpersonal. In wenigen Tagen feiert er seinen 33. Geburtstag.

Der VfL Bochum setzt damit weiter auf viel Routine vor der Abwehrreihe. „Robert ist mit seiner Erfahrung ein wichtiger Bestandteil unserer Mannschaft“, sagt Manager Sebastian Schindzielorz. „Er ist in schwierigen Zeiten stets vorangegangen, weshalb wir froh sind, dass er in der kommenden Saison weiter zum Team gehört.“ Auch Anthony Losilla bleibt bis 2021 beim VfL. Das Duo überzeugte zuletzt mit Übersicht, Engagement und Abgeklärtheit.

Heute schon an Morgen denken

Zunächst ist es also durchaus logisch, dass beide dem VfL noch erhalten bleiben. Hinausgezögert ist damit aber auch die Frage nach der Perspektive. Schafft es der VfL trotzdem, zwei Nachfolger für diese zentrale Position aufzubauen? Zu den großen Schwächen von Losilla und Tesche zählt schon heute die fehlende Dynamik – das macht sich im Bochumer Spiel immer wieder bemerkbar. Bei Ex-Trainer Robin Dutt war Tesche sogar schon aufs Abstellgleis geraten, erst Reis reaktivierte ihn wieder.

Das Problem: Viel Spielraum für einen weiteren Sechser, vor allem wirtschaftlich betrachtet, wird es im Sommer nicht geben. Denn auch Vitaly Janelt und Thomas Eisfeld sind noch ein weiteres Jahr an den VfL gebunden; sie spielen ebenfalls im defensiven Mittelfeld. Janelt gilt seit seiner Verpflichtung als Hoffnungsträger, ist talentiert, macht aber noch zu wenig aus seinen Möglichkeiten. Immerhin zählt er unter Thomas Reis zum erweiterten Stammpersonal.

Holtkamp empfiehlt sich

Das kann Eisfeld nicht von sich behaupten. Im Oktober hat er sein letztes Pflichtspiel absolviert, seine Weiterentwicklung ist ins Stocken geraten. Die Erwartungen, die mit seiner Vertragsverlängerung vor zwei Jahren verbunden waren, hat er bislang nicht erfüllt. Offen ist, ob seine Zukunft tatsächlich noch beim VfL liegt. Wobei eine Trennung schwierig werden könnte: Eisfelds Vertrag ist gut dotiert, ähnliche Konditionen wird er in der Corona-Krise bei einem anderen Klub kaum aushandeln können.

Ein junger Hoffnungsträger für die Nachfolge von Tesche oder Losilla könnte also aus den eigenen Reihen kommen. Lars Holtkamp, der Kapitän der A-Jugend, verfügt über gute Anlagen, ist spiel- und zweikampfstark. Seit dem Jahreswechsel trainiert er regelmäßig bei den Profis mit. Der 18-Jährige empfiehlt sich für einen Lizenzspielervertrag, Gespräche laufen bereits. Beraten wird Holtkamp übrigens von Giovanni Federico, einem Ex-Spieler des VfL.

(Foto: Imago / Revierfoto)

2:1 gegen Kiel

Ungewohnte Höhenluft: VfL nähert sich Klassenerhalt

Ob der VfL Bochum mit so viel Höhenluft zurechtkommt? Nach dem 2:1-Heimerfolg gegen Holstein Kiel ist der Revierklub in der Tabelle auf Rang 10 vorgerückt – das ist die bislang beste Platzierung in dieser Saison. Seit sechs Spielen ist der VfL nun ohne Niederlage, nach der Corona-Pause gab es sieben von neun möglichen Punkten. Die ungewohnte Atmosphäre ohne Zuschauer scheint in Bochum niemanden zu bremsen. Wobei der Sieg am Mittwochabend ein eher glücklicher war.

Die Gäste zu Beginn stärker

Denn die Gäste aus dem hohen Norden waren zunächst die dynamischere und gierigere Mannschaft, der VfL dagegen zu statisch und nicht immer aufmerksam. Doch Kiel verpasste es in Führung zu gehen. Von den Hausherren war lange Zeit nichts zu sehen. Erst nach dem Seitenwechsel löste der VfL die Handbremse und zeigte, was eigentlich möglich ist. Zwei sauber vorgetragene Angriffe mündeten in der Bochumer Führung. „Beide Tore waren klasse herausgespielt“, lobte Trainer Thomas Reis später die gnadenlose Effektivität.

