Persönlicher Rückblick

Vom Chauffeur zum Chef: Schindzielorz nimmt Abschied

Ich trug schon den Schlafanzug, als jemand an meiner Zimmertür klopfte. Durch den Spion erkannte ich Sebastian Schindzielorz. Es war kurz vor Mitternacht im niederländischen Vaals, einem Ort direkt hinter der Grenze, im Sommer 2017. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Schindzielorz entschuldigte sich und fragte, ob ich kurz Zeit hätte. Natürlich ließ ich ihn nicht stehen, sondern bat ihn herein. Auf einem Sessel im Zimmer nahm er Platz.

Zugegeben: Der Beginn dieser Geschichte verspricht etwas viel, und vielleicht wird Sebastian Schindzielorz denken: Mensch, das muss doch jetzt nicht sein. Doch es war meine erste Begegnung mit dem Mann, der an diesem Mittwoch seinen vorerst letzten Arbeitstag beim VfL Bochum hatte. Zumindest war es die erste Begegnung, an die ich mich erinnern kann, die über ein ‚Guten Tag‘ und ‚Auf Wiedersehen‘ hinaus ging.

Vom Chauffeuer zum Chef

An jenem Tag in Vaals hatte es mal wieder Ärger mit dem damaligen Trainer Gertjan Verbeek gegeben, und Sebastian Schindzielorz war damit beauftragt, eine Lösung zu finden. Verbeek duldete meine räumliche Nähe zur Mannschaft nicht, ich wohnte im selben Hotel. Ich stimmte einem Umzug aufs Vereinskosten zu, hatte aber das Problem, das ich mit der Bahn angereist war und die nächste Unterkunft ein paar Kilometer entfernt war. Christian Hochstätter, der damalige Chef von Schindzielorz, mischte sich ein, und hatte eine Idee: „Sebastian Schindzielorz ist ab jetzt ihr Fahrer.“

Die Freude darüber war dem frisch gekürten Chauffeur anzusehen. Immerhin lernte ich Schindzielorz in den folgenden Tagen näher kennen. Wir unterhielten uns über seine Zeit in Norwegen und Griechenland, über Amateur- und Jugendfußball. Und über Facebook und Fußballforen – eine Welt, die ihm damals schon fremd war. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dass Schindzielorz knapp ein halbes Jahr nach seinen Fahrdiensten in Holland den Job von Hochstätter, dessen Assistent er zuvor war, übernahm, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.

Fragen von Freunden oder Bekannten, ob ich Schindzielorz den neuen Job zutrauen würde, beantwortete ich meist mit einem Schulterzucken. Die Skepsis war mir aber anzusehen, und es brauchte einige Zeit, bis sie verschwand. Die Berichterstattung war nicht immer positiv – speziell im Winter 2020, als der VfL tief im Abstiegskampf der 2. Liga steckte. Später, als sich zwischen uns ein Vertrauensverhältnis entwickelte, erzählte er mir, dass er einige Texte extra verwahrt habe. Er wollte sehen, ob wir Journalisten Recht behalten oder nicht, oder wie schnell sich der Wind wieder dreht. Vor allem störte er sich an simplen, aus seiner Sicht verkürzten Darstellungen – und arbeitete dagegen an.

Nicht in Pressekonferenzen oder Interviews, die er souverän meisterte, ohne viel zu verraten. Erst wenn die Kamera aus war, wurde es spannend, Schindzielorz auskunftsfreudiger. Persönlich, am Telefon oder notfalls per WhatsApp erklärte er, warum sich Transfer A nicht realisieren lässt, warum Spieler B verkauft wird, oder wie die Verpflichtung von Spieler C gelang. Schindzielorz war immer ansprechbar, er rief immer zurück – im Profifußball eine Seltenheit. Hin und wieder ergaben sich auch Diskussionen, er konterte mit Gegenfragen. Mit den Jahren wurde er selbstbewusster, der Erfolg gab ihm Recht, auch meine Kritik verhallte. Stattdessen gab es Lob und Anerkennung.

Der Baumeister des Erfolgs

Schindzielorz baute die Mannschaft zusammen, die erst den Aufstieg, später den Klassenerhalt schaffte – er machte Großes mit kleinem Geld möglich, bescherte Fans wie Mitarbeitern zwei wundervolle Jahre. Schindzielorz hatte die Argumente auf seiner Seite. Ihm gelangen wichtige Vertragsverlängerungen und entscheidende Transfers. Nicht alles passte, aber das Gesamtergebnis stimmte, auch abseits des Platzes. Mit seiner Bodenständigkeit und Vernunft hat er es geschafft, den Verein in zwei fast existenzbedrohenden Krisen von innen heraus zu beruhigen, an die Gemeinschaft zu appellieren, die Werte des Klubs wieder zu leben – während der Pandemie genauso wie im Februar 2018, als er die Amtsgeschäfte nach turbulenten Monaten übernahm. Auch wenn er seine Gefühle nur selten nach außen trug: Für den VfL zu arbeiten war etwas Besonderes für ihn. Manchmal war seine emotionale Bindung zum Klub auch eine Last.

Es ist selten geworden, aber Schindzielorz ist Fan von dem Klub, für den er gearbeitet hat. In Bochum fand er schon früh ein (sportliches) Zuhause. Als Kind war „Sesi“ aus Polen nach Deutschland gekommen, sein Vater brachte ihn zum VfL. Sein halbes Leben hat Sebastian Schindzielorz anschließend an der Castroper Straße verbracht: Als talentierter Nachwuchsspieler, als ambitionierter Fußballprofi, als Hospitant, Chefscout und Assistent der Geschäftsführung, dann als Geschäftsführer Sport. Abschalten konnte er selten, praktisch jeden Tag war er für den Klub im Einsatz, Urlaub oder Freizeit gab es fast nie. Manchmal war er bis Mitternacht im Büro und morgens um 8 Uhr wieder da. Die meiste Zeit davon verbrachte er am Handy, das wichtigste Arbeitsgerät eines Fußballmanagers. Auf der Rückseite klebte ein VfL-Logo mit einer Widmung, gemalt von seinen Kindern, die er nun häufiger sehen wird als zuletzt.

Gut überlegte Entscheidung

Als ich im Frühsommer die Gelegenheit hatte, mit Schindzielorz über seinen freiwilligen Abschied zu sprechen, berichtete er mir, wie schwer es ihm fiel, diese Entscheidung zu treffen. Über die Gründe habe ich an anderer Stelle schon geschrieben, alles weitere bleibt sein persönliches Geheimnis. Ein Zurück, auf das viele Fans gehofft haben, war jedoch ausgeschlossen, der Entschluss endgültig. Dass es vereinzelt Anhänger gab, die ihm zuletzt vorwarfen, nur noch mit halber Kraft weiterzuarbeiten, hat er hoffentlich überhört oder überlesen. Es würde zu Schindzielorz passen, wenn er sich seit Mai noch mehr Gedanken gemacht hat als ohnehin schon.

Am Samstag gegen Bremen wird er übrigens nicht mehr im Stadion sein. Er will sich emotional lösen, Distanz gewinnen, sich auf neue Aufgaben vorbereiten. Wo und wann – das steht noch nicht fest, ein neuer Vertrag existiert nicht, auch nicht in Wolfsburg. Doch irgendwann wird es an seiner Tür klopfen, und Schindzielorz wird sie öffnen.

(Foto: Imago / RHR-Foto)