Der VfL übte endlich Druck auf den Gegner aus, nach der Balleroberung ging es schnell und präzise nach vorne. Erst schickte Milos Pantovic Jordi Osei-Tutu erfolgreich auf die Reise, eine Viertelstunde später war es der starke Robert Zulj, der den 13. Saisontreffer von Silvere Ganvoula und somit das 2:0 vorlegte. Bochums Angreifer agierte ansonsten eher kopflos, doch in dieser Szene war er zur Stelle. Sein Vorarbeiter wiederum überzeugte durchweg mit feinen Pässen, gefährlichen Standards und mutigen Distanzschüssen.

Zulj stark, Tesche schwach

Zulj war schon in der ersten Halbzeit der einzige, der beim VfL einen Hauch von Torgefahr verkörperte. „Kiel gehört fußballerisch zu den besten Teams der Liga. Uns hat ein bisschen der Zugriff gefehlt“, analysierte Thomas Reis und meinte damit sicher auch Stammkräfte wie Robert Tesche, der zur Pause in der Kabine blieb, oder Cristian Gamboa, der seine fünfte Gelbe Karte sah. Der Rechtsverteidiger ist somit für ein Spiel gesperrt. Die Laufbereitschaft sei nach der Pause ebenfalls gestiegen, lobte Reis sein Team.

Und das war dringend notwendig, denn die Gäste machten auch nach dem Rückstand weiter Druck und versteckten sich keineswegs. Speziell nach dem Anschlusstreffer infolge einer Ecke musste der VfL noch einmal zitterten. Vor allem in der Nachspielzeit brannte es im Bochumer Strafraum lichterloh. Unverdient wäre das 2:2 nicht gewesen. Darüber machte sich Bochums Trainer am Abend aber keine Gedanken mehr. Er freute sich über ein „kleines Poster“ von sechs Punkten zu den Abstiegsrängen.

Samstag weiter in Nürnberg

Auf Platz sechs sind es sogar nur noch drei Zähler Rückstand. Doch das zu erwähnen, ist fast schon riskant. Zwei Siege in Folge sind in dieser Saison noch nicht gelungen, die Mannschaft neigt zur schnellen Selbstzufriedenheit. Thomas Reis warnt deshalb vor zu viel Leichtsinn: „Ein, zwei Misserfolge würden dazu führen, dass wir wieder unten reinrutschen.“ Schließlich ist die halbe Liga noch vom Abstieg bedroht. Doch ohne Zweifel wäre ein Sieg in Nürnberg am Samstag ein großer Schritt in Richtung Klassenerhalt.  

(Foto: Poolfoto / Firo)

Hinter den Kulissen

Irgendwie surreal: So war es live beim Geisterspiel

Wie es wohl sein muss, 30 Jahre lang kein einziges Pflichtspiel zu verpassen – und plötzlich bleiben die Tore einfach zu. Kein Einlass, keine Chance. Bis nach Burghausen, Schweinfurt oder Meppen zu fahren, aber nicht ins eigene Stadion zu dürfen, ins Bochumer Ruhrstadion. Es muss schmerzen, in der Seele verdammt weh tun. Für die Fans, die ihrem Verein immer hinterherreisen, ist der Re-Start in der Bundesliga die Höchststrafe. Zwei von denen, die seit Jahrzehnten immer dabei sind, entdecke ich an diesem Samstag um kurz vor Zwölf an der Tankstelle am Stadion.

Wir kennen uns gut, grüßen uns auf Abstand, wechseln ein paar Worte. Zur Erinnerung mache ich ein Foto von den beiden. Im Hintergrund das Stadion, komplett umzäunt, menschenleer, ein paar Arbeiter reparieren die Oberleitung der Straßenbahn. Wo sonst tausende Fans ein- und aussteigen, mit Trikot, Schal und einem Bier, ist heute nichts los. Als wir uns verabschieden, habe ich ein schlechtes Gewissen. Sie wissen, dass ich gleich ins Stadion darf – und sie müssen draußen bleiben. Es ist ein Privileg, live dabei zu sein, das weiß ich, fühle mich als Zeitzeuge.

Millionen von Menschen im ganzen Land vermissen das, was ich heute erlebe. Ich überlege, wie ich mich verhalten soll. Sind Fotos auf Facebook oder WhatsApp angemessen? Ich glaube schon. Viele sind neugierig, auch für sie ist diese Reportage gedacht. Im Laufe des Tages erhalte ich so viele Nachrichten wie zuletzt an meinem Geburtstag. Wie ist die Atmosphäre, wollen die meisten wissen. Vermutlich eine rhetorische Frage. Vielleicht ist sie aber auch ernst gemeint. Woher sollen sie das auch wissen. Sie sitzen auf der Couch und fiebern mit, vermissen ihren Verein und ihre Freunde.

Irgendwie surreal

Immerhin: 10 Journalisten dürfen pro Spiel dabei sein, ligaweit, dazu drei Fotografen. Ich bekomme eine Karte, weil ich auch für den SID, eine bekannte Nachrichtenagentur, und für die Ruhr Nachrichten arbeite. Im Vorfeld gab es Verhaltensregeln und einen Fragebogen. Keine Anzeichen einer Erkrankung, bestätige ich mit meiner Unterschrift, auch kein Fieber, sagt der Ordner am Einlass, der mir ein Messgerät ans Ohr hält. Ich bekomme meine Arbeitskarte und bin drin, stehe auf dem fast menschenleeren Gelände hinter der Osttribüne und halte kurz inne.

Auch ich habe seit fast zehn Jahren kein Heimspiel verpasst, bin seit 2012 als Reporter akkreditiert. Dieser Tag wird in Erinnerung bleiben, irgendwie. Ich laufe weiter und grüße jeden, der mir begegnet. Viele sind es nicht. Maximal 200 Personen dürfen sich hier aufhalten. Ich bin früh da, einer der ersten. Ich kenne das Stadion auch menschenleer, etwa von Testspielen. Auch die fanden manchmal ohne Zuschauer statt. Daran fühle ich mich erinnert. Nur: Heute geht es um Punkte. Dieses Spiel zählt wie alle anderen, wie in der Zeit vor Corona. Noch immer geht es um den Klassenerhalt.

Eigentlich wäre an diesem Wochenende schon der letzte Spieltag, vielleicht das große Zittern auswärts in Hannover, doch jetzt geht die Saison erst wieder los – und niemand weiß, wie lange es funktionieren wird. Bevor es auf die Tribüne geht, desinfiziere ich meine Hände, zupfe noch einmal kurz an meinem Mundschutz. Ich stehe unter Beobachtung, Kameras sind überall. Ich bin kein Freund der Geisterspiele, sehe vieles kritisch in diesen Wochen. Doch neugierig bin ich natürlich schon. Ziemlich surreal das Ganze, sage ich zu einem Kollegen – natürlich mit reichlich Abstand.

Laufwege für Journalisten

Ilja Kaenzig, der Geschäftsführer des Klubs, stimmt mir zu. Mit einer Maske im VfL-Design läuft er gerade an mir vorbei. Er und sein Team haben alles dafür getan, dieses Spiel über die Bühne zu bringen. Und das gelingt ihnen. Not macht erfinderisch. Alles ist bestens organisiert, an jedes Detail gedacht. Überall gibt es Markierungen und Absperrungen, ein fester Platz ist mir zugewiesen, es gibt Namensschilder wie früher in der Schule. Unsere Laufwege sind mindestens so ausgefeilt wie die von Thomas Reis für seine Mannschaft. Bizarr, aber es funktioniert.

Im Stadion ist es weiter gespenstisch still. Wir führen nur die nötigsten Gespräche, die Stimmung war schon besser, auch auf der Pressetribüne. Hinter mir sitzt Günther Pohl. Er darf das Spiel live fürs Lokalradio kommentieren. Die Übertragung stand lange Zeit auf der Kippe, auch er hat seit 30 Jahren kein Spiel verpasst, doch so einen Tag hat er auch noch nicht erlebt. Der VfL verzichtet auf einen Stadionsprecher, Musik gibt es nicht. Vor dem Anpfiff läuft wenigstens die Hymne von Grönemeyer, aber nur kurz. Ein Hauch von Normalität, schnell wieder verflogen.

Währenddessen nehmen die Ersatzspieler auf der Tribüne Platz, auf der Bank wäre es zu eng. Auch sie tragen einen Mundschutz. Bilder, die sich einbrennen auf der inneren Festplatte. Das Konzept der DFL ist an einigen Stellen widersprüchlich und nicht zu Ende gedacht, doch das Grundprinzip verstehe ich so langsam: Wo es nur geht, Kontakte vermeiden. Die Kapitäne lachen derweil bei der Seitenwahl. Anthony Losilla blickt auf die leeren Ränge, überlegt kurz, in welche Richtung er zuerst stürmen möchte – am Ende zuckt er mit den Schultern. Ich bin froh, dass es losgeht.

Trainer, ich höre Sie

Der Fußball ist zurück, nach der Pause ist es das allererste Pflichtspiel. Nie war dieser Begriff passender als jetzt. Der VfL ist schnell auf Betriebstemperatur, schon früh fällt das 1:0. Die Spieler klatschen sich nur kurz ab, sie verhalten sich vorbildlich. Ein paar Vereinsmitarbeiter jubeln auf der Tribüne mit, das Präsidium ist auch da. Die übrigen Angestellten sitzen wenige Meter weiter in ihren Büros, dürfen das Stadion nicht betreten. Sie verpassen ein historisches Ereignis – und ein ansehnliches Fußballspiel. Denn Bochum zeigt die vielleicht beste Saisonleistung.

Zwischendurch lausche ich den Anweisungen der Trainer und Spieler. Thomas Reis ist eher still, er ist zufrieden. Endlich können ihn die Spieler verstehen, in einem vollen Stadion hätte er keine Chance. Die Profis kommunizieren auch, aber weniger als erwartet, nur Manuel Riemann ist ein echter Lautsprecher. Viel zu meckern hat er nicht. Die Partie ist flott, der VfL unerwartet souverän. Doch ein Vergleich fällt irgendwie schwer. Wie wäre das Spiel unter normalen Bedingungen verlaufen? Wir wissen es nicht, und vielleicht ist das auch gut so.

Kurz vor dem Abpfiff ruft die Agentur an, der Kollege braucht noch ein paar Infos. Die Zuschauerzahl wurde noch nicht angezeigt, scherze ich. Er lacht am anderen Ende der Leitung mit. Den Humor nicht zu verlieren, das ist wichtig in diesen Tagen. Das Spiel ist fast vorbei, das Ergebnis deutlich, der VfL gewinnt mit 3:0. Und tatsächlich: Es hat sich angefühlt wie ein echtes Fußballspiel, aber eher wie eines in der Verbandsliga, in einem viel zu großem Stadion, ganz frei von Emotionen. Es war sogar ziemlich entspannt, womöglich auch dem Spielverlauf geschuldet.

Fußball kostet Nerven

Nach dem Abpfiff verschwinde ich schnell. Normalerweise stünden jetzt noch Interviews an, später auch die Pressekonferenz. Der Medienraum wurde gar nicht erst geöffnet. Wir schicken Sprachnachrichten in eine WhatsApp-Gruppe, die Trainer hören rein und antworten. Das klappt wunderbar. Ein Hoch auf die moderne Technik, und die Mitarbeiter, die all das organisieren. Die Premiere war gut, abseits des Rasens wäre der VfL ein klarer Aufstiegskandidat. Als ich das Gelände verlasse, schnappe ich nach frischer Luft, der Mundschutz verschwindet.

Klar ist: Die Regeln im Stadion waren strenger als in der Öffentlichkeit. In der Stadt sehe ich später kleinere Gruppen, eng beieinander, ohne Masken. Doch zuvor entdecke ich noch einen der beiden Fans, die ich vor dem Spiel getroffen habe. Er sitzt auf seinem Fahrrad und macht ein paar Fotos. Sein Handy habe er während des Spiels ausgeschaltet und ein Buch gelesen, hoch oben auf dem Bochumer Tippelsberg, wenigstens mit einem Blick auf die Flutlichtmasten des Stadions. Kein Radio, kein Liveticker.

Das Ergebnis kennt er noch nicht, ich frage ihn, ob er es wissen möchte. Er nickt, ich berichte ihm. Freude zeigt er kaum, sein Schmerz sitzt immer noch tief. Ich lasse ihn allein, fahre nach Hause und arbeite weiter. Später am Abend, als ich meine Karte als Andenken in einer Kiste verstaue, bin ich mir wieder sicher: Es ist gut, dem Fußball als Fan entflohen zu sein, eine gesunde Distanz gefunden zu haben – und vorrangig Reporter zu sein. Deshalb auch zum Geisterspiel ins Stadion zu dürfen, ist schön, richtig fühlt es sich nicht an.

(Foto 1: Firo Pool / Eibner Pressefoto, Foto 2: Rentsch)

Bochum gegen Kiel

Blum und Zoller verletzt: Nutzt Weilandt die Chance?

Vor etwas mehr als einem Jahr war er noch der gefeierte Held. In der Vorsaison zählte Tom Weilandt zu den Leistungsträgern beim VfL Bochum. Neunmal traf der gebürtige Rostocker, und somit in jedem dritten Spiel. Weilandt wurde von zwei Bundesligisten umworben, hätte zum SC Freiburg oder zu Union Berlin gehen können. Doch er blieb in Bochum und verlängerte seinen Vertrag. Das Bekenntnis zum Verein war eindeutig, und das Verhältnis zu Ex-Trainer Robin Dutt ein durchaus inniges. Doch von der Euphorie ist wenig geblieben. Nur sechsmal gehörte der Mittelfeldspieler in dieser Spielzeit zur Startelf, ein Tor hat er noch nicht erzielt. Zuletzt blieb Weilandt allenfalls die Jokerrolle. Was ist los mit dem 28-Jährigen? Trainer Thomas Reis zeigt wenig Begeisterung, als er diese Frage hört.

Weilandt bislang außer Form

Eigentlich möchte er „lieber über die Spieler reden, die gerade gut drauf sind.“ Doch er macht keinen Hehl daraus, dass bei den Leistungen von Tom Weilandt „Licht und Schatten“ zu erkennen sei. Reis führt die Formschwäche seines Offensivspielers auch auf „kleinere Wehwehchen“ zurück, denn „grundsätzlich wissen wir, was er kann.“ Weilandt überzeugte in der Vergangenheit mit seiner guten Technik, sein Zweikampfverhalten war dagegen ausbaufähig. Nach der Corona-Pause gab es zwei Kurzeinsätze, wobei Reis gegen Karlsruhe schon eine Leistungssteigerung sah. Ob die allerdings für einen Startelfeinsatz gegen Weilandts Ex-Klub Holstein Kiel reicht, ist fraglich. Dabei ist der Bedarf an schnellen, torgefährlichen Flügelspielern noch einmal gestiegen. Denn beim zweiten Heimspiel ohne Zuschauer muss der VfL auf seine Leistungsträger Danny Blum und Simon Zoller verzichten.

Leistungsträger fehlen

Blum dürfte nach muskulären Problemen wohl erst Anfang Juni wieder bereit sein, Zoller sogar erst in der neuen Saison. Beim Auswärtsspiel in Karlsruhe zog er sich einen Teilriss des Außenbandes zu. „Der Ausfall wiegt schwer“, weiß Trainer Thomas Reis. „Jetzt können andere beweisen, dass sie zu Unrecht auf der Bank gesessen haben.“ Was eigentlich die Chance für Tom Weilandt wäre, hätte Milos Pantovic nach seiner frühen Einwechslung in Karlsruhe nicht überzeugt. Der ehemalige Jugendspieler des FC Bayern dürfte somit zur Startformation gehören, rechts wird Jordi Osei-Tutu eine neue Chance erhalten. Weitere Änderungen sind trotz der Englischen Woche eher nicht zu erwarten. Immerhin kehrt Vitaly Janelt in den Spieltagskader zurück.

(Foto: Poolfoto / Pressefoto Eibner)

3:0 gegen Heidenheim

Gespenstisch gut: VfL mit ganz viel Disziplin

Silvere Ganvoula tat so, als wären doch Zuschauer im Stadion. Nach dem 3:0-Heimerfolg gegen Heidenheim drehte er sich zur Fankurve und applaudierte. Nur zwei Ordner sahen ihm dabei zu – ein skurriler und zugleich trauriger Augenblick. Immerhin: Auch ohne die Anhänger vor Ort ist der Re-Start nach mehr als zwei Monaten Pause gelungen, der VfL hat einen ersten Schritt zum Klassenerhalt gemacht.

Gespenstisch gut war der Auftritt des VfL, dieser Kalauer sei erlaubt. Besonders erstaunlich: Die Bochumer verdienten sich die drei Punkte mit einer durchweg konzentrierten und über 90 Minuten souveränen Leistung. Das war vor der Zwangspause praktisch nie der Fall. Die bizarren Umstände, etwa die fehlenden Zuschauer, die Hygieneregeln und die kurze Vorbereitung haben die Spieler des VfL Bochum besser angenommen als der Aufstiegsaspirant aus Heidenheim.

Lob von Trainer Thomas Reis

„Sie war sehr fokussiert“, lobte Trainer Thomas Reis seine Mannschaft, „und ist so aufgetreten, wie es in einem Meisterschaftsspiel der Fall sein sollte.“ Von der Testspielatmosphäre im Stadion ließ sich beim VfL keiner irritieren. Und so entwickelte sich von Beginn an eine durchaus flotte Partie, mit einem perfekten Start für die Gastgeber: Anthony Losilla traf nach einem Freistoß von Danilo Soares per Kopf zum 1:0, elf Minuten waren gespielt.

Anschließend geriet der VfL zwar unter Druck, die Heidenheimer näherten sich in ihrer stärksten Phase dem Ausgleich. Doch Jordi Osei-Tutu beruhigte die Fanseelen zu Hause vor den Bildschirmen, als er noch vor der Pause den zweiten Treffer nachlegte. Die erstaunlich effektiven Bochumer nahmen den Schwung mit in den nächsten Durchgang. Sie brachen nicht ein, sondern spielten konsequent auf das dritte Tor, das Silvere Ganvoula nach etwas mehr als einer Stunde auch erzielte.

Der Mittelstürmer erwischte ansonsten nicht seinen besten Tag, ganz im Gegensatz zu Robert Zulj, dem Vorbereiter. Mit einem klugen Pass leitete er das 3:0 ein, zeigte insgesamt gute Ansätze. Der Winterneuzugang war für den verletzten Vitaly Janelt in die Startformation rotiert und präsentierte sich deutlich athletischer als noch im März. Gemeinsam mit Jordi Osei-Tutu, Danilo Soares und Anthony Losilla verdiente er sich die Bestnoten beim VfL.

Disziplin auf und neben dem Plan

Wobei keiner negativ auffiel, vor allem nicht Vasilios Lampropoulos. Der Innenverteidiger stabilisierte die Abwehrreihe erneut und ist mehr als nur ein guter Vertreter für Saulo Decarli. Der Schweizer klagt über Schmerzen am Fuß, er fehlte ebenso wie Danny Blum, dessen Wade derzeit Probleme bereitet. Das Spiel verfolgte der Top-Scorer des VfL von zu Hause aus, auf die Tribüne durfte er nicht. Der Zugang zum Stadion war streng geregelt, das Gelände seit Tagen abgesperrt und bewacht.

Überaus professionell setzte der VfL das Hygienekonzept der DFL in die Tat um. Die Fans blieben daheim, selbst die Mannschaft blieb so diszipliniert wie es nur ging. Auch beim Jubeln gab es keine innigen Umarmungen. VfL-Profi Simon Zoller gewährte später Einblicke in seine Gefühlswelt. „Vom Hotel mit Mundschutz zum Stadion, keine Menschen, keine Musik. Das war schon ungewohnt“, gab er offen zu und freut sich nun auf ein Ende der Team-Quarantäne: „Heute Abend wird die ein oder andere Kanüle sicher aufploppen.“

(Foto: Firo Pool / Eibner Pressefoto)

Von wegen Normalität

Lücken im System: VfL kämpft mit DFL-Vorgaben

Der VfL Bochum schottet sich vor dem Re-Start am Samstag gegen Heidenheim ab. Die Spieler befinden sich im Quarantäne-Hotel, und seit Mittwoch stehen Bauzäune auf allen vier Seiten des Stadions. Die Absperrungen sollen Ansammlungen auf dem Klubgelände verhindern. Auch dienen sie zur Errichtung einer Schutzzone, die im Konzept der DFL vorgeschrieben ist. Mehr als 40 Seiten umfasst das Papier zum „Sonderspielbetrieb“. Die Vorgaben setzt der VfL offensichtlich ganz genau um.

Nur einmal ins Hotel

Dabei sind einige Regeln durchaus lückenhaft und unlogisch. Das beste Beispiel: Die eingangs erwähnte Hotel-Quarantäne. Dort muss die Mannschaft die Woche vor dem ersten Spiel verbringen und wird zweimal auf eine Corona-Infektion getestet. Nur gesunde Spieler sollen am Wochenende auf dem Rasen stehen. Das ergibt Sinn. Nur: Es handelt sich um eine einmalige Regelung. Nach der ersten Partie kehren die Profis wieder in ihr häusliches Umfeld zurück, wo die Ansteckungsgefahr wieder steigt. Handelt es sich etwa nur um eine Alibi-Maßnahme, um zumindest den ersten Spieltag störungsfrei über die Bühne zu bringen? VfL-Manager Sebastian Schindzielorz bestätigt jedenfalls, dass eine solche Isolation nur unmittelbar vor dem Re-Start Vorschrift der DFL sei.

Und der Verband hat den Vereinen weitere Maßnahmen auferlegt, die in ihrer praktischen Umsetzung fast schon absurd erscheinen. Sollte der VfL Bochum am Spieltag etwa einen Grund zum Jubeln haben, ist Vorsicht geboten. Inniges Umarmen ist nicht erlaubt. Körperkontakt bei Zweikämpfen oder Manndeckung bei Eckstößen allerdings schon. Die Bälle müssen jedoch desinfiziert werden, außerdem muss Cheftrainer Thomas Reis einen Mundschutz tragen, den er nur für Anweisungen ablegen darf. Das sei notwendig, weil ein Restrisiko einer Infektion bleiben würde, argumentiert die DFL. Denn positive Fälle könnten den ganzen Plan gehörig ins Wanken bringen. Das zeigt die Lage bei Dynamo Dresden. Dort befindet sich die gesamte Mannschaft für zwei Wochen in Quarantäne.

Relegation ist heikles Thema

Mindestens zwei Spiele müssen also verschoben werden – ob so ein fairer Wettbewerb möglich ist, daran hat selbst der VfL Bochum leise Zweifel. Dabei sind die beiden Klubs Konkurrenten im Abstiegskampf. „Dynamo Dresden hat nun neun Wochen lang kein Mannschaftstraining gehabt, steht augenblicklich unter häuslicher Quarantäne und muss die Saison dann aller Voraussicht nach in Englischen Wochen zu Ende spielen – das wird nicht einfach“, heißt es auf Anfrage beim VfL. „Aber die DFL prüft, wie sie die ausgefallenen Spiele bestmöglich in den Spielplan integrieren kann.“ Unklar bleibt, was passiert, wenn weitere Klubs betroffen sind. „Es gibt eine Größe, da ist es nicht mehr machbar“, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert zuletzt im ZDF-Sportstudio.

Offen ist ebenso, unter welchen Voraussetzungen eine mögliche Relegation stattfinden soll. Der VfL könnte schließlich betroffen sein. Das Problem: Die beiden Entscheidungsspiele würden erst im Juli stattfinden. Einige Verträge wären dann gar nicht mehr gültig. „Diese Problematik muss man scharf beobachten. Es gibt eine verbandsrechtliche Ebene sowie eine arbeitsrechtliche“, erklärt ein Vereinssprecher auf Nachfrage. Gemeinsam mit dem Ligaverband werde nach einer Lösung gesucht. Außerdem ist unklar, wie es in der 3. Liga weitergeht, sprich: ob es überhaupt einen Gegner gibt. Die Klubs und der DFB streiten sich derzeit öffentlich, es gibt unterschiedliche Positionen über den Fortgang der Saison.

Saisonabbruch als Szenario

Ähnliches trifft übrigens auch auf die Erst- und Zweitligisten zu. In einer Videokonferenz wurde in dieser Woche über ein sensibles Thema kontrovers diskutiert. Was passiert, wenn die Saison von jetzt auf gleich beendet werden müsste, zum Beispiel, wenn die Politik plötzlich einlenkt? Der Ligaverband schlägt vor, dann die jeweils aktuelle Tabelle zu werten. Dagegen wehren sich allerdings einige Vereine, die Liga ist gespalten. Die Position des VfL Bochum dazu nicht bekannt, wohl aber die sportliche Gefahr. Für die Mannschaft von Trainer Thomas Reis würde das nämlich bedeuten, dass sie in den kommenden Wochen permanent auf einem Nicht-Abstiegsplatz bleiben müsste. Ein Sieg gegen Heidenheim am Samstag wäre deshalb ein guter Anfang.

(Foto: Imago / Revierfoto